Italien

Giorgia Meloni: Amerikas Liebling

Mit einem harten Kurs gegen Flüchtlinge, Minderheiten und die EU gewann Giorgia Meloni die Wahlen in Italien. Ein Jahr später ist sie zur gefragten Staatsfrau geworden. Wie konnte das geschehen?

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Giorgia Meloni strahlt. „Es ist ein Vergnügen, die Premierministerin begrüßen zu dürfen“, hat US-Präsident Joe Biden soeben in die Kameras gesagt. „Wir sind Freunde geworden.“

Am vergangenen Donnerstag war Italiens Regierungschefin zu Besuch bei Joe Biden im Weißen Haus, und für Meloni hat es sich gelohnt. Der freundschaftliche Empfang im Oval Office hat ihre Position auf dem internationalen Parkett weiter gestärkt. Italiens Regierungschefin mag die rechteste Spitzenpolitikerin im Weißen Haus seit Jahren gewesen sein. Doch das scheint knapp neun Monate nach ihrem Amtsantritt kaum jemanden zu stören.

Als Melonis postfaschistische „Fratelli d’Italia“ im September vor einem Jahr als Sieger der Parlamentswahlen hervorging, war der Schrecken groß. Linke und Liberale, darunter Joe Biden, warnten vor dem Ende der Demokratie in Italien. Doch seither ist viel geschehen. Die Sorgen haben sich weitgehend zerstreut, Melonis Ton wurde gemäßigter, ihre Positionen scheinbar vernünftiger.

Die längste Zeit war man sich in Europa nicht sicher, wie man mit Meloni umgehen sollte. Müsste man sie als die rabiate Nationalistin und Anführerin einer postfaschistischen Partei behandeln, die sie vor den Wahlen war? Immerhin liegen die Wurzeln der Fratelli d’Italia im italienischen Faschismus Benito Mussolinis. Sollte man dennoch versuchen, Meloni zu integrieren? Eine Antwort auf diese Frage hat sie längst selbst gegeben. Meloni hat politische Fakten geschaffen.

Bruch mit Peking

Giorgia Meloni ist, wenn man so will, von der ultrarechten, polternden Oppositionspolitikerin zur gefragten Staatsfrau geworden. Mit der chinafreundlichen Politik ihres Vorgängers Giuseppe Conte räumt sie auf, beim umstrittenen Thema Staatshaushalt führt sie den vorsichtigen Kurs des Technokraten Mario Draghi weiter. Von ihren alten Verbündeten, dem rechtsnationalen „Fidesz“ in Ungarn und der nationalkonservativen „PiS“ in Polen, hat sich Meloni entfremdet. Bei der Frage der Migration steht Italien nicht mehr auf der Seite der Visegrád-Staaten. Budapest und Warschau lehnen den Migrationspakt der EU mit Tunesien ab, den Meloni federführend mitverhandelt hat. Auch von Marine Le Pen hat sie sich distanziert.

Und so war Meloni der warme Empfang in Washington gewiss. Biden mag bei vielen Themen anderer Ansicht sein. Bei den Rechten von Homosexuellen etwa oder in der Familienpolitik. In den wichtigen Fragen – Ukraine, Bekenntnis zur NATO, Gegnerschaft zu Russland – hat sich Meloni gegen ihre Koalitionspartner, die ultrarechte „Lega“ und die rechtspopulistische Forza Italia, durchgesetzt. Was die Solidarität mit der Ukraine betrifft, kann sich Biden auf Italien verlassen.

Während sich der mittlerweile verstorbene Forza-Chef Silvio Berlusconi im Februar auf die Seite seines alten Freundes Wladimir Putin stellte und Wolodymyr Selenskyj die Schuld am Krieg zuschob, schickte Meloni Waffen in die Ukraine und trug alle Sanktionen gegen Russland mit. Ihren Regierungspartnern gefällt das nicht, Forza Italia und Lega sind bekannt für ihre freundschaftlichen Beziehungen zu Putins Partei „Einiges Russland“. Doch bisher ließ sich Meloni davon nicht beeindrucken.

Nun räumt sie auch mit den speziellen China-Beziehungen Italiens auf. Melonis Vorgänger Giuseppe Conte hatte 2019 die Teilnahme am Projekt „Neue Seidenstraße“ unterzeichnet, mit dem China weltweit Milliarden in den Bau von Häfen, Kraftwerken und Infrastruktur investiert. Mit der Initiative will Peking enge Beziehungen zu den beteiligten Ländern knüpfen, Türöffner sind die massiven Investitionen. Für Meloni ist das Projekt ein „großer Fehler“; bis Ende des Jahres soll Italien aussteigen. Auch das ist ganz im Sinne der USA.

Melonis Proamerikanismus steht nicht unbedingt im Widerspruch zur postfaschistischen Ausrichtung ihrer Partei. Immerhin waren USA und NATO wichtige Verbündete gegen den Hauptfeind der italienischen Rechten: die Kommunisten. „Italiens Rechte und Postfaschisten haben sich nach 1945 schnell von antiamerikanisch zu antikommunistisch gedreht“, sagt der Historiker David Broder. In seinem Buch „Mussolini’s Grandchildren“ setzt sich der 34-jährige Brite mit der jüngeren Geschichte des italienischen Faschismus auseinander. „Nach dem Absturz der Christdemokraten wollten Italiens Rechte eine italienische Version der Republikaner schaffen“, sagt Broder. Vereint werden sollten alle Kräfte rechts der Mitte, bis an die Grenzen des politischen Spektrums. „Die Fratelli d’Italia hat das geschafft“, sagt Broder, „sie ist eine breit aufgestellte nationalistische Partei geworden.“

Nation, Identität, Familie

Auf der internationalen Bühne kann Meloni durch ihr beherztes Handeln überzeugen. Zu Hause in Italien übt sie, was rechte Parteien am besten können: den Kulturkampf.

So hat Melonis Regierung Maßnahmen gegen gleichgeschlechtliche Eltern auf den Weg gebracht. Anerkannt werden soll künftig nur noch ein Elternteil: die biologische Mutter oder der biologische Vater. Partnerinnen und Partnern wird die Elternschaft aberkannt, sie verlieren alle Rechte.

Stramm rechts ist Meloni auch in der Sozialpolitik. Die Fratelli d’Italia wettert seit Jahren gegen die „soziale Hängematte“ und vermeintlich faule Arbeitslose.

Im Parlament habe sie stets gegen finanzielle Unterstützungsleistungen gestimmt, gegen die Einführung des Mindestlohns und die Erhöhung der Pensionen.

Die Menschen wählen Meloni nicht, weil sie von ihr Unterstützung erwarten, sondern wegen der Identitätspolitik.

David Broder

Historiker

Vergangene Woche wurden Tausende Menschen per SMS darüber informiert, dass sie künftig keine Mindestsicherung mehr erhalten. Die Regierung hat die Voraussetzungen für den Bezug verschärft, rund 170.000 Familien wird das Bürgergeld gestrichen. In den armen Regionen Süditaliens stürmten die Menschen auf die Straße. Viele Geringverdiener sind auf die staatlichen Finanzspritzen angewiesen.

Nimmt Meloni da nicht einen enormen Schaden in Kauf?

„Die Menschen wählen sie nicht, weil sie von ihr Unterstützung erwarten, sondern wegen der Identitätspolitik“, sagt Broder.

In Italien punktet Meloni mit ihrer Gegnerschaft zu „woker Ideologie“ und zur „LGBT-Lobby“, zu „Genderwahn“ und „Multikulti-Gesellschaft“. Unter dem Motto „Geburten statt Migranten“ sind Steuererleichterungen für Familien geplant. Gefördert wird freilich nur der einheimische Nachwuchs. Illegalen Migranten wird das Leben schwer gemacht, Aufenthaltstitel werden nur in Ausnahmefällen vergeben.

Europa und Italien brauchen Einwanderung.

Giorgia Meloni

Italiens Ministerpräsidentin

Noch im Wahlkampf hatte Meloni vorgeschlagen, Schlepperschiffe zu versenken. In ihrer Autobiografie „Io sono Giorgia“ (Ich bin Giorgia) verbreitet sie die rechtsextreme Verschwörungstheorie, wonach Migranten aus Afrika italienische Arbeiter ersetzen sollten. Heute öffnet sie die Schleusen für Arbeiter aus dem Ausland so weit wie nie zuvor: Bis 2025 sollen 452.000 Arbeitsvisa für Nicht-EU-Bürger ausgestellt werden.

„Europa und Italien brauchen Einwanderung“, sagte Meloni vor Kurzem und ließ damit aufhorchen. Hat Europas rechteste Regierungschefin etwa erkannt, dass Migration zum demografischen Wandel gehört?

„Bestimmt nicht“, sagt Broder. „Was sie meint, sind billige Arbeitskräfte ohne Rechte – Gastarbeiter, die bald wieder verschwinden.“ Die „Alleanza Nazionale“, aus der später die Fratelli d’Italia hervorging, habe das in den 1990er-Jahren schon ähnlich formuliert. Melonis Politik, befindet Broder, sei im Grunde eine Fortsetzung der Politik der vergangenen 30 Jahre: „Das hat Berlusconi auch schon gemacht.“ Die Fratelli d’Italia käme nicht aus dem Nirgendwo. In Italien sei die Rechte eine etablierte Macht, die bleiben würde.

Auf europäischer Ebene unterstützen auch etliche Christdemokraten Melonis Partei. Mit Blick auf die Europawahlen im Juni 2024 arbeitet der Chef der Konservativen im EU-Parlament Manfred Weber an einer engeren Zusammenarbeit mit Fratelli d’Italia. Das Ziel: eine stabile rechte Mehrheit aus Volksparteien, Rechtspopulisten – und Italiens Postfaschisten.

Mit Melonis Hilfe könnte die Europäische Union deutlich nach rechts rücken.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.