Corona-Krise

Gipfel der Extreme: EU schafft Deal zu Aufbaufonds und Finanzrahmen

Kurz profilierte sich in den Verhandlungen um den Corona-Rettungsfonds, nicht zur Freude aller.

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Ein EU-Gipfel der Rekorde und Extreme, auch wenn er nur als zweitlängster in die Geschichte eingehen wird: Mit 1,8 Billionen Euro das größte jemals geschnürte EU-Finanzpaket beim ersten Treffen nach dem Corona-Lockdown. Und trotzdem keine Journalisten im Ratsgebäude. Fünf Tage lang scheinbar endlose Differenzen zwischen den "Chefs". Und nach fast 92 Stunden Marathonverhandlungen doch ein Deal.

Erstmals nimmt die EU in großem Ausmaß gemeinsam Schulden für den 750 Milliarden Euro schweren Aufbaufonds auf, um die Folgen der Corona-Wirtschaftskrise in den Griff zu kriegen. Um die Ausgestaltung kämpften die "Chefs" mit harten Bandagen, teilweise auch mit persönlichen Untergriffen. Und die Gruppe der kleineren "sparsamen" Staaten mit den Niederlanden, Österreich, Dänemark, Schweden und Finnland überraschte mit ihrer fast kompromisslosen Durchschlagskraft.

Aus Sicht der anderen übernahmen der niederländliche Premier Mark Rutte und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Rolle der Bösewichte. "Sie weichen vom üblichen Schema ab und spielen den bösen Cop und den noch böseren Cop", schrieb die italienische Nachrichtennagentur ANSA.

"Er hasst mich", empörte sich Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban über Rutte, nur weil "dieser niederländische Typ" auf einem effizienten Rechtsstaats-Mechanimus im EU-Budget beharrte. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lästerte über Kurz, weil dieser zum Telefonieren den Sitzungssaal verließ. "Er hört den anderen nicht zu, hat eine schlechte Haltung. Er kümmert sich um seine Presse und basta", ärgerte sich Macron.

Die "Sparsamen" sorgten für Drama beim Gipfel und dafür, dass das gemeinsame Ambitionsniveau gegenüber den Entwürfen Deutschlands und Frankreichs sowie der EU-Kommission gesenkt wurde. Stück für Stück musste EU-Ratspräsident Charles Michel - unterstützt von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Macron - den "Frugalen" mit jedem Kompromissvorschlag noch weiter entgegenkommen, bis sich die Höhe der nicht zurückzahlbaren Zuschüsse im Aufbaufonds auf 390 Milliarden statt der ursprünglich geplanten 500 Milliarden einpendelte.

Kurz und Rutte können sich als Sieger fühlen, die beiden profilierten sich - wenn auch nicht zur Freude aller. Durch ihr geschlossenes Auftreten holten die "Frugalen" am Ende sogar weit höhere EU-Budgetrabatte als erwartet für ihre Länder heraus - dies ist etwa dem EU-Parlament ein Dorn im Auge, das solche Vergünstigungen mit dem Austritt Großbritanniens eigentlich abschaffen will. "Wir sind besorgt über eine Zukunft, in der die europäische Solidarität und die Gemeinschaftsmethode verloren gehen", beklagte EU-Parlamentschef David Sassoli. Kurz mache "Karriere auf Kosten Europas", titelte die deutsche "Zeit".

Der Kanzler will hingegen nicht als schlechter Europäer gelten, nur weil er nationale Interessen vertritt. "Jeder ist der Europäischen Union, aber vor allem auch seinem Land verpflichtet. Jeder ist seinen Wählerinnen und Wählern verpflichtet, der Bevölkerung seines Landes", sagte Kurz.

Geht es nach Kurz, sind die "Frugalen" in der EU zusammengekommen, um auch in Zukunft ein Machtfaktor zu bleiben. Damit positioniert sich Österreich erstmals seit Jahren wieder klar in einer "Gruppe von Gleichgesinnten". Mit den Visegrad-Staaten teilte Kurz zwar die harte Linie in der Flüchtlingskrise, beim Gipfel wurden aber auch die Trennlinien deutlich. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki kritisierte die "selbstsüchtige" Gruppe um Österreich.

Vor allem aber sind die Frugalen eine Herausforderung für das deutsch-französische Duo, die beiden größten Länder nach dem Brexit. "Es sind alles kleinere Länder, die alle alleine überhaupt kein Gewicht hätten in einer Europäischen Union mit 27 Mitgliedstaaten. Da macht sich oftmals Deutschland mit Frankreich etwas aus, und alle anderen müssen es abnicken", zielt Kurz auf mehr Einfluss seiner neuen Gruppe in Europa.

Damit der Aufbaufonds wie geplant in Kraft treten kann, muss noch das Europaparlament zustimmen und ein Eigenmittelbeschluss von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Hürden gibt es also noch zu überwinden. Doch dies ging Montagfrüh unter in der Freude über ein "Happy End" und die Aussicht auf Schlaf.