Trauer in Hanau

Hanau: Terror, Wahnsinn – oder beides?

Nach den Anschlägen im deutschen Hanau tobt ein politischer Streit über die Einstufung des Verbrechens, bei dem zehn Opfer sowie der Täter selbst starben.

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In der Nacht zum vergangenen Donnerstag erschoss der 43-jährige Tobias R. in der deutschen Stadt Hanau (Bundesland Hessen) zehn Menschen und anschließend sich selbst. Zwei der drei Tatorte waren Shisha-Bars; die meisten Opfer hatten Migrationshintergrund. In einem 20 Seiten langen, an das „gesamte deutsche Volk“ adressierten Manifest fantasierte der mutmaßliche Mehrfachmörder unter anderem von der Auslöschung anderer Nationen.

Rechtsextremer Terrorismus oder die Tat eines psychisch Kranken? Was für eine Frage, sollte man meinen. Die AfD – immer bereit zu generalisierenden Schuldzuweisungen an „den Islam“, wenn Muslim-Extremisten einen Anschlag begehen – begann in diesem Fall aber plötzlich feinsinnig zu differenzieren: „Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines Irren. Jede Form politischer Instrumentalisierung dieser schrecklichen Tat ist ein zynischer Fehlgriff“, twitterte Jörg Meuthen, Bundessprecher der Rechtsaußen-Partei, am Morgen nach der Tat.

Währenddessen versuchte der Rest der deutschen Politik bis hinauf zur scheidenden CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, das Verbrechen mehr oder minder direkt der AfD anzulasten.

Tatsächlich scheint Tobias R. auch an psychischen Störungen gelitten zu haben. Eigenen Angaben zufolge glaubte er beispielsweise, ein Geheimdienst könne sich in seine Gedanken „einklinken“.

Vergleichbare Krankheitsbilder werden auch bei anderen Attentätern aus der jüngeren Vergangenheit vermutet – etwa bei jenem Tunesier, der 2016 im Namen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ 84 Passanten tötete, indem er mit einem Schwerlaster über die Strandpromenade von Nizza raste. Erwiesen sind sie bei jenem 18-jährigen Schüler, der im gleichen Jahr in einem Münchener Einkaufszentrum neun Menschen mit Migrationshintergrund erschoss.

In diesem Fall legte sich das zuständige Landeskriminalamt erst im vergangenen Herbst auf eine Einstufung fest: Demnach war der Anschlag trotz der psychischen Erkrankung des Täters „politisch motiviert“, weil er seine Opfer auch aufgrund ihrer Herkunft ausgewählt und in einem „Manifest“ seine rechtsextremistische Gesinnung dokumentiert hatte – was einschlägige Fragen zum Fall von Hanau hinlänglich beantworten dürfte.