Hillary Clinton: Es ist immer nicht genug
Sie hat es also geschafft. "It 's really emotional", sagte Hillary Clinton in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch vergangener Woche, als endlich feststand, dass sie als Kandidatin der Demokraten ins Rennen gehen wird. Erstmals in der Geschichte besteht die realistische Chance, dass eine Frau als Präsidentin ins Weiße Haus einzieht -das Maximum an Macht, das es in der Weltpolitik zu erringen gibt."
Ein Meilenstein für Frauen in der Politik und in der Gesellschaft - 95 Jahre nachdem das 19. Amendment der amerikanischen Verfassung Frauen das Wahlrecht zugestand", schrieb die "New York Times" in angemessen weihevollem Ton. Ein historischer Moment also für eine einzelne Frau sowie für alle Frauen Amerikas. Ein Moment, in dem ein Sieger normalerweise alles Recht der Welt hat, sich dem Rausch des Triumphs hinzugeben und sich hemmungslos bejubeln zu lassen -zumindest ein paar Tage lang. Bei Hillary Clinton funktioniert das allerdings nicht so richtig. Selbst im historischen Moment, inmitten von gleißenden Scheinwerfern, Tränen und Konfettiregen, wirkt es, als sei eine Handbremse angezogen. Ja, sie hat es endlich geschafft. Aber irgendein Vorbehalt ist da immer noch.
Loyalität mit Obama
Weil man ihr den Triumph nicht gönnt? Ihr Rivale Bernie Sanders brauchte bei seiner Rede, in der er seine Niederlage hätte eingestehen müssen, 15 lange Minuten, um Hillary Clintons Namen überhaupt einmal zu erwähnen. Das dann einsetzende Pfeifkonzert unterband er nicht. Vor genau acht Jahren war Clinton in der exakt selben Position. Sie war bei den Vorwahlen gegen ihren Konkurrenten Barack Obama im Rückstand, doch schon zu einem viel früheren Zeitpunkt wurde sie von Partei, Medien und Wählern gedrängt, doch endlich aufzugeben und für den Strahlemann das Feld zu räumen. Das tat sie. "Wir wissen alle, es war ein harter Kampf", sagte sie am 7. Juni 2008: "Aber die demokratische Partei ist eine Familie. Und jetzt ist der Moment, die Bande zu erneuern, die uns zusammenhalten." Loyal warf sie sich danach für Obama in die Schlacht - weil das Land zwar für den ersten schwarzen Präsidenten, nicht aber für die erste Präsidentin bereit war.
Sie selbst bekommt so viel Loyalität heute nicht. Sanders ist wild entschlossen, weiterzumachen und seiner Rivalin immer noch mehr Verletzungen zuzufügen, bis zum Parteitag.
Auch die Medien zögern, sich dem Hype hinzugeben, wie sie es sonst bei jedem Sieger so gern tun. Clinton hat die uneinholbare Mehrheit der Delegierten, die Mehrheit der Super-Delegierten, die Mehrheit der Staaten und die Stimmenmehrheit auf sich vereint. Doch in jedem zweiten Medienbericht wird ihr vorgehalten, dass immer noch etwas fehlt: Die Stimmen habe sie zwar gewonnen, heißt es aber die Herzen nicht.
Die Erkenntnis, vor der Clinton in diesem Moment steht, wird Millionen Frauen in Amerika und anderswo bekannt vorkommen. Die Erkenntnis lautet: Egal wie hart du arbeitest, egal wie gut du bist -es ist nie genug. Selbst wenn du dich schon bis knapp vors Ziel durchgekämpft hast, es wird immer noch wer eine neue Hürde dazwischenschieben. Oder man ändert im letzten Moment einfach die Spielregeln.
Fleiß, Intelligenz und Hartnäckigkeit
Seit mehreren Jahrzehnten schaut die Nation nun bereits zu, wie dieser perfide Mechanismus an Hillary Clinton durchexerziert wird, immer und immer wieder. Von Anfang an war diese Frau entschlossen, alles richtig zu machen. Sie arbeitete sich aus kleinen Verhältnissen hoch, mit Fleiß, Intelligenz und Hartnäckigkeit. Sie suchte sich den passenden Mann mit den passenden Ambitionen aus. Ihr Lebenslauf könnte idealer nicht sein: Sie war First Lady in der Einschicht von Little Rock, First Lady im Weißen Haus, Senatorin von New York, vier Jahre lang Außenministerin. Niemand bezweifelt ihre Kompetenz für das Amt, das sie anstrebt. Sie ist eloquent, körperlich fit, krisenerprobt, immer noch verheiratet, im perfekten Präsidentenalter. Sogar Kekse backen kann sie. Da klafft nicht die winzigste Leerstelle im Anforderungsprofil.
Doch genau das ist dann wieder verkehrt. Anderen hält man ihre Fehler vor, Hillary Clinton wirft man vor, dass sie keine hat. Zu perfekt ist sie! Zu berechenbar! Eine Streberin! Streberinnen sind so laaaangweilig!
Fair ist es nicht, was Hillary Clinton hier wiederfährt. Doch ist es eine Erfahrung, mit der sie nicht allein ist. Millionen Menschen aus verschiedensten Gesellschaftschichten erleben in Amerika, dass ihre Leistung nicht belohnt wird. Millionen, die hart arbeiten und gut sind, werden tagtäglich beiseite gedrängt von Schaumschlägern, Manipulatoren und jenen, die mit immer neuen Tricks ihre alten Privilegien verteidigen. Frauen sind das, Afroamerikaner, aber auch Einwanderer. Sie sind in den bevölkerungsreichen Staaten zu Hause, in den Großstädten.
Sie sind nicht die Coolsten, nicht die Eloquentesten, nicht die Zornigsten und nicht die Lautesten unter den Wählern. Aber sie sind sehr, sehr viele. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie Hillary Clinton zur amerikanischen Präsidentin machen werden.
Sibylle Hamann ist freie Journalistin und Buchautorin und war lange profil-Redakteurin.