Interview

Hoher Repräsentant für Bosnien Schmidt: „Keiner hat ein Interesse, dass die Sache eskaliert“

Dreißig Jahre nach Kriegsende in Bosnien und Herzegowina liegt die Angst vor einem neuen Krieg in der Luft. Christian Schmidt, Hoher Repräsentant für Bosnien, im Gespräch.

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Seit dem Friedensvertrag von Dayton 1995 ist das Land in zwei Entitäten organisiert: die kroatisch-bosniakische Föderation und die Republika Srpska, die mehrheitlich von Serben bewohnt wird. Milorad Dodik, der Präsident der Republika Srpska, kokettiert seit Jahren mit einer Abspaltung der Republika Srpska von Bosnien und Herzegowina und negiert die Institutionen des Gesamtstaates und die Verfassung. Mittlerweile liegt ein Haftbefehl gegen Dodik vor, doch die Bundesbehörden zögern ihn auszuführen. Beim Versuch Dodik festzunehmen, ist mit Widerstand, womöglich auch der Polizei der Republika Srpska, zu rechnen. Das wiederum könnte eine gefährliche Gewaltspirale in Gang setzen. 

Christian Schmidt ist laut Milorad Dodik der Urheber der derzeitigen Zuspitzung. Seit 2021 ist Schmidt Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina. Er war zuvor deutscher Landwirtschaftsminister (CSU). 

Herr Schmidt, wird es in Bosnien und Herzegowina Krieg geben?

Christian Schmidt

Eine Gewalteskalation befürchte ich nicht. Ich sehe aber eine rechtliche Eskalation. Wir sind in einer richtigen Staatskrise. Milorad Dodik will eine komplett neue Verfassung der Republika Srpska. Das ist eine von langer Hand geplante Vorbereitung einer Unabhängigkeit und möglicherweise auch anderer Szenarien, die in der Region existieren.

Konkret geht es um die Möglichkeit, eine eigene Armee der Republika Srpska formieren zu können. Ebenso das Szenario der Vereinigung der Republika Srpska mit Serbien, etwa in einer Konföderation.

Schmidt

Es ist bedrückend.

Drängender als dieses Szenario ist die akute Frage, wie es mit Milorad Dodik weitergehen wird. Gegen Dodik, den Präsidenten der Republika Srpska, liegt ein Haftbefehl der zentralstaatlichen Staatsanwaltschaft vor, die Dodik jedoch nicht anerkennt. Sollte es zu Festnahmeversuchen kommen, drohen Eskalationen mit der Polizei der Republika Srpska. Wer soll Dodik festnehmen? Womöglich die Eufor, EU-Soldaten, die militärisch den Frieden in Bosnien sichern?

Schmidt

Die Institutionen des Staates funktionieren. Allerdings müssen wir klug und zurückhaltend sein. Der Hauptverantwortliche Milorad Dodik hat sich in eine Sackgasse hineinmanövriert.

Noch einmal: Wer soll Dodik denn festnehmen?

Schmidt

Mit dieser Frage müssen sich die zuständigen Institutionen befassen. Was dabei herauskommt, wird man sehen.

Was bleibt vom Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina, wenn seine Institutionen nicht auf dem gesamten Staatsgebiet wirken können? Sehen wir dieser Tage das Ende von Bosnien und Herzegowina?

Schmidt

Natürlich weiß jeder, dass die Situation schnell entgleiten könnte, so etwas wäre auch regional nicht begrenzbar. Es ist aber noch so viel Vernunft da, dass ich sagen kann: Ich sehe nicht die Bereitschaft zur Gewalt, auch nicht bei jenen, die die Abspaltung der Republika Srpska wollen.

Blufft Milorad Dodik?

Schmidt

Nein, es ist kein Bluff, es ist immer noch der Versuch, auf friedlichem Weg neue Grenzen zu zeichnen. Die Frage ist allerdings: Wer könnte ein Interesse daran haben, dass die Dinge in Bosnien und Herzegowina eskalieren? Da gewinnt schon an Bedeutung, dass Herr Dodik vorhaben soll, am Mittwoch nach Moskau zu fliegen.

Glauben Sie, dass Dodik, sollte er tatsächlich nach Moskau fliegen, was gerüchteweise kolportiert wird, zurückkommen würde?

Schmidt

Interessante Frage. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass es da einen EU-Mitgliedsstaat gibt, der offensichtlich auch schon an Begleitschutz gedacht hat.

Sie spielen da auf ungarische Spezialeinheiten an, die kürzlich in der Republika Srpska waren. Viktor Orbán ist Unterstützer Dodiks, beide gelten als Putins Männer.

Schmidt

Ob Herr Dodik plant, irgendwohin zu gehen, weiß ich nicht. Ich würde sagen: Ich wünsche ihm eine gute Reise.

Wäre das die gesichtswahrende Option, dass sich Herr Dodik nach Moskau zurückzieht?

Schmidt

Keiner hat ein Interesse, dass die Sache eskaliert. Es soll keine Sieger und Besiegten geben. Mein guter Freund, der ehemalige österreichische Bundeskanzler und Außenminister Alexander Schallenberg, hat einmal gesagt: „Du bist zu viel deutsch, du bist zu wenig balkanesisch“. Natürlich denken wir in Europa alle relativ rational. Aber da gibt es manchmal Dinge am Balkan, die sich der Rationalität entziehen.

Was meinen Sie damit?

Schmidt

Es ist schwierig, wenn sich jemand selbst überschätzt. Ich glaube, dass viele Menschen in der Republika Srpska Dodik nicht unbedingt unterstützen, aber über Beschäftigungsverhältnisse im aufgeblähten öffentlichen Dienst eine gewisse Abhängigkeit besteht. Serben, die für zentralstaatliche Institutionen arbeiten, hatte Dodik das Angebot unterbreitet, diese zu verlassen. Stattdessen sollten sie in Behörden der Republika Srpska unterschlüpfen. Derzeit gibt es da aber kaum Interesse. Die Strategie, alle auf seine Seite zu ziehen, zieht nicht. Das ist die gute Nachricht.

Sie werden von Dodik und seinen Gefolgsleuten immer wieder wüst beschimpft. Ihre deutsche Herkunft wird karikiert und durch den Kakao gezogen. Sie wiederum referieren vielfach auf die „balkanesische Mentalität“ und sind nicht gerade zimperlich, wenn es um Balkan-Klischees der vorgeblichen „balkanesische Irrationalität“ geht. Gehört dieses beidseitige Bashing dazu?

Schmidt

Es könnte sein, dass ich doch ein stückweit balkanisch geworden bin. Ich bin gut vorbereitet gewesen, meine Vorgänger haben ähnliches überstanden. Die Ansammlung von Behauptungen, die auf mich herunterprasseln, würde jedenfalls in Deutschland für Rücktritte sorgen. Im Sekundentakt.

Ob die ausbleibenden Rücktritte wirklich eine balkanische Spezialität sind, könnte man bezweifeln. Dafür reicht ein Blick in Richtung USA. Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska und US-Präsident Donald Trump haben viele Gemeinsamkeiten, in der Art wie sie reden, worüber sie reden, wie sie Macht verstehen.

Schmidt

Sie werden mich nicht dazu bringen, dass ich Herrn Dodik mit Herrn Trump vergleiche. Das sind zwei unterschiedliche Qualitäten.

Warum eigentlich?

Schmidt

Der Präsident der USA ist Anführer der freien Welt und der größten Volkswirtschaft der Welt. Milorad Dodik wiederum herrscht über eine Teilrepublik mit vielleicht 700 000 Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt, das etwa dem von Gelsenkirchen entspricht. Und er ist ein Mann, bei dem unklar ist, in wessen Händen er ist. Ich habe vorhin Moskau erwähnt.

Bisher haben die USA die Einheit Bosnien und Herzegowinas nie infrage gestellt. Sind Sie sich sicher, dass Trump an der bisherigen Bosnien-Politik der USA festhält?

Schmidt

Ich habe die Position der Trump-Administration bisher so verstanden, dass sie möglichst versucht, neue Konflikte nicht vom Zaun zu brechen. Und ich vernehme manchmal den kritischen und berechtigten Einwand an uns Europäer, die sich um die Frage des Westbalkan kümmern sollten.

Die Europäer sollen sich gefälligst selbst um den Westbalkan kümmern?

Schmidt

Meiner Meinung nach sollen die Amerikaner hier bleiben. Sie spielen eine ganz wichtige, beruhigende Rolle. Bürgerinnen und Bürger in Bosnien und Herzegowina sehen die Amerikaner als Garanten für den Frieden.

Sie haben bereits Ungarn erwähnt, Viktor Orbán unterstützt Dodik offen. Wie kann da Europa geeint auftreten?

Schmidt

Europa ist schon gemeinsam unterwegs, trotz allem. Bosnien und Herzegowina braucht eine EU-Perspektive. Eine Vollmitgliedschaft wird wohl so schnell nicht zu erreichen sein, aber in den nächsten fünf Jahren sollten wir den jungen Menschen in diesem Land zumindest eine Perspektive bieten können. Damit nicht noch mehr von ihnen auswandern.

Selbst eine vollwertige EU-Mitgliedschaft würde wohl daran kaum etwas ändern, wenn man sich die Situation in anderen osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten ansieht.

Schmidt

Damit in Bosnien und Herzegowina einmal bessere Zeiten beginnen, braucht es eine solide ökonomische Basis und Rechtsstaatlichkeit. Und eine Überwindung nationalistischer Vorstellungen aus dem 19. Jahrhundert.

Ihr Amt ist ja auch einigermaßen aus der Zeit gefallen. Als Hoher Repräsentant sind Sie nicht demokratisch legitimiert, können aber jedes Gesetz und Parlamentsbeschlüsse tilgen. Viele in Bosnien und Herzegowina sehen gerade in Ihrem Amt die Ursache für viele Probleme im Land, auch weil sich viele Politiker auf Sie ausreden.

Schmidt

Wenn ich guten Gewissens sagen könnte: Alles paletti in Bosnien und Herzegowina, die Strukturen sind in Ordnung, sie streiten sich zwar, aber sie wollen beisammenbleiben, dann würde ich sagen: Es in der Tat Zeit zu gehen. Dem ist aber nicht so.

Können Sie nachvollziehen, warum Sie zuweilen für einen gewissen kolonialen Gestus kritisiert werden?

Schmidt

Ich nehme das ganz anders wahr. Wenn ich mit Menschen in Bosnien und Herzegowina spreche, wollen die fast immer Selfies mit mir machen. Und sie haben viele Ideen, was ich anordnen sollte, auch in der Republika Srpska übrigens. Ich glaube jenseits der politischen Blase denken sich viele: Der ist gar nicht so schlecht.

Nina Brnada

Nina Brnada

Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.