Iran

Ein Riese auf tönernen Füßen

Der Iran steht so verletzlich da wie schon lange nicht mehr. Wäre da nicht die Atombombe.

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Was ist das nächste Kapitel in der Vergeltungslogik im Nahen Osten?

Israel wird zurückschlagen. So viel ist sicher. „Iran hat fast 200 Raketen in Richtung Israel geschickt. Wir werden darauf antworten. Wir wissen, wo wir wichtige Ziele ausmachen“, kündigte Generalstabschef Herzi Halevi an. Am Donnerstag legte Verteidigungsminister Joav Galant nach. Der Schlag werde „tödlich, präzise und überraschend“ sein.

Wann und wo? Das war zu Redaktionsschluss am Donnerstagabend unklar.

Sicher ist: Anders als im April, als der Iran Israel erstmals direkt angriff, wird Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht bloß symbolisch reagieren. Diesmal könnte die Luftwaffe neben Militärbasen und Rüstungsstandorten auch die iranische Öl- und Gasindustrie ins Visier nehmen. Das würde Irans Wirtschaft, die bereits unter den westlichen Sanktionen leidet, weiter schwächen. Oder doch Irans Atomprogramm? Es wäre das mit Abstand am besten geschützte Ziel, tief im Berggestein versteckt, angeblich bis zu 90 Meter tief.

US-Präsident Joe Biden hat bereits angekündigt, bei einem solchen Schlag nicht mitgehen zu wollen. Auf der anderen Seite: Was hält Netanjahu vom Alleingang ab? Er hat in den letzten Monaten wenig auf die westlichen Alliierten gehört und Aufrufe zu einer Waffenruhe in Gaza und im Libanon ignoriert.

Netanjahu will militärisch Fakten schaffen, solange er kann. Nur zu gerne würde er Irans Atomprogramm schwächen. Ein nuklear bewaffneter Iran, unterstützt von Russland und China, ist das Schreckensszenario von Tel Aviv.

Laut der Internationalen Atombehörde (IAEA) verfügt der Iran über wachsende Vorräte an Uran, angereichert auf bis zu 60 Prozent. Laut der IAEA reicht das für mehrere kleine Atombomben. Irans neuer Präsident Massud Peseschkian, seit Juli im Amt, gilt zwar als ein Mann, der den Dialog mit dem Westen wiederbeleben will. Aber nicht er, sondern der Oberste Revolutionsführer Ali Khamenei hält im Iran die Zügel in der Hand. Hinter ihm stehen die Revolutionsgarden, die mächtigste Stütze des Regimes. „Die Revolutionsgarden sind ein Staat im Staat und deutlich stärker als die reguläre Armee“, sagt die österreichische Nahost-Expertin Petra Ramsauer. „Die Gardisten betreiben nicht nur das Atomprogramm, sondern sichern auch die Grenze des Iran. Damit sind sie ein wichtiger Player im Drogenhandel und internationalem Terrorismus geworden. Darüber hinaus befehligt die Revolutionsgarde Milizen im Ausland, darunter die Hamas und die Hisbollah.“

Die Bevölkerung im Iran wolle keinen Krieg, sagt Ramsauer. Aber die Hardliner um Ali Khamenei brauchten die Eskalation, um an der Macht zu bleiben. Derzeit haben sie mehr denn je ein Interesse daran, den Iran zu einer Nuklearmacht hochzurüsten. Denn zuletzt wirkte der Iran ins Mark getroffen.

„Wie viel Islamische Republik ist Fassade – und wie viel Realität?“, fragte unlängst die deutsche Journalistin Natalie Amiri in einem Gastbeitrag in der „Süddeutschen Zeitung“. Die Islamische Republik besteht seit 45 Jahren. Vielleicht, schreibt Amiri, hat sie nur deshalb so lange überlebt, weil das Theaterstück „Bedrohung durch die Mullahs“ von allen Beteiligten mitgespielt wurde. Ändert sich das jetzt?

„Der Iran ist trotz seiner Eigendarstellung als Supermacht ein Riese auf tönernen Füßen. Die Israelis haben das Regime in Teheran bis zum Machtkern infiltriert. Dazu kommt die massive militärische Überlegenheit Israels und der USA“, sagt auch der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad.

Um zu verstehen, was er meint, muss man einige Monate zurückblicken.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.