Terror in Barcelona: Schockwirkung
Was ist eigentlich erschütternder: die Nachricht von den Anschlägen in Barcelona und die Bilder jener Opfer, die auf dem Boulevard Las Ramblas von Terroristen mit einem Laster niedergemäht wurden? Oder die Erkenntnis, wie pervers vertraut Nachrichten und Bilder wie diese inzwischen geworden sind?
Die jüngsten Attentate, bei denen an drei Schauplätzen mindestens 14 unbeteiligte Menschen getötet und rund 130 verletzt wurden, fügen sich in eine gefühlt endlose Reihe von Massakern der Terrormiliz IS, deren Tatorte, Zeitpunkte und Opferzahlen ineinander verschwimmen – klarerweise nicht für jene, die direkt oder indirekt davon betroffen waren, weil sie Angehörige verloren haben, verwundet oder zu Augenzeugen wurden; aber für die Mehrheit der europäischen Bevölkerung.
***
Paris, Jänner 2015, zwölf Tote.
Paris, November 2015, 129 Tote.
Brüssel, März 2016, 38 Tote.
Nizza, Juli 2016, 85 Tote.
Berlin, Dezember 2016, zwölf Tote.
London, März 2017, fünf Tote.
Manchester, Mai 2017, 22 Tote.
London, Juni 2017, acht Tote.
***
Das sind bloß die größten Anschläge, und jene, die uns nicht nur geografisch nahe liegen, sondern auch emotional besonders nahegehen – also wenige von vielen. An die kleineren in Europa erinnert sich kaum noch jemand. Und bereits den IS-Terror in der Türkei, und damit in unmittelbarer Nachbarschaft, nehmen wir nur noch am Rande wahr; gar nicht zu reden von den Blutbädern der Ultra- Islamisten im Irak, in Pakistan, in Indonesien und anderswo.
Experten sagen schon seit einiger Zeit voraus, dass der IS den Zerfall seines Fantasie-Kalifats in Syrien und im Irak damit kompensieren könnte, den Kampf nach außen zu tragen. Im Fall von Barcelona deuten der durchaus komplexe Plan, die Vorgangsweise der Täter und auch die Tatsache, dass sich die Terrormiliz sehr rasch und konkret dazu bekannte, genau in diese Richtung – was zumindest befürchten lässt, dass der IS in nächster Zeit diese Strategie verstärkt verfolgen wird.
Um das Hirngespinst von einem islamisierten Europa zu verwirklichen, versucht der IS, die offene Gesellschaft durch einen Dauerzustand der Angst lähmen.
Komplett zu verhindern ist das nicht. Das beweist die Tatsache, dass gerade Spanien bei der Terrorprävention die längste Zeit sehr erfolgreich war. Nach dem Schock über die bislang schwerste islamistische Anschlagsserie in Europa, bei der 2004 in Madrid 191 Menschen getötet wurden, legte sich die Regierung auf eine harte Linie gegen Extremisten fest. In den vergangenen Jahren wurden 600 Dschihadisten inhaftiert. Attentate gab es seither nicht mehr. Dennoch konnte der IS vergangenen Donnerstag in Barcelona zuschlagen, und es wird ihm noch öfter gelingen. Das ist die schlechte Nachricht.
Die etwas bessere: Es ist keineswegs so, dass der islamistische Terror von Attentat zu Attentat immer mächtiger wird. Soll niemand sagen, dass er unser Leben nicht verändert hätte. Wer hat sich auf einer belebten Einkaufsstraße noch nie gefragt, was zu tun wäre, wenn plötzlich ein Wagen herangerast käme? Wem ist in einer vollen U-Bahn noch nie der Gedanke gekommen, wie man bei einem Bombenanschlag reagieren würde?
Das erste Ziel des IS auf dem Weg, sein Hirngespinst von einem islamisierten Europa zu verwirklichen, war es, die offene Gesellschaft durch einen Dauerzustand der Angst zu lähmen. Das ist nicht einmal ansatzweise gelungen. Auch, weil der Terror – so verstörend das ist – mit jedem Anschlag zumindest ein kleines bisschen von der Schockwirkung des Unbekannten einbüßt; und weil wir gelernt haben, dass er gewinnt, wenn wir uns von ihm einschüchtern lassen.
Die Pariser Boulevards sind voll mit Menschen, ebenso wie alle anderen Schauplätze von Anschlägen: die Brücken von London, die Plätze von Berlin und die Bahnhöfe von Brüssel.
Und auch Las Ramblas wird es schon bald wieder sein.