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Nordirak: Wie Kurden eine Stadt zurückeroberten

Nordirak. Wie Kurden eine Stadt zurückeroberten

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Von Franz-Stefan Gady, Makhmoor

Die Geschäfte sind noch geschlossen, immerhin fließen Strom und Wasser wieder. Ein süßlicher Gestank liegt in der Luft, die meisten Wände sind von Einschusslöchern durchsiebt – Spuren von harten Gefechten, so weit das Auge reicht.

Die Stadt heißt Makhmoor, hat gerade einmal 28.000 Einwohner und ist Teil einer 1000 Kilometer langen Frontlinie, die sich von der nordwestlichen bis zur östlichen Grenze des kriegsgebeutelten Irak erstreckt. Makhmoor liegt nur 90 Kilometer südwestlich von Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan. Rund 40.000 Zivilisten flüchteten aus der Stadt und ihrer Umgebung vor den Kämpfen mit der Dschihadisten-Truppe „Islamischer Staat“ (IS).

Der IS hat in seinem Vormarsch von Syrien auf den Nordirak auch Makhmoor im Handstreich erobert. Doch die Widerspenstigkeit der kurdischen Milizen haben die IS-Fundamentalisten offenbar unterschätzt. Vergangene Woche ist es den Kurden gelungen, die IS-Kämpfer zurückzudrängen und die Kontrolle über die Stadt wiederzugewinnen und weitere Massaker an der Zivilbevölkerung in Kurdistan zu verhindern.
Es ist ein unbarmherzig heißer Tag in Makhmoor. Auf den staubigen Gassen liegen überall Patronenhülsen. Die Front liegt von hier aus knapp 1000 Meter entfernt. Ein langer Graben, der die Pickup-Trucks des IS aufhalten soll, zieht sich durch das gesamte Tal am Rande der Stadtgrenze. In regelmäßigen Abständen wurden kleine Stützpunkte und Checkpoints errichtet, die mit Betonwänden, Sandsäcken und Stacheldraht gesichert sind. Die nächsten Gefechte mit den Kämpfern der IS kommen bestimmt, nur wann genau, weiß hier niemand so recht.

„Die dem Tod ins Auge Sehenden”
„Guten Tag!“, begrüßt die Kommandantin des PKK-Checkpoints am Rande von Makhmoor die Besucher auf Deutsch, als sie die österreichischen Pässe in der Hand hält. Die Kalaschnikow geschultert, blickt sie prüfend durch das heruntergelassene Seitenfenster in das Innere des Wagens. Rechts und links wird sie von zwei jungen Männern in olivgrünen Tarnanzügen und Turnschuhen flankiert. Im Hintergrund steht ein kleines Wachhaus, auf dem eine rote PKK-Flagge im Wind flattert, an der Wand hängt ein Bild von Abdullah Öcalan, Gründungsmitglied und Führer der PKK, der seit 1999 eine lebenslange Haftstrafe in einem türkischen Hochsicherheitsgefängnis verbüßt.

Makhmoor ist ein traditionell wichtiger Zufluchtsort für Kurden, die aus der türkischen Region Südostanatolien in den hauptsächlich von Kurden bewohnten Norden des Irak geflohen waren. 12.000 lebten in dem Flüchtlingslager am Rande der Stadt noch vor dem Einmarsch der IS-Miliz.
Dieser neue Feind hat die lange Zeit verfeindeten kurdischen Fraktionen zusammengeschweißt: die Peschmerga, Streitkräfte der autonomen Region Kurdistan, auf der einen Seite und die kommunistische Kurdenpartei PKK auf der anderen Seite.

Bei der Peschmerga, („Die dem Tod ins Auge Sehenden”) handelt es sich um keine homogene Truppe, sondern um eine leicht bewaffnete Einheit, die sich größtenteils aus den beiden Großparteien der Region zusammensetzt: der Demokratischen Partei Kurdis-tans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Beide Gruppierungen führten von 1994 bis 1997 gegeneinander Krieg, bei dem mitunter auch die PKK mitmischte und der laut Schätzungen bis zu 5000 Menschen das Leben kostete.

Seit 1998 gilt der Konflikt offiziell als beendet, sein Erbe aber spürt man bis heute: Obwohl das Peschmerga-Ministerium offiziell die Oberhoheit über 200.000 kurdische Kämpfer hat, bleibt die Befehlsgewalt über einen Großteil der Truppe nach wie vor zwischen den einzelnen Parteien aufgesplittert. Alle Versuche, die Einheiten unter einer Führung zusammenzulegen, scheiterten bisher.

Doch in der Stunde der Not wird dieser Konflikt vorerst auf Eis gelegt – alle wissen, wie sehr sie gerade jetzt aufeinander angewiesen sind. Es ist kein Geheimnis, dass Peschmerga-Einheiten im Gegensatz zu den Kämpfern des „Islamischen Staats“ nicht ausreichend mit modernen Waffen ausgerüstet sind. Meist müssen sie auf veraltetes russisches Gerät und Beutestücke zurückgreifen, es mangelt an Kampferfahrung und Ausbildung – zuletzt wurde die Peschmerga-Armee während des Irakkrieges 2003 großflächig eingesetzt.

„Sie kommen und gehen, wann sie wollen“
Die gut ausgebildeten Einheiten der PKK haben sich hingegen im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ als unabkömmlich erwiesen. EU-Staaten wollen die Kurden mit Waffen versorgen, die USA unterstützen den Kampf mit Luftschlägen. Als militärisch schlagkräftiger Partner in der Region dient dem Westen mit der PKK also ausgerechnet eine Truppe, die von den USA, der EU und der NATO als „Terrororganisation“ eingestuft wird.
Die PKK-Kämpfer in Makhmoor geben sich kaum Mühe, die militärische Überlegenheit zu kaschieren. „Die Peschmerga sind nicht sehr diszipliniert. Sie kommen und gehen, wann sie wollen“, lästert Nujeen, die 45-jährige deutschsprachige Checkpoint-Kommandantin, die ihre Kindheit in Frankfurt am Main verbrachte und seit 19 Jahren in der PKK dient. Nujeen gilt als erfahrene Kämpferin. Während der Rückeroberung von Makhmoor wurde die PKK-Guerilla als Sturmtruppe eingesetzt, Nujeen befehligte dabei mehrere Männer im Gefecht. „Die Peschmerga haben die Stadt aufgegeben, ohne uns irgendetwas zu sagen und ohne auch nur einen Schuss abzufeuern. Sie zogen einfach ab.“ Die IS hingegen seien gute Kämpfer: „Sie kämpfen wie Guerilleros, sie kämpfen wie wir.“

General Najat Ali sieht das naturgemäß anders. Er ist der Peschmerga-Oberbefehlshaber aller kurdischen Streitkräfte in Makhmoor, die aus rund 2000 Soldaten besteht. „Wir sind nicht einfach weggelaufen“, sagt der General gereizt: „Wir mussten uns aus strategischen Gründen zurückziehen.“ Oberst Sabir Bakiv, der laut eigener Auskunft 200 Peschmerga während der Kämpfe um Makhmoor kommandierte, betont, dass die Wiedereroberung nicht allein der PKK zu verdanken sei. Der Sieg gehe auch auf das Konto der KDP-Spezialeinheiten des Präsidenten der Autonomen Kurdischen Region, Massoud Barzani, sowie der PUK-Anti-Terror-Truppe des ehemaligen irakischen Präsidenten Dschalal Talabani. „Die gepanzerten Einheiten auf der Hauptstraße trugen die Hauptlast des Kampfes und zwangen Daash zum Rückzug!“

„Daash“ ist die Bezeichnung für IS-Kämpfer im Nordirak. Er habe einen „Daash“ umgebracht, erzählt Majeed, ein Kämpfer aus der Osttürkei mit 25 Jahren Fronterfahrung: „Es war ganz einfach!“ Majeed zeigt auf einen kleinen älteren Mann mit schwarzem Schnauzbart und sagt: „Er hat vier Daash erschossen! Aber er ist der Maschinengewehrschütze und mit dieser Waffe ist es leicht.“ Die anwesenden Kämpfer lachen laut auf.
Der PKK-Mann, der die Truppen in Makhmoor kommandiert, heißt Tekoshar Zagros. Der 40-Jährige gibt sich betont gelassen, wenn er über die Rückeroberung der Stadt spricht. „Für uns war es kein schwerer Kampf. Wir wissen, wie wir die Daash besiegen können. Wir kämpfen schließlich schon zwei Jahre in Syrien gegen den Islamischen Staat.“ Einen Mann hat er bei den jüngsten Kämpfen verloren, einen „Märtyrer“ nennt Zagros ihn. Drei weitere Soldaten wurden verwundet. Die Verluste auf der IS-Seite will er nicht kommentieren, aber er betont die Stärke des Gegners. „Sie kämpfen jetzt in einer Mischung aus regulärer Armee und Guerilla-Miliz. Gegen ihre schweren Fahrzeuge können wir nur AK-47, Maschinengewehre und Panzerfäuste einsetzen. Was wir brauchen, sind vor allem neue Waffen!“
Trotzdem ist Zagros davon überzeugt, dass sich seine Truppe letztlich durchsetzen wird: „Daash gehört der Tag, wir aber dominieren die Nacht!“ Die Zusammenarbeit unter den kurdischen Teileinheiten verbessere sich fortwährend. „Wir koordinieren unsere Operationen von jetzt an täglich. So etwas hat es vorher nie gegeben.“

Was die Soldaten von Makhmoor zuletzt geleistet haben, macht offenbar schon die Runde. Kürzlich dankte sogar der nordirakische Präsident Kurdistans, Massoud Barzani, öffentlich den kurdischen Kämpfern in Makhmoor für ihre Dienste an der Front. Barzani ist auch Vorsitzender der kurdischen KDP-Partei, die seit Jahren mit der PKK verfeindet ist. In Makhmoor aber herrscht derzeit ein gebrechlicher Burgfriede, der unabdingbar ist für die Verteidigung der kurdischen Gebiete im Nordirak. Das weiß auch Präsident Barzani – weshalb er sich in seiner Rede artig bei Tekoshar Zagros und seinen PKK-Kämpfern bedankte.

Bild: Flo Smith