Ex-Mossad Vizechef Ram Ben-Barak: „Gaza gehört den Palästinensern“
Geht es nach US-Präsident Donald Trump, soll Gaza unter US-Kontrolle gebracht und zur „Riviera des Nahen Ostens“ umgebaut werden. Die rund zwei Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser sollen dafür aus dem 40 Kilometer langen und 10 Kilometer breiten Küstenstreifen vertrieben und in arabische Länder umgesiedelt werden.
Im Gegensatz zur israelischen Rechtsregierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zeigt sich die israelische Opposition gegenüber Trumps Plan zurückhaltender. Oppositionsführer Jair Lapid von der liberalen Jesch Atid wird heute, Dienstag, bei einer Veranstaltung des konservativen Washingtoner Think-Tanks „Foundation for Defense of Democracies“ seinen eigenen Plan für die Zukunft Gazas präsentieren.
profil konnte wenige Tage vor der Präsentation mit einem Vertreter von Jesch Atid über die Zukunft Gazas sprechen. Der Knesset-Abgeordnete und ehemaliger Vizechef des israelischen Nachrichtendienstes Mossad, Ram Ben-Barak, plädierte am Rande eines Wien-Besuchs dafür, es der Bevölkerung des Gazastreifens freizustellen, wo sie in Zukunft leben möchte. Der Wiederaufbau, der nach Schätzungen der Vereinten Nationen, EU und Weltbank über 50 Milliarden US-Dollar kosten soll, liegt Ben-Baraks Ansicht nach nicht in der Verantwortung Israels.
Ihr Parteichef, Jair Lapid, wird in Washington D.C. einen Plan über die Zukunft Gazas präsentieren. Was sieht dieser Plan konkret für Gaza vor?
Ram Ben-Barak
Über die Details des Plans kann ich noch nichts Konkretes sagen, das überlasse ich meinem Parteichef. Ganz allgemein lässt sich aber sagen, dass Trump mit seiner Ankündigung viel Aufmerksamkeit auf die Zukunft von Gaza gelenkt hat.
Niemand hat sich bisher ernsthaft um Gaza gekümmert. Nicht einmal die arabischen Länder. Jetzt sind sie dazu gezwungen, sich mit der Zukunft Gazas auseinanderzusetzen. Und das ist eine positive Entwicklung.
Es gibt aber auch seit langem die Idee, Gaza und das Westjordanland in einen Palästinenserstaat zu integrieren.
Ben-Barak
Das wäre zwar eine Möglichkeit, aber in den letzten 50 Jahren ist in diese Richtung nichts geschehen. Wir werden ohne neue Ideen, auch wenn es extreme Ideen sind, wahrscheinlich noch 50 Jahre weiterreden – ohne, dass sich etwas ändert.
„Extrem“ ist vermutlich das richtige Wort. Trumps Ankündigung kann ja durchaus als Ankündigung eines Verbrechens verstanden werden. Zwei Millionen Menschen sollen durch seinen Plan aus Gaza vertrieben werden.
Ben-Barak
Das ist ein Problem. Deshalb wird das am Ende auch nicht passieren.
Sind Sie sich da sicher?
Ben-Barak
Ich bin sicher, dass eine Umsiedlung Schwierigkeiten bringen würde. Aber es gibt Wege, um Menschen von A nach B zu bewegen, ohne ein Verbrechen zu begehen. Für jene Palästinenser, die aus Gaza weggehen möchten, könnte man zum Beispiel eine Art „Green Card“-Lotterie für die Vergabe von Visa einrichten und so den Umzug in Länder wie Österreich oder Kanada ermöglichen. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, sich selbst entscheiden zu können, wo sie in Zukunft leben möchten.
Danach muss die internationale Gemeinschaft Gaza wiederaufbauen. Es muss einen Regimewechsel unter Einbeziehung der Bevölkerung geben. Das neue Regime muss aber ein friedliches Regime sein – kein Terrorregime, wie es auch die Palästinensische Autonomiebehörde ist (Anm. die Palästinensische Autonomiebehörde gilt international nicht als Terrororganisation).
Die bezahlen Leute dafür, dass sie einen Terrorangriff gegen Israel ausführen. Das können wir nicht akzeptieren. Wenn eine Palästinensische Autonomiebehörde es allerdings schaffen würde, Menschen für den Frieden, anstatt für den Krieg auszubilden, dann können sie von mir aus auch Gaza regieren.
Und wer wird dann die Bevölkerung in Gaza sein?
Ben-Barak
Die Palästinenser.
Sie meinen, Sie würden den Menschen nur dann ein Visum anbieten, wenn sie auswandern wollen, aber alle Menschen, die bleiben wollen, könnten auch bleiben?
Ben-Barak
Genau, Gaza gehört den Palästinensern. Die Frage, wem Gaza gehört, stellt sich gar nicht. Aber wir können die Probleme in Gaza nicht einfach so ignorieren. Die Lebensumstände dort sind schwierig, auf sehr engem Raum leben dort zwei Millionen Menschen. Bis 2040 sollen es sogar vier Millionen sein. Also muss man etwas tun, um der Bevölkerung dort zu helfen.
Man kann Menschen nicht einfach durch die Gegend schieben wie diese Gläser (Anm. nimmt sein Glas und schiebt es auf die andere Seite des Tischs).
Warum geben wir diesen Menschen nicht die Möglichkeit, aus Gaza wegzugehen, wenn sie das doch selbst möchten?
Aber geht es nach Trumps Plan, würde doch genau das passieren.
Ben-Barak
Dazu müssen Sie Trump fragen, nicht mich. Wissen Sie, woher die Idee kommt, der Bevölkerung in Gaza Visa anzubieten? Ich habe von einer christlichen Familie aus Gaza erfahren, die nach Australien auswandern wollte. Sie hatten bereits ein Visum in der Tasche. Aber sie konnten nicht ausreisen, weil sie Gaza weder über Ägypten noch über Israel verlassen konnten. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Warum geben wir diesen Menschen nicht die Möglichkeit, aus Gaza wegzugehen, wenn sie das doch selbst möchten?
Es ist aber ziemlich offensichtlich, dass es Trump nicht um ein paar tausend Visa für die USA geht. Er spricht ausdrücklich davon, die gesamte Bevölkerung in Richtung Jordanien und Ägypten zu vertreiben, ob sie das nun wollen oder nicht. Warum gibt es in Israel keinen Konsens darüber, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist? Alle, Bevölkerung wie Regierung, scheinen davon begeistert zu sein.
Ben-Barak
Wenn in Österreich verkündet würde, dass morgen Früh alle Muslime aus Österreich abgeschoben würden, dann wird es Leute geben, die darüber sehr froh sind. Aber wie gesagt, ich werde nicht über Trumps Plan sprechen. Meine Meinung ist, dass Menschen keine Tiere sind, die man in einen LKW steckt und sie irgendwo anders hinführt.
Terroristen muss man töten. Aber Zivilisten sind Menschen, die Rechte haben. Ich halte es nicht für richtig, Palästinenser nach Jordanien umzusiedeln. Würde man diese Menschen in großen Flüchtlingslagern an der Grenze unterbringen, hätten wir ein neues Sicherheitsproblem.
Wie sollte eine neue Führung für die Palästinenser bestimmt werden?
Ben-Barak
Das ist ein großes Problem, weil man in Gaza keine freien und fairen Wahlen abhalten kann. Die Hamas erschießt alle, die sich gegen sie stellen. Deshalb muss es eine Lösung ohne die Hamas geben. Auch ohne den Islamischen Staat. Mit Terrororganisationen lässt sich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft kein Staat machen. Schon gar nicht nach dem 7. Oktober 2023.
Wir wissen, dass der Iran Israel bis 2040 auslöschen will und das können wir nicht zulassen. Deshalb darf der Iran bei der Bestellung einer neuen Führung der Palästinenser keine Rolle spielen. Mein Eindruck ist, dass die junge Generation unter den Palästinensern eine Führung möchte, die an einer friedlichen Lösung arbeitet. Meine persönliche Meinung ist, dass es am Ende einen Palästinenserstaat geben könnte, den man aber sehr vorsichtig und langsam aufbauen muss.
Und wer sollte Gaza wiederaufbauen?
Ben-Barak
Die Palästinenser mit finanzieller Unterstützung der arabischen Staaten und der internationalen Gemeinschaft. Nicht Israel.
Wissen Sie, als ehemaliger Mossad-Vizechef, warum sich Israel seit dem 7. Oktober eigentlich so schwergetan hat, hochrangige Hamas-Mitglieder zu fassen und die Geiseln zu finden?
Ben-Barak
Wir wollten bei der Operation keine Geiseln oder Zivilisten verletzen. Wir sind sehr vorsichtig bei dem, was wir tun. Das gilt vor allem für das Tunnelsystem unterhalb des Gazastreifens, wo überall Fallen lauern können. Zum Beispiel in Form von Sprengkörpern. Es gibt keinen anderen Ort auf der Welt mit einem vergleichbar komplexen Tunnelsystem.
Verstehen Sie, warum die Hamas vor kurzem eine falsche Leiche einer getöteten Geisel an Israel übergeben hat?
Ben-Barak
Die Hamas sagt, es handelte sich um einen Fehler. Aber das denke ich nicht. Vielleicht wollten sie nicht, dass wir erfahren, wie sie Shiri Bibas getötet haben. Die Hamas begeht Verbrechen mit voller Absicht. Jüngstes Beispiel: Sie wollten fünf Busse und damit 250 Israelis am Weg zur Arbeit in die Luft jagen. Zum Glück haben sie beim Einstellen des Timers einen Fehler gemacht und 20.00 Uhr mit 08.00 Uhr verwechselt, sodass die leeren Busse zu einer anderen Zeit als geplant explodiert sind. Das ist absichtliches Töten.
Ich verstehe daher nicht, warum die Leute in Städten wie Wien, London oder Paris auf die Straße gehen und „Palestine, from the river to the sea“ rufen. Die wissen gar nicht, was das bedeutet. Nämlich, dass es Israel nicht mehr gibt. Und ich verstehe nicht, warum sich unter den 57 Staaten, die hier in Wien an der Parlamentarischen Versammlung der OSZE teilgenommen haben, mit den USA und Großbritannien nur zwei Staaten finden, die sich klar gegen die Hamas-Terroristen stellen. Alle anderen sind gegen Israel. Wieso?
Es wäre sehr überraschend, wenn sich Österreich hier nicht pro-israelisch positioniert.
Ben-Barak
Die Stimmung dort ist gegen Israel. Sie sagen nicht, lasst uns zusammenkommen und dafür sorgen, dass der Iran niemals eine Atombombe haben wird. Nein, sie sind die ganze Zeit gegen Israel. Warum hat denn Israel am 7. Oktober einen Krieg begonnen? Weil die Hamas 1.200 Menschen bei einem Musikfestival und in ihren Häusern getötet hat. Wie kommt es, dass Israel böse ist und die Palästinenser leiden? Wenn sie nicht getan hätten, was sie am 7. Oktober getan haben, wäre nichts passiert.
Glauben Sie, dass Benjamin Netanjahu Ministerpräsident bleiben wird? Den Umfragen zufolge sind seine Beliebtheitswerte ja wieder angestiegen.
Ben-Barak
Nein, das glaube ich nicht. Nach dem 7. Oktober kann er nicht mehr Ministerpräsident bleiben. Schließlich ist das alles unter seiner Amtszeit passiert. Und am Ende des Tages muss er die Verantwortung übernehmen. Ich hoffe, die Menschen in Israel werden ihn nicht wieder wählen. Aber manchmal kann man die Menschen nicht verstehen.
Zur Person
Ram Ben-Barak, 66, ist seit 2019 Abgeordneter der liberalen Partei Jesch Atid ("Es gibt eine Zukunft") im israelischen Parlament, der Knesset. Zuvor war er Mitglied der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte und langjähriger Bediensteter des israelischen Auslandsnachrichtendienstes Mossad, unter anderem von 2009 bis 2011 dessen stellvertretender Direktor.