Ist ein Krieg zwischen den USA und China unvermeidlich?

Der Konflikt um Taiwan spitzt sich zu. Warum die nächte große Krise im Pazifik stattfinden könnte.

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Der Krieg in der Ukraine, Hungersnöte, Klimawandel und die Corona-Pandemie – die Welt steht vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen, und schon zieht am östlichen Horizont die nächste Krise heran: Die Lage um Taiwan ist angespannt wie seit Jahren nicht mehr.

Warum Taiwan der Konfliktherd zwischen China und den USA ist – und die Lage immer gefährlicher wird

Für China ist der Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosis in Taipeh eine skandalöse Einmischung in innere Angelegenheiten. Peking sieht Taiwan als abtrünniges Gebiet und will es unter seine Kontrolle bringen, wenn nötig auch mit Waffengewalt. Die Antwort Pekings war dementsprechend heftig: In den Tagen danach probte China die Eroberung Taiwans zu Luft und zu Wasser, ließ Kampfflugzeuge fliegen, entsandte Kriegsschiffe und schoss Raketen ins Meer.

Chinesische Militärmanöver nahe Taiwan sind zwar nichts Neues, und Taiwan steht auch schon lange im Fokus der Auseinandersetzung zwischen den USA und China. Doch diesmal, nach dem Besuch Pelosis, sind die Militärübungen länger und weitreichender als sonst. Eine toxische politische Gemengelage in den USA wie in China macht die Lage besonders gefährlich.

Der Konflikt um die Unabhängigkeit Taiwans beginnt mit dem Chinesischen Bürgerkrieg von 1949. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war Taiwan wieder unter chinesische Führung gefallen, doch bereits vier Jahre später brach in der Volksrepublik ein Krieg zwischen der nationalistischen Regierung von Chiang Kai-shek und Mao Zedongs Kommunistischer Partei aus. Als die Kommunisten 1949 die Macht in Peking übernahmen, flohen Chiang Kai-shek und die Überbleibsel seiner Partei – die Kuomintang – nach Taiwan. Dort regierten sie die kommenden Jahrzehnte, bis heute sind die Kuomintang eine der einflussreichsten Parteien in dem demokratisch geführten Land.

Im Konflikt um Taiwan beziehen sich beide Seiten auf die Geschichte. China argumentiert, dass Taiwan ursprünglich eine chinesische Provinz war. In den Augen Taipehs aber war es nie Teil des modernen chinesischen Staates, der erst 1949 von Mao gegründet wurde.

Nur 13 Staaten sowie der Vatikan erkennen Taiwan, offizieller Name „Republik China“, als souveränen Staat an. Die USA gehören ebenso wie Österreich nicht dazu, doch das ändert nichts daran, dass das 23-Millionen-Einwohner-Land zu Washingtons wichtigsten Verbündeten im Pazifik zählt. Militärisch ist Taiwan nicht in der Lage, sich gegen China zu wehren, dazu braucht es die Unterstützung der USA. Umgekehrt verfolgt auch Washington strategische Ziele. Taiwan dem großen Nachbarn zu überlassen, würde die Interessen des Westens gefährden. 

Denn Taiwan ist auch für die globale Wirtschaft von zentraler Bedeutung: Mehr als die Hälfte der weltweit verarbeiteten Computerchips für Alltagsgeräte wie Laptops, Handys und Spielkonsolen werden in Taiwan produziert. Bei einer Machtübernahme Chinas hätte Peking eine der wichtigsten Industrien unter seiner Kontrolle. 

Warum ist der Konflikt jetzt eskaliert?

Der Krieg in der Ukraine war erst wenige Wochen alt, da rückte plötzlich Taiwan in den Fokus. Chinesische Kriegsschiffe waren wieder einmal gefährlich nahe an die Insel herangekommen – und der Angriff Russlands auf die Ukraine nährte die Befürchtung, dass Peking mit Taiwan ähnlich vorgehen könnte.

In China verfolgt Präsident Xi Jinping eine stramm nationalistische Agenda, unter ihm hat sich der Konflikt um Taiwan verschärft. Xi spricht gern vom Niedergang des Westens und vom Aufstieg des Ostens. Bei vielen Chinesen, die von der Öffnung des Landes nach Mao profitiert und einen gewissen Wohlstand erreicht haben, ist in den vergangenen Jahrzehnten ein neues Selbstbewusstsein entstanden. Das spiegelt sich auch in der Taiwan-Frage wider.

Mit der Entsendung von Kampffliegern – bis zu knapp 60 täglich – in den taiwanesischen Luftraum hat China Ende vergangenen Jahres den Druck erhöht. Am Parteitag im Herbst will sich Xi als erster Staatspräsident der Volksrepublik eine dritte Amtszeit bestätigen. Mit diesem Ziel vor Augen kann er es sich nicht leisten, nachgiebig zu erscheinen, vor allem nicht in der Taiwan-Frage.

Die Volksrepublik ist für die USA vom Rivalen zum Erzfeind geworden. 

Nationalistische Tendenzen haben auch in den USA zugenommen. Während seiner Amtszeit hat Donald Trump einen erbitterten Wirtschaftskrieg mit der Volksrepublik ins Rollen gebracht. Biden hat daran wenig geändert. Republikaner wie Demokraten haben Chinas Aufstieg zur Weltmacht mit Misstrauen verfolgt, die Volksrepublik ist für die USA vom Rivalen zum Erzfeind geworden. Doch der Besuch Pelosis kam auch für die Regierung von Präsident Biden zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Immerhin ist damit neben dem Konflikt mit Russland eine weitere Frontlinie entstanden – noch dazu mit der aufstrebenden Weltmacht China.

Untersagen wollte Biden den Besuch Pelosis dennoch nicht. Er kann es sich vor den Midterm-Wahlen im Herbst nicht leisten, als nachgiebig gegenüber China dazustehen. Biden gilt als schwacher Präsident, seine Umfragewerte sind auf einem historischen Tiefstand.

Auf Begeisterung stieß Pelosis Visite bei den oppositionellen Republikanern, die ihre Feindschaft zu China zu einem ihrer Kernthemen gemacht haben. Der republikanische Anführer im Senat Mitch McConnell, eigentlich Pelosis mächtigster Gegner, stellte sich in dieser Sache ausdrücklich hinter sie und sprach von einem bedeutenden Besuch.

Was ist „Strategische Zweideutigkeit“?

Würden die USA Taiwan im Fall eines Angriffs Chinas militärische Hilfe leisten? Die Strategie Washingtons war es bisher, in dieser Frage möglichst vage zu bleiben. Zur „Strategischen Zweideutigkeit“ gehört auch, die Ein-China-Politik Pekings nicht offiziell infrage zu stellen. Die Prämisse lautet, dass neben Festlandchina auch die Metropole Hongkong sowie Taiwan zur Volksrepublik gehören. Die USA haben die Ein-China-Politik bereits Anfang der 1970er-Jahre offiziell anerkannt. In der Praxis heißt das, Taiwan nicht als Staat anzuerkennen und diplomatische Beziehungen ausschließlich mit Peking zu pflegen, also keine Botschafter nach Taipeh zu entsenden.

Diese Politik hat Biden zuletzt offen infrage gestellt. Auf die Frage, ob die USA Taiwan im Ernstfall militärisch zu Hilfe eilen würden, antwortete er Ende Mai mit einem deutlichen Ja. Zwar beeilte sich das Weiße Haus, zu betonen, dass Washington seine Position nicht geändert habe. Doch Taiwan ist längst zum größten Problem zwischen den USA und China geworden, jedes Wort wiegt folglich schwer.

Bidens scharfe Töne sind auch ein Symptom des Wettstreits zwischen Demokraten und Republikanern darüber, wer gegenüber Peking die härtete Position einnimmt. Erst im vergangenen November reiste eine Delegation von Republikanern nach Taipeh, um Präsidentin Tsai Ing-wen zu treffen. Die Republikaner sehen in China den gefährlichsten Feind der USA und werfen den Demokraten schon lange vor, im Umgang mit der Volksrepublik zu beschwichtigend zu agieren. Diesem Argument hat Pelosi für den Wahlkampf vor den Midterm-Wahlen mit ihrem Besuch den Boden entzogen.

Ist ein Krieg unausweichlich?

An einem Krieg um Taiwan dürften weder die USA noch China interessiert sein. Genauso unwahrscheinlich ist aber, dass eine der beiden Seiten in der Sache nachgibt.

Die rund 100 Kilometer südlich vom chinesischen Festland gelegene Insel ist Teil der „First Island Chain“, einer Reihe von Staaten, die eng mit den USA verbündet und für die Außenpolitik Washingtons von zentraler Bedeutung sind. 

Angesichts einer zunehmend aggressiv agierenden Volksrepublik wollte sich Biden ursprünglich ganz auf den Pazifik konzentrieren. Zwar kam der Krieg in der Ukraine dazwischen, wichtiger ist in den Augen Washingtons aber nach wie vor der Erzfeind China. Trumps Amtszeit mag einen Tiefpunkt in den Beziehungen zu China gebracht haben, doch institutionalisierte Kontakte zwischen den beiden Ländern gibt es auch unter Biden kaum. Gespräche zwischen dem US-Präsidenten und Xi sind äußerst selten. Säbelrasseln, Einschüchterungen und Provokationen haben diplomatische Versuche, Eskalationen zu vermeiden, längst abgelöst.

Einen militärischen Angriff Chinas auf Taiwan hält der Militärexperte Franz-Stefan Gady dennoch für unwahrscheinlich – zumindest auf absehbare Zeit. Auf eine militärische Invasion sei die chinesische Volksbefreiungsarmee nicht vorbereitet. Hinzu kommt, dass China mit der Pandemie, großräumigen Lockdowns und sinkendem Wachstum genug zu tun hat.

Langfristig kann sich das aber ändern. „Das gesamte amerikanische Marine Corps stellt sich komplett darauf ein, in naher und mittlerer Zukunft einen Krieg gegen China in Ostasien zu führen“, sagt Gady. Für Washington habe das Taiwan-Szenario erste Priorität: „Es wird alles darauf trainiert.“

Die Midterm-Wahlen im Herbst, bei denen die Republikaner die Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses anstreben, könnten die Beziehungen zwischen den USA und China weiter verschärfen. Sollten die Republikaner siegen, haben sie bereits eine Reise mit einer großen Delegation nach Taipeh geplant.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.