Italien: Giuseppe Conte wird neuer Premierminister
Fast 80 Tage nach den Parlamentswahlen am 4. März bahnt sich in Italien eine neue Regierung an. Nach einem zweistündigen Gespräch im Quirinalpalast in Rom hat der italienische Präsident Sergio Mattarella dem parteiunabhängigen Juristen Giuseppe Conte den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Der 53-Jährige, der von Lega und Fünf Sterne-Bewegung nominiert wurde, nahm den Auftrag mit Vorbehalt an.
Politikwissenschafter Blasberg zum neuen italienischen Regierungschef
Der Süditaliener Conte wird erst sondieren müssen, ob er im Parlament über eine tragfähige Mehrheit verfügt. Erst dann will er Mattarella eine Ministerliste vorlegen. Mit dem Präsidenten habe er sich über die Herausforderungen unterhalten, die Italien bevorstehen. Er werde sich für die "internationale und europäische Aufstellung Italiens" engagieren. Conte hat keinerlei politische Erfahrung, steht aber der Fünf-Sterne-Bewegung nahe. Er war zuletzt ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, weil er seinen Lebenslauf aufpoliert haben soll.
"Regierung der Bürger" für Italien
Conte erklärte, er wolle eine "Regierung der Bürger" aufbauen und Italiens Interessen in Europa vertreten. "Italien wartet auf die Entstehung einer Regierung und auf Antworten. Wir stehen vor der Bildung einer Regierung des Wechsels", versicherte der 53-jährige Rechtsprofessor. "Ich bin Professor und Anwalt, ich habe in meinem Leben die Interessen vieler Bürger vertreten. Jetzt will ich die Interessen der Italiener auf allen Ebenen verteidigen. Ich will der Verteidiger des italienischen Volks sein. Ich will mich dafür voll engagieren", so Conte.
Lega-Chef Matteo Salvini zeigte sich überzeugt, dass die neue Regierung das Vertrauen des Parlaments erhalten werde, auch wenn sie im Senat nur über eine dünne Mehrheit von sechs Stimmen verfüge. "Ich denke an eine Regierung, die die Maßnahmen gut und schnell umsetzt", sagte Salvini. Er selber seit bereit, dem neuen Kabinett beizutreten. Der 45-jährige Mailänder ist als Innenminister im Gespräch.
Diskutiert wird unterdessen über die Aufteilung der Ressorts. Die Lega drängt auf den europakritischen Ökonom Paolo Savona als Wirtschaftsminister. Zu Savona soll Mattarella jedoch Bedenken geäußert haben.
Die italienischen Industriellen beobachten die politischen Entwicklungen in Rom mit Sorge. Das Koalitionsprogramm der Regierungsparteien Lega und Fünf-Sterne-Bewegung enthalte zu wenige Informationen über die Finanzierung der darin enthaltenen Maßnahmen, betonte der Chef des Unternehmerverbands Confindustria, Vincenzo Boccia, bei der Jahresversammlung am Mittwoch in Rom. Vor allem die geplante Änderung der seit 2012 in Kraft getretenen Pensionsreform "Fornero" macht Boccia zu schaffen. Das Regierungsprogramm enthalte seiner Ansicht nach nicht ausreichende Maßnahmen zur Ankurbelung der Jugendbeschäftigung.
Sorgen vor einer neuen Eurokrise
Auch in der EU-Kommission stößt das Programm der angestrebten italienischen Regierungskoalition auf Kritik und nährt Sorgen vor einer neuen Eurokrise. "Vor dem Hintergrund seiner systemischen Bedeutung ist Italien eine Quelle von potenziellen, signifikanten Auswirkungen auf den Rest der Eurozone", erklärte die Kommission am Mittwoch in ihren länderspezifischen Empfehlungen. Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis forderte von der designierten neuen Regierung eine verantwortungsbewusste Haushaltspolitik. Italien müsse weiter seine hohen Staatsschulden abbauen und Strukturreformen fortsetzen, sagte er. EU-Wirtschafts-und Währungskommissar Pierre Moscovici sagte, es müsse eine vertrauenswürdige Antwort der Regierung auf die Schuldenfrage geben.
Reinhold Lopatka, Nationalratsabgeordneter und Europa-Sprecher der ÖVP sah Italien bereits in einer Allianz mit EU-kritischen Staaten: "Die Visegrad-Staaten haben jetzt einen Fünften bekommen. Da bin ich mir ganz sicher, dass die Italiener bald mehr inhaltliche Gemeinsamkeiten mit den Visegrad-Staaten abdecken werden, als mit (dem französischen Präsidenten Emmanuel) Macron."