Italien: Die Wiederkehr von Silvio Berlusconi
Es war zum Genieren: Anfang der Nuller-Jahre sorgte im Privatfernsehen eine Reality-TV-Show mit dem Titel "My Big Fat Obnoxious Fiancé" ("Mein großer, dicker, peinlicher Verlobter") für immense Einschaltquoten. Die Herausforderung für die jeweilige Kandidatin bestand darin, ihre nichtsahnende Familie davon zu überzeugen, dass sie im Begriff war, einen durch und durch unmöglichen Mann zu heiraten. Schaffte sie es, die Scharade bis unmittelbar vor dem Ja-Wort in der Kirche aufrechtzuerhalten, winkte ein hoher Geldpreis.
Das Format wurde unter anderem in den USA, Deutschland und Frankreich ausgestrahlt - seltsamerweise aber nicht in Italien, wo das Privatfernsehen so abgründig ist wie sonst nirgends in Europa. Dort läuft aktuell allerdings bereits die siebte Staffel der Politversion des Fremdschämspektakels. Die Kandidatin ist das ganze Land, die Familie der Rest Europas - und der Verlobte heißt Silvio Berlusconi: Er ist zwar nicht groß und dick, aber ganz und gar unmöglich.
Nach einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung darf Berlusconi bis 2019 keine öffentlichen Ämter bekleiden. Wenn die Meinungsforscher nicht irren, wird der mittlerweile 81-Jährige bei den Parlamentswahlen am 4. März trotzdem die meisten Stimmen bekommen - genauer gesagt: die Allianz seiner rechtspopulistischen Forza Italia mit der ausländerfeindlichen Lega Nord und den postfaschistischen Fratelli d'Italia, die er repräsentiert, ohne sie offiziell zu führen. Das Bündnis liegt in den Umfragen mit über 37 Prozent klar an erster Stelle.
Liste an Peinlichkeiten
Auch wenn das nicht für die Bildung einer Regierung reicht und Forza Italia lediglich auf 15 Prozent geschätzt wird: Halten die Prognosen, dann würde Berlusconis Koalition deutlich besser abschneiden als die Wahlsieger in vielen anderen europäischen parlamentarischen Demokratien. Die deutschen Unionsparteien CDU/CSU erreichten bei der Bundestagswahl im vergangenen September 32,9 Prozent, die ÖVP holte bei der Nationalratswahl in Österreich 31,5 Prozent der Stimmen - und das, obwohl ihre Spitzenkandidaten Angela Merkel und Sebastian Kurz im Gegensatz zu Berlusconi weder pathologisch verhaltensorginell noch vorbestraft sind.
Die Liste der Peinlichkeiten und Vergehen, die sich Berlusconi erlauben konnte, ohne die Gunst der Wählerinnen und Wähler gänzlich zu verlieren, ist schier endlos.
Bereits seine erste Kandidatur im Jahr 1994 absolviert er als rechtskräftig Verurteilter (wegen Meineids) und dringend Verdächtiger (wegen Verdachts auf Schmiergeldzahlungen, Bilanzfälschung und illegale Parteienfinanzierung). Dazu kommt der Vorwurf, Berlusconi missbrauche die beherrschende Stellung seiner TV-Sender auf dem italienischen Fernsehmarkt für politische Zwecke.
Trotzdem wird Forza Italia 1994 mit 21,01 Prozent die stärkste politische Kraft. Das Kabinett, das Berlusconi mit der Lega Nord bildet, zerfällt jedoch nach wenigen Monaten aufgrund von internen Streitigkeiten. Bei vorgezogenen Neuwahlen zwei Jahre später kommt die Forza Italia mit respektablen 20,57 Prozent auf Platz zwei, mangels Koalitionspartner aber nicht an die Macht.
2001 formt Berlusconi mit einem Ergebnis von 29,43 Prozent eine Regierung, die trotz einiger Umbildungen fünf Jahre im Amt bleibt - und damit länger als alle anderen in Italien seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Er nutzt die Zeit nicht nur, um den damaligen EU-Abgeordneten Martin Schulz zu beleidigen ("Ich weiß, dass ein Produzent in Italien gerade einen Film über die Konzentrationslager der Nazis dreht. Ich werde Sie für die Rolle des Kapo vorschlagen"), sondern auch, um sich ganz offen selbst Vorteile zu verschaffen.
Immunitätsgesetze
Ein Mediengesetz soll ihm konzerneigenen Schätzungen zufolge finanzielle Vorteile im Ausmaß von bis zu zwei Milliarden Euro bringen, zwei politische Immunitätsgesetze dienen ihm dazu, sich selbst vor Strafverfolgung zu schützen (beide werden später vom Verfassungsgericht kassiert). Einer der engsten Mitarbeiter des Premierministers wird wegen Unterstützung der Mafia in erster Instanz zu neun Jahren Haft verurteilt.
2006: Forza Italia verliert mit 23,66 Prozent knapp die Parlamentswahl.
2007: Es wird bekannt, dass im Umfeld der Übernahme eines Verlagshauses durch Berlusconis Medienkonzern ein Richter bestochen wurde.
2008: Forza Italia gewinnt unter ihrem neuen Namen Popolo della Libertà (Volk der Freiheit) mit 37,39 Prozent. Berlusconi freut sich angesichts der Wahl von Barack Obama über einen "jungen, schönen und gut gebräunten" US-Präsidenten und bändelt mit der 17-jährigen Noemi Letizia an, beschenkt sie mit Juwelen und lässt sich von ihr "Papi" nennen. Als Regierungschef versucht er erneut, sich gegen strafrechtliche Verfolgung zu immunisieren - erfolglos, denn das Oberste Gericht hebt die dazu erlassenen Gesetze wieder auf, die Justiz rückt dem Ministerpräsidenten immer näher.
Ein Jahr später rät er den Überlebenden eines Erdbebens in den Abruzzen, die Situation zu nehmen "wie einen Campingurlaub", und schickt bei den EU-Wahlen drei politisch völlig unbedarfte Kandidatinnen ins Rennen - eine Ex-TV-Ansagerin, eine Fernsehschauspielerin und eine Sängerin. In diesem Jahr sinken Berlusconis Umfragewerte erstmals unter 50 Prozent.
"Bunga Bunga"-Partys
Immer mehr Gerichtsverfahren, immer offensichtlichere Schönheitsoperationen und immer fragwürdigere Kontakte zu jungen Frauen: 2010 nimmt die Mailänder Polizei eine Minderjährige fest, die an mehreren von Berlusconi veranstalteten "Bunga Bunga"-Partys teilgenommen hat. Der Ministerpräsident erwirkt ihre Freilassung. 2011 wird bekannt, dass er einen Regierungsjet dafür verwendet hat, Gespielinnen einfliegen zu lassen. Im gleichen Jahr tritt Berlusconi zurück.
Anfang 2013 stürzt seine Partei bei den Wahlen mit 21,56 Prozent auf Platz drei ab. Im Juni dieses Jahres wird Berlusconi wegen Amtsmissbrauchs und Förderung der Prostitution Minderjähriger in erster Instanz zu sieben Jahren Haft verurteilt, im August wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig zu vier Jahren Haft. Ein Ämterverbot folgt.
Die Zwischenbilanz lässt sich sehen: Bislang wurde Silvio Berlusconi persönlich mehr als zwei dutzend Mal vor Gericht angeklagt, drei Mal rechtskräftig und zwei Mal in erster Instanz verurteilt, sieben Mal wegen Verjährung freigesprochen, vier Mal aus Mangel an Beweisen. Weitere sieben Verfahren gegen ihn wurden eingestellt, drei sind weiterhin im Gange.
Inzwischen heißt Popolo della Libertà wieder Forza Italia, und es wäre nicht Berlusconi, wenn er sich von den noch laufenden Untersuchungen im Wahlkampf bremsen ließe. Bei seinen Auftritten setzt er auf den rechten Zeitgeist und seine Erfolgsrezepte - etwa mit Forderungen nach einer härteren Ausländerpolitik und der Abschaffung der eingetragenen Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare.
Letztlich vertraut er aber vor allem auf seine eigene Strahlkraft. "Ich bin wie guter Wein", twitterte er am vergangenen Mittwoch: "Mit dem Alter werde ich besser, und jetzt bin ich perfekt."
Damit macht sich Italiens peinlicher Verlobter auf den Weg in die Kirche - und es ist nicht ausgeschlossen, dass das Land tatsächlich "Ja" zu ihm sagt.