Jemen: "Gesundheitssystem ist zusammengebrochen"
profil: Seit mittlerweile drei Jahren herrscht im Jemen Bürgerkrieg. Sie sind seit März 2017 vor Ort, welche Entwicklung haben Sie beobachtet?
Bernadette Schober: Das Gesundheitssystem im Jemen hat seit 2015 kontinuierlich abgebaut und ist mittlerweile weitgehend zusammengebrochen. Das liegt einerseits an den Kampfhandlungen, andererseits daran, dass das medizinische Personal seit einem Jahr keine Gehälter mehr erhalten hat. Um zu überleben, ziehen die Mitarbeiter in die größeren Städte oder arbeiten in teuren Privatkliniken, die sich die normale Bevölkerung nicht leisten kann.
profil:Seit November verhindert die Allianz um das Nachbarland Saudi-Arabien die Importe in den Jemen, wie wirkt sich diese Blockade aus?
Schober:Der Jemen ist zu großen Teilen von Importen abhängig, die Blockade führt zu rasanten Preisanstiegen. Aufgrund der Teuerungen bei Lebensmitteln beobachten wir mittlerweile einen deutlichen Anstieg der Mangelernährung bei Kindern unter fünf Jahren. Viele Familien kochen nur noch eine Mahlzeit pro Tag, manche können sich einfach nichts mehr leisten.
Unser Team bemerkt die Blockade vor allem bei den Treibstoffpreisen, denn die Stromversorgung läuft primär über Generatoren. Es kommen auch immer weniger Patienten zu uns ins Krankenhaus, weil sie sich die Fahrt hierher nicht mehr leisten können. Natürlich wird auch der Nachschub von Medikamenten und Personal immer schwieriger, unsere Vorräte werden irgendwann zur Neige gehen.
profil:Vergangenes Jahr gab es im Jemen den schlimmsten bekannten Cholera-Ausbruch, hat sich hier die Situation weiter verschlimmert?
Schober:Wir hatten damals sozusagen die "perfekte" Lage für eine Epidemie. Mittlerweile ist die Regenzeit vorbei und die Infektionen nehmen ab. Da es aber kaum sauberes Trinkwasser gibt, rechnen wir mit einem erneuten schweren Ausbruch. Bisher wurden eine Million Menschen infiziert. Alleine bei uns im Krankenhaus haben wir 8000 Menschen behandelt. Nun haben wir zusätzlich den ersten Ausbruch von Diphtherie im Jemen seit 1982. Allein daran sieht man, wie weit das Gesundheitssystem schon zurückgeworfen wurde.
Wir versuchen eine stabile Unterstützung für das medizinische Personal vor Ort zu sein und die Krankenhäuser in ihrer Selbstversorgung zu stärken, also zum Beispiel eine eigene Wasserversorgung herzustellen. Wir gehen auch immer mehr hinaus in kleinere Dörfer um die Auswirkungen der Blockade zu beobachten, rechtzeitig auf Krankheitsausbrüche und Bedürfnisse zu reagieren und Prävention zu machen.
profil:Ist die Krise im Jemen zu wenig im Fokus unserer Wahrnehmung?
Schober:Meiner Meinung nach handelt es sich um eine der am meisten ignorierten Krisen der Welt. Die globale Gemeinschaft muss hier mehr Verantwortung übernehmen, vor allem wenn man die Tragweite dieses Krieges bedenkt. Je länger die Blockade des Landes noch andauert, desto abhängiger werden die Menschen von Hilfslieferungen, weil die Wirtschaft zerstört wird, wenn diese dann aber auch nicht ins Land gelassen werden, wird es kritisch.
Bernadette Schober ist Projektkoordinatorin für Ärzte ohne Grenzen und seit März 2017 in der Provinz Ibb im Jemen im Einsatz.