Swinson: "Werde Jeremy Corbyn sicher nicht in die Downing Street helfen"
Jo Swinson ist mit 39 Jahren die jüngste Parteichefin und die erste Frau, die 2019 den Vorsitz bei den britischen Liberaldemokraten übernommen hat. Die glühende Proeuropäerin will den Brexit absagen und den Austrittsantrag - gemäß Artikel 50 der EU-Verträge - umstandslos zurückziehen, sollte sie zur Premierministerin gewählt werden. Bisher haben die Liberaldemokraten allerdings nur 20 Sitze im britischen Unterhaus; für eine Mehrheit wären 326 Mandate erforderlich. Swinson war Staatssekretärin in der Koalition von Konservativen und Liberaldemokraten (2010-2015). Bis heute wird ihr vorgeworfen, dass sie damals der Erhöhung von Studiengebühren zugestimmt hat, obwohl die Liberaldemokraten sich vorher strikt dagegen ausgesprochen hatten. Swinsons Wahlkreis ist das schottische East Dunbartonshire nördlich von Glasgow. Swinson, die selbst aus Glasgow stammt, wurde dort 2017 mit großer Mehrheit gewählt. Die schottischen Nationalisten wollen ihr den Wahlkreis abspenstig machen. Sie fordern, dass Schottland ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum abhält und aus dem Vereinigten Königreich austritt. Jo Swinson lehnt auch das strikt ab.
INTERVIEW: TESSA SZYSZKOWITZ, LONDON
profil: Sie haben Ihre Kampagne darauf aufgebaut, sich als kommende Premierministerin anzubieten. Der Sprung von derzeit 20 Abgeordneten auf die dafür nötigen 326 erscheint aber unrealistisch. Ihre Werte sind in jüngsten Umfragen eher gesunken. Haben Sie die falsche Strategie gewählt? Swinson: Ich fürchte, eine Zukunft unter Boris Johnson (dem Spitzenkandidaten der konservativen Torys, Anm.) oder Jeremy Corbyn (dem Spitzenkandidaten der Labour-Partei, Anm.) wäre eine düstere Angelegenheit für unser Land. Die Leute hören Johnson oder Corbyn zu, und es wird immer klarer, dass das, was sie sagen, keinen Sinn ergibt. Mit den beiden Herren haben wir entweder einen harten Brexit oder gar keine Position zum Brexit. Alle ihre Optionen machen Britannien ärmer . Wir brauchen eine bessere Vision für das Vereinigte Königreich. Als Liberaldemokratin habe ich eine klare Haltung: Lasst uns den Brexit stoppen und die 50 Milliarden Pfund, die wir dadurch bis 2025 sparen, in grüne Energie, Schulen und unser Gesundheitssystem investieren. Unsere europäischen Partner sind uns näher als alle anderen. Wenn wir in der EU bleiben, können wir auch das Vereinigte Königreich zusammenhalten.
profil: Müssen Sie nicht sogar befürchten, das Mandat in Ihrem eigenen Wahlkreis zu verlieren? Nach britischem Recht kann nur Premierminister werden, wer auch einen Sitz im Parlament hat. Swinson: Ich bin nicht selbstgefällig genug, um anzunehmen, dass das nicht passieren könnte. Ich bin aber auch recht selbstbewusst und denke, dass meine Wähler mich behalten wollen. In Schottland geht es um zwei Dinge: den Brexit und Schottlands Zukunft. Ob Schottland Teil des Vereinigten Königreichs bleibt oder ein unabhängiger Staat werden soll. Bei beiden Themen sind die Schotten sehr engagiert. In meinem Wahlkreis kommen viele Leute auf mich zu, die sich sorgen, dass es bald zu einem zweiten Referendum über die schottische Unabhängigkeit kommen könnte und dass Schottland dann tatsächlich einen eigenen Weg geht. Davor haben sie Angst, denn für die schottische Gesellschaft und die schottische Wirtschaft wäre das eine große Umstellung. Wir Liberaldemokraten sind für den Verbleib im Vereinigten Königreich, und wir wollen auch in der EU bleiben. Ich trete klar für beide Unionen ein. Wir sind die einzige Partei, die das tut.
profil: In Schottland wählen diejenigen, die im Vereinigten Königreich bleiben wollen, eher die Konservativen. Die Proeuropäer wiederum können auch für die schottischen Nationalisten votieren, die gegen einen Brexit sind. Werden die Liberaldemokraten dazwischen zerrieben? Swinson: Bei den Wahlen 2017 war diese Analyse wahrscheinlich richtig. Doch inzwischen hat sich viel verändert. In den vergangenen Monaten haben die Wähler eines von den Konservativen lernen können: Premierminister Boris Johnson kümmert der Erhalt des Vereinigten Königreichs wenig. In den Verhandlungen über einen Brexit-Deal mit Brüssel hat er die Nordiren einfach verkauft. Er hatte zwar seinen Partnern von der nordirischen DUP versprochen, dass kein britischer Premierminister je einer Grenze zwischen Nordirland und Irland zustimmen wird, aber was passierte dann? Genau das! Er hat einen schlimmen Brexit-Deal ausgehandelt, in dem Nordirland in der EU-Zollunion bleibt und die neue Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien im irischen Meer verläuft. Man kann Boris Johnson einfach nicht vertrauen, wenn es um die Zukunft des Vereinigten Königreichs geht. Man kann sich nicht auf ihn verlassen, egal um welche Union es sich handelt. Das sehen die Schotten auch so.
profil: Wer aber für die Labour-Party stimmt, bekommt zumindest ein Referendum über den Brexit. Könnte dies nicht für viele attraktiver sein, als den EU-Austritt einfach abzusagen, wie Sie es vorgeschlagen haben? Swinson: Labour ist keine Partei, die für den Verbleib in der EU eintritt. Jeremy Corbyn hat uns soeben wieder mitgeteilt, dass er zwar einen neuen Deal aushandeln und dann darüber ein Referendum abhalten will, dass er sich aber aus der Entscheidung für oder gegen den Deal heraushalten will. Corbyn würde sich an der Kampagne überhaupt nicht beteiligen.
profil: Viele Briten finden, man müsse das Brexit-Votum vom Juni 2016 respektieren und den Brexit endlich durchsetzen. Nach jüngsten Umfragen sind aber 55 Prozent der Bevölkerung für den Verbleib in der EU. Das Land ist also gespalten. Fordert Labour nicht zu Recht ein zweites Referendum, damit die Menschen selbst entscheiden können? Swinson: Ich bin nicht gegen ein Referendum, verstehen Sie mich nicht falsch! Doch jetzt geht es erst einmal um die Wahlen am 12. Dezember. Dafür wollten wir eine Allianz der Proeuropäer bilden. Unserer Initiative "Unite To Remain" haben sich die Grünen in England und die sozialdemokratische Plaid Cymru in Wales angeschlossen. Mit Labour geht das allerdings nicht, weil der Labour-Chef nicht dafür ist, in der EU zu bleiben.
Bin bereit, mit jedem einzelnen Wähler zu diskutieren.
profil: Das britische Wahlrecht ist für Sie nachteilig, weil der stärkste Kandidat in einem Wahlkreis ein Mandat bekommt und der Rest der Stimmen einfach verloren geht. Swinson: Der Zustand der beiden großen Parteien ist schlimm. Wir müssen eine Alternative bieten. Ich bin bereit, mit jedem einzelnen Wähler zu diskutieren und zu erklären, wofür wir stehen. Manche mögen unsere klare Position, andere nicht. Das ist Demokratie. Aber ich werde meine Überzeugungen nicht ändern, nur weil sie jemandem nicht gefallen. Ich lade im Gegenteil die Leute ein, sich mit mir auseinanderzusetzen.
profil: Hätten Sie jemals mit Labour eine taktische Allianz gebildet, wenn deren Brexit-Position klarer gewesen wäre? Oder ist Labour unter Jeremy Corbyn sowieso zu links für Sie? Swinson: Ich werde Jeremy Corbyn sicher nicht in die Downing Street helfen. Der Brexit ist die wichtigste Frage für die nächsten Generationen, und der Chef der Labour-Opposition hat dazu keine Meinung, die er uns mitteilen möchte. Ihm fehlt es doch vollkommen an Führungsqualität. Corbyn ist kein Anführer, er ist ein Zuschauer.
profil: Laufen Sie nicht Gefahr, mit Ihren Verbalattacken Labour Stimmen wegzunehmen und damit konservativen Kandidaten zum Durchbruch zu verhelfen? Swinson: Die Labour-Party hat vor allem in Nordengland Schwierigkeiten, ihre Sitze gegen die Konservativen zu verteidigen. Dort wählen die Leute, die für einen Brexit sind, lieber gleich Boris Johnson. Wir Liberaldemokraten sind eher in London und im Süden stark und haben dort gute Chancen, Mandate von beiden Parteien zu erobern. Nur so können wir verhindern, dass Boris Johnson eine Mehrheit bekommt.
profil: Wenn aber Boris Johnson eine Mehrheit für seinen harten Brexit bekommt, wofür treten Sie dann ein? Ihre bisherige Botschaft wäre jedenfalls obsolet. Swinson: Wir würden trotzdem noch versuchen, den Brexit zu stoppen. Aber es stimmt natürlich: Wenn Johnson eine Mehrheit bekommt, wird er sie dazu benutzen wollen, seinen schrecklichen Brexit-Deal auch durchzusetzen. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir dafür sorgen, dass Boris Johnson die Wahlen nicht gewinnt.