Ein Krieg um Taiwan hätte global massive Auswirkungen: auf den Handel, die Tech-Industrie sowie das Kräftemessen zwischen den Supermächten China und USA. Am Ende geht es aber auch um die Frage, welche Staatsform sich durchsetzt. Demokratie oder Autokratie? China ist ein kommunistischer Einparteienstaat, Taiwan belegt in weltweiten Demokratie-Rankings regelmäßig einen Spitzenplatz. Als einziges Land in Asien erlaubt es die Homo-Ehe. All das ist der Führung in Peking ein Dorn im Auge. Militärisch gesehen ist Taiwan keine Bedrohung. Peking verfügt mit zwei Millionen Soldatinnen und Soldaten über die größte Armee der Welt. Taiwan hat schätzungsweise 200.000 Soldaten. Peking gibt pro Jahr fast 300 Milliarden Dollar für seine Verteidigung aus – nach den USA der zweitgrößte Wehretat der Welt. Im Fall von Taiwan sind es unter 20 Milliarden Dollar. Trotzdem ist die kleine Insel eine Bedrohung für das Regime von Xi Jinping. Taiwan liegt nur 180 Kilometer vom Festland entfernt und zeigt jeden Tag aufs Neue, wie ein Leben mit Menschenrechten, Meinungsfreiheit und Mehrparteiensystem aussehen könnte. Auch in China.
Was war neu am jüngsten Manöver?
China schickt seit Jahren Kriegsschiffe in die Gewässer rund um Taiwan, dringt mit Kampfjets in den Luftraum ein oder setzt Drohnen an den Grenzen ein. Bereits
im Mai 2024, als William Lai ins Präsidentenamt gewählt wurde, ein liberaler Politiker, der auf die Eigenständigkeit der Insel pocht, umzingelte die chinesische Volksbefreiungsarmee Taiwan und ebenso im August 2020, als die US-Politikerin Nancy Pelosi die Insel besuchte.
Für Menschen in Taiwan sind solche Übungen Alltag, sagt Claus Soong. Der Politikwissenschafter stammt selbst aus Taipeh, der Hauptstadt Taiwans, und arbeitet heute für das „Mercator Institute for China Studies“ (Merics) in Berlin. „Chinas Militärübungen lösen in Taiwan keine Panik aus“, sagt er, „für viele Taiwanesen, auch für mich, sind sie wie ein Erdbeben, mit dem immer wieder zu rechnen ist.“
Und doch, bemerkt Soong, war etwas anders am jüngsten Manöver. „In den Jahren zuvor schoss Peking Raketen über Taiwan ab oder stationierte Kriegsschiffe rund um die Insel. Jetzt wurde ganz konkret ein Blockade-Szenario geprobt, das Taiwan isoliert und so eine Intervention von außen unmöglich macht.“ Die Übung, so Soong, war so nahe an der Realität wie nie zuvor. Damit sendet Peking auch ein klares Zeichen an die USA, sich aus dem Konflikt herauszuhalten.
Würde Trump Taiwan schützen?
Die USA verfügen über Stützpunkte in asiatischen Gewässern und sind der wichtigste Waffenlieferant Taiwans. China stellt schon jetzt die zahlenmäßig größte Marine-Flotte der Welt und versucht den Einfluss der USA im Ost- und Südchinesischen Meer zurückzudrängen. Dabei geht die Volksrepublik zunehmend aggressiv vor und erhebt Anspruch auf Seegebiet, obwohl der internationale Schiedsgerichtshof in Den Haag dies für unrechtmäßig erklärt hat. Würde US-Präsident Donald Trump Taiwan im Ernstfall verteidigen?
Dieser hat in den letzten Monaten gezeigt, dass auf ihn kein Verlass mehr ist. Den ukrainischen Präsidenten ließ er aus dem Weißen Haus werfen und seinem von Russland überfallenen Land vorübergehend die Militärhilfen aufkündigen. Dazu kommen Annexionsfantasien gegen Grönland, das ein Teil Dänemarks und somit in der NATO ist. Viele Taiwanesen fragen sich, auf welcher Seite Trump in Asien eigentlich steht, wenn es tatsächlich zu einer Invasion kommen würde. Im Wahlkampf stellte Trump die unwahre Behauptung auf, Taiwan habe der USA die Chipindustrie „gestohlen“. Er forderte, dass Taiwan seine Wehrausgaben von 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf astronomische zehn Prozent erhöhen solle. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor für die Taiwanesen ist der milliardenschwere Unternehmer Elon Musk, der Geschäftsinteressen in China verfolgt, aber gleichzeitig für die Regierung von Trump tätig ist.
Ist Taiwan mit der Ukraine vergleichbar?
Trotz all dieser Unsicherheitsfaktoren glaubt der China-Experte Claus Soong nicht, dass Washington Taiwan fallenlassen würde: „Taiwan ist nicht die Ukraine. Im Kalten Krieg war Russland der systemische Gegner der USA. Heute ist es China. Die Ukraine wird als ein Problem der Europäer gesehen. Taiwan hingegen ist für die USA von strategischer Bedeutung, denn ihre Hegemonie hängt davon ab, dass Pekings Expansion in die erste Inselkette eingedämmt wird. Zudem liegt die Insel an der geopolitischen Frontlinie, um China entgegenzutreten.“ Darüber hinaus hat Taiwan noch ein Ass im Ärmel. Die kleine Insel ist ein Tech-Riese, produziert ein Viertel der weltweit eingesetzten Halbleiter und verfügt über die modernsten Mikrochips-Fertigungsanlagen der Welt. Diese Hightech-Produkte sichern Taiwan das Überleben, da die Chips in Geräten verbaut sind, die unser aller Leben bestimmen: Smartphones, Laptops, Elektroautos, aber auch Waffensysteme. Auch deswegen ist Taiwan heute der siebtgrößte Handelspartner der USA. Um den militärischen Schutzschild aufrechtzuerhalten, beugt sich die Insel bereits dem Druck Trumps. Nachdem dieser Zölle von 32 Prozent auf Waren aus Taiwan angekündigt hat, unterließ es der taiwanesische Präsident William Lai, mit Gegenmaßnahmen zu reagieren.
Lai, der in chinesischen Propaganda-Videos als Insekt über dem Feuer gebraten wird, kann es sich nicht leisten, den großen Beschützer zu verprellen. Zumindest das hat Taiwan mit der Ukraine gemeinsam: An beiden Orten zeigt sich, wie der Deal-Maker Donald Trump in der Außen,- und Sicherheitspolitik vorgeht. Militärischen Schutz gibt es nur, wenn für Trump etwas dabei rausspringt.