Klimaforscher verweigert Flugzeug: „Verrückt wäre es, nichts zu tun“
Selbst für Vielflieger dürfte eine Reise von der Insel Bougainville in Papua-Neuguinea bis nach Wien anstrengend sein: 35 Stunden inklusive dreier Umstiege braucht man, um von der nördlich von Australien gelegenen Insel bis nach Österreich zu gelangen. Für die knapp 17.000 Kilometer fallen pro Passagier etwa drei Tonnen des klimaschädlichen Kohlenstoffdioxid (CO₂) an. Weil der Klimaforscher Gianluca Grimalda dazu nicht bereit war und die Rückreise nach Europa auf dem Land- und Seeweg bestreitet, kündigte ihm sein Arbeitgeber.
Ein Telefonat aus Bangkok
Für das Institut für Weltwirtschaft (IfW) im norddeutschen Kiel untersuchte Grimalda bis vor kurzem die sozialen Folgen des Klimawandels auf Bougainville im Salomonen-Archipel: „Alle von mir besuchten Küstengemeinden haben bereits Migrationserfahrungen gemacht. Sie mussten buchstäblich ihre Dörfer verlegen. Wo früher Häuser standen, ist jetzt das Meer“, erzählt der Wissenschaftler, den profil während seines Zwischenstopps in Bangkok am Telefon erreicht.
Längere Dürreperioden führen zudem zu Ernteausfällen, die im wenig entwickelten Papua-Neuguinea Hunger zur Folge haben. Dabei treffe die Menschen vor Ort kaum eine Schuld. „Ich als Europäer produziere jedes Jahr durchschnittlich etwa acht Tonnen Kohlendioxid, in Papua sind es pro Bewohner 600 Kilogramm“, sagt der Forscher. Es rumorte in ihm. Grimalda versprach den Menschen auf Bougainville zu tun, was er könne, um seine Solidarität mit ihnen zum Ausdruck zu bringen. „Natürlich ist es nur eine symbolische Geste auf das Flugzeug zu verzichten. Aber ich habe 2000 Leuten das Versprechen gegeben und halte es ein.“ Auch, weil der Westen bereits viel versprochen und wenig gehalten habe.
Privater Verzicht?
Grimalda glaubt offenbar, die Lösung im Kampf gegen den Klimawandel sei der Verzicht beim privaten Konsum. Dass nicht alle so reisen können wie er, gesteht der Forscher zwar ein. Er bleibt trotzdem dabei: Jeder könne selbst etwas tun, zum Beispiel: Auf Fleisch verzichten. Andere Forscher sehen die größten Hebel fürs Klima eher bei multilateralen Abkommen wie der Klimakonferenz (eine Analyse der Ergebnisse lesen Sie hier) und bei technischen Innovationen wie erneuerbaren Energieträgern.
Symbolträchtig bleibt Grimaldas Aktion allemal. Nachdem von New York Times bis zur deutschen Taz zahlreiche Medien über den verwegenen Doktor mit der Wuschelmähne berichteten, „haben mir viele Leute geschrieben und gesagt, dass sie sich durch meine Aktion weniger allein fühlen. Jetzt, wo wir ganze Ökosysteme zusammenbrechen sehen, wäre das eigentlich Verrückte, nichts zu tun.“
Aktivist mit Alltagssorgen
In Kiel sah man das allerdings anders. Das IfW setzte Grimalda im September eine fünftägige Frist, um an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren, obwohl es ihm bis dato weitestgehend freistand, von wo aus er arbeitete. Zwar sei diese Forderung für ihn nicht in Frage gekommen, doch „hat mich das vollkommen aus der Bahn geworfen“, sagt der 52-jährige. „Den Job zu verlieren, ist eine der traumatischsten Erfahrungen, die man machen kann.“
Doch schlugen sich die Auswirkungen von Grimaldas Rückreise nicht nur auf die Psyche nieder, sondern auch auf den Geldbeutel. „Das Institut wusste genau, dass ich ein Drittel meines Einkommens für die Pflege meiner dementen Mutter aufbringen muss. Das Ausbleiben meines September-Gehalts ohne Vorwarnung, halte ich für unmenschlich.“
Dabei bringt der Ökonom Verständnis für seinen ehemaligen Arbeitgeber auf: „Wenn sich die gegenseitigen Prinzipien widersprechen, muss man getrennte Wege gehen. Das ist vollkommen in Ordnung“, so Grimalda. „Aber beispielweise zu fordern, ich solle den Arbeitslaptop am 18. Oktober zurückgeben, wo man ja weiß, dass ich in Papua-Neuguinea bin, ist einfach kindisch“. Man könne ein wissenschaftliches Institut „nicht wie ein Postamt führen“, setzt der Lombarde nach.
Grimalda, der mit Autorität offensichtlich ein Problem hat, wähnt die eigentliche Ursache woanders. Nachdem er sich zusammen mit anderen Aktivisten 2022 in der Stadt Wolfsburg – berühmt als Produktionsstandort des Automobilkonzerns Volkswagen – aus Protest in einem Porsche-Show-Room zwischen Luxusautos festklebt, wird bereits mit Kündigung gedroht. „Doch daraus wurde nichts, weil man mir nicht vorschreiben konnte, was ich in meiner Freizeit mache. Wahrscheinlich haben sie einfach auf die nächste Gelegenheit gewartet“, glaubt der streitbare Wissenschafter.
Bleibende Eindrücke
Gelohnt habe sich seine aktivistische Reise ohne Flugzeug aber allein schon der Eindrücke wegen. Im papuanischen Rabaul beobachtet der Wissenschafter Hafenarbeiter beim händischen Löschen einer Schiffsladung Kokosnüsse. „Für jede entladene Tonne erhält ein Sechs-Mann-Team drei Euro. Wenn wir ein Glas Kokosöl in der Hand halten, sind wir uns gar nicht über den Schweiß und die Mühen bewusst, die dahinterstecken. Langsam zu reisen, öffnet mir hundert Mal mehr als jedes Buch dafür die Augen, was Arbeit in einem armen Land zu bedeutet.“
Der Italiener schwärmt sogar über Erlebnisse auf Fähren, die anderen Reisenden das Fürchten lehren würden: „Ein Schlafsaal mit über 100 Menschen, Bettwanzen, Schmerzen von Insektenstichen. All das vergisst man beim Blick auf den Ozean und die Wellen. Du spürst den Wind und bist ganz weit weg von allem.“
Gianluca Grimalda weiß zu beobachten – und sich zu inszenieren. Da seine Aktion international für Aufsehen gesorgt hat, darf er sich Chancen auf neue Jobs ausrechnen. Eine deutsche Uni hat ihn bereits für eine Gastdozentenschaft kontaktiert, aber auch andere Optionen stehen zur Auswahl: „Selbst, wenn ich keinen Job mehr in der Wissenschaft finde, ist das möglicherweise ein Wink des Schicksals. Vielleicht werde ich dann Buchautor.“