Kaili und ihr Lebenspartner Giorgi dürften auch in dubiose Geschäfte mit Marokko verstrickt sein.

Korruptionsaffäre im EU-Parlament: Die gekaufte Demokratie

Die Zahl der verdächtigten Abgeordneten steigt, neben Katar soll auch Marokko Bestechungsgeld gezahlt haben. Was bisher bekannt ist – und was noch unklar.

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Die Verdächtigen

Im Visier der Behörden stehen bisher ausschließlich Sozialdemokraten. 

Auf der Website des Europäischen Parlaments gibt es Eva Kaili noch. Nur ist sie jetzt fraktionslos. „Independent (Griechenland)“, ist da zu lesen. Ihr Büro im EU-Parlament wurde durchsucht und versiegelt. Die 44-jährige Sozialdemokratin ist tief gefallen. Bis vor Kurzem war sie noch eine von 14 stellvertretenden Vize-Präsidentinnen des Europaparlaments, nun sitzt sie in Untersuchungshaft – wegen Korruption, Geldwäsche und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. 

Mitte Dezember wurden Eva Kaili und fünf weitere Personen festgenommen, darunter ihr Lebenspartner Francesco Giorgi, der ehemalige italienische EU-Abgeordnete Pier Antonio Panzeri sowie der Chef des internationalen Gewerkschaftsbundes Luca Visentini. In Brüssel stellte die belgische Polizei rund 1,5 Millionen Euro in bar sicher, verpackt in Koffern und Plastiksäcken, dazu Handys, Laptops und Festplatten. Was klingt wie ein Mafiafilm mit überzeichnetem Plot, hat das EU-Parlament in den wohl größten Skandal seiner Geschichte gestürzt. Der Verdacht: Kaili und die anderen sollen Geld von Katar angenommen und sich im Gegenzug für das Golfemirat starkgemacht haben. Die Immunität Kailis wurde aufgehoben, ein entsprechendes Verfahren wurde nun auch für zwei weitere Mandatare eingeleitet. Dabei dürfte es sich um Marc Tarabella aus Belgien und Andrea Cozzolino aus Italien handeln.

Der Skandal hat sich seit Dezember deutlich ausgeweitet. Offenbar kam das Bargeld – allein in Kailis Wohnung wurden 150.000 Euro gefunden, ihren Vater erwischte die Polizei  mit 600.000 Euro, verstaut in einem Koffer – zum Großteil gar nicht aus Katar. Wie der „Spiegel“ berichtet, sollen Kaili, Giorgi und Panzeri schon lange in dubiose Machenschaften verstrickt gewesen sein – mit Marokko. Laut dem Haftbefehl gegen Panzeri wurde ein für Marokko und Katar arbeitendes Netzwerk“ offenbart, das durch „Bestechung von Personen in Schlüsselpositionen“ die Arbeit europäischer Institutionen beeinflussen wollte – und das auch, aber nicht nur im Europäischen Parlament. 

Es scheint, als hätte Katar ein Netzwerk von europäischen Politikern genutzt, das Marokko bereits Jahre zuvor aufgebaut hatte. 

Die Gefälligkeiten

Ein gutes Wort hier, ein Lob da – Imagepolitur gegen Geld.

Katar ging es mutmaßlich um Einflussnahme auf den politischen Prozess. Nur: Was können einige wenige EU-Mandatare überhaupt ausrichten? Selbst Kaili als Vize-Präsidentin konnte keine richtungsweisenden Entscheidungen treffen, schon gar nicht im Alleingang. 

Eines konnte sie aber sehr wohl tun: Immer wieder das Wort für Katar ergreifen – und dem Golfemirat so zu einem Ruf als verlässlicher, attraktiver Partner des Westens verhelfen. 

Tatsächlich hat sich Kaili in den Wochen vor ihrer Verhaftung auffällig engagiert für Katar eingesetzt. Bei einer Rede vor dem Plenum lobte sie die Verbesserung der Arbeitnehmerrechte in dem durch westliche Kritik an der WM unter Druck geratenen Golfemirat und monierte, dass jeder, der sich für das Land einsetze, sofort unter Korruptionsverdacht stehe. Als das EU-Parlament Ende November über eine Resolution zur WM in Katar abstimmte, in der auch Kritik am Umgang mit Arbeitern geübt wird, habe Kaili auch Kolleginnen aus anderen Fraktionen dazu gedrängt, dagegen zu votieren, sagt der deutsche Grünen-Abgeordnete Daniel Freund im Gespräch mit profil.

Und als der Innenausschuss des Europaparlaments Anfang Dezember über Visaliberalisierungen für Katar und Kuwait entschied, hat sich Kaili offenbar regelrecht in die Abstimmung hineingeschmuggelt. Weil sie kein Mitglied des Ausschusses ist, hätte Kaili eigentlich nur in Vertretung eines Fraktionskollegen mitstimmen dürfen. Doch das war wohl nicht der Fall: Kaili habe sich ganz hinten versteckt, um ihre Stimme abzugeben, heißt es aus dem EU-Parlament, dort, wo sonst die Assistenten und Fraktionslosen sitzen. Weil damit bei der Probeabstimmung eine Stimme zu viel war, habe die sozialdemokratische Koordinatorin des Ausschusses auf ihr Votum verzichtet.

Kaili durfte mitstimmen, doch am Ende ging der Schuss nach hinten los: Zwar haben die Abgeordneten die Visaliberalisierungen mit großer Mehrheit angenommen. Doch nach den Verhaftungen wurde die Entscheidung zurückgenommen, die Angelegenheit liegt auf Eis.

Das Netzwerk

Wie weit führt die Spur des Geldes?

Bisher führen die Spuren der Ermittler nach Brüssel, Italien und Griechenland. Etliche Beobachter gehen aber davon aus, dass es noch viel größer sein und auch nationale Parlamente oder Regierungen umfassen könnte. 

Im Europaparlament soll der marokkanische Auslandsgeheimdienst bereits 2019 die italienischen Abgeordneten Panzeri, Cozzolino sowie dessen Assistenten Giorgi rekrutiert haben, um Einfluss auf die Fraktion der Sozialdemokraten zu nehmen. Zum engsten Kreis sollen auch die Abgeordneten Eva Kaili, Maria Arena, Alessandra Moretti und Brando Benifei gehört haben. Neben Panzeri, dessen NGO „Fight Impunity“ sich offiziell dem Kampf gegen Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen verschrieben hat, steht auch der Chef der NGO „No Peace Without Justice“ im Visier: Niccolò Figà-Talamanca sitzt wegen des Verdachts an der Beteiligung an einer kriminellen Organisation und Korruption in Untersuchungshaft.

Dieses Netzwerk hat später offenbar auch Katar genutzt. Über einen Verbindungsmann soll der katarische Arbeitsminister Ali bin Samikh Al Marri Kontakt zu Panzeri, Giorgi und Figà-Talamanca hergestellt haben. Die Bezahlung für Einflussnahme im Sinne Katars soll über Kreditkarten und wertvolle Geschenke erfolgt sein.

Kreditkarten und Geschenke

Marokkanischer Diplomat Atmoun (r.) mit Giorgi (l.) und Panzeri im Mai 2017 in Marokko

Das Ausmaß

Ist der Korruptionsskandal im EU-Parlament nur die Spitze des Eisbergs?

Auffällig ist, dass bisher ausschließlich Sozialdemokraten mit italienischer Staatsbürgerschaft oder guten Kontakten nach Italien ins Visier der Ermittler geraten sind. 

Das gilt vielen als Zeichen, dass der Korruptionsskandal um die Sozialdemokraten nur die Spitze des Eisbergs ist. Auch aus der konservativen EVP heißt es, dass da wahrscheinlich noch etwas kommt. 

In Brüssel steht nun der Verdacht im Raum, dass auch die EU-Kommission in den Skandal verwickelt sein könnte. Der aus Griechenland stammende EU-Kommissar Margaritis Schinas hat sich ebenfalls lobend über Katar geäußert. Später verteidigte er sich damit, mit seinem Lob über die Verbesserung der Arbeitnehmerrechte in Katar lediglich die Position der Internationalen Arbeitsorganisation ILO vorgetragen zu haben. 

Sicher ist: Die Geldflüsse dürften deutlich höher gewesen sein als das in Brüssel sichergestellte Bargeld. Laut „politico“ hat die Familie Kailis über eine Bank in Panama insgesamt mehr als 20 Millionen Euro aus Katar erhalten. Die griechische Anti-Geldwäschebehörde hat Panama nun um Informationen zu diesen Geldflüssen gebeten, um die Empfänger auszuforschen. 

Die Folgen

Ruf nach strengeren Transparenzregeln.

Auffallend ist auch, dass Marokko in den Reaktionen des EU-Parlaments bisher nicht erwähnt wurde: Für die Einflussnahme verurteilten die Abgeordneten lediglich Katar. Marokko kommt in der Resolution von Mitte Dezember nicht vor, ein Änderungsantrag der Linksfraktion, die Marokko gerne genannt hätte, wurde von einer Mehrheit der Konservativen, Sozialdemokraten und der Liberalen abgeschmettert. Lediglich die Grünen stimmten dafür. 

Der Korruptionsskandal und der Umgang damit können fatale Folgen für den Ruf des EU-Parlaments haben. Immerhin gilt das einzige supranationale Parlament, das direkt gewählt wird, als Sprachrohr für mehr als 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger aus 27 Mitgliedstaaten. 

Deshalb fordert der Grünen-Abgeordnete Freund drei Neuerungen im Kampf gegen Korruption: Die Transparenzregeln, die Abgeordneten vorschreiben, Treffen mit Lobbyisten offenzulegen, müssten künftig auch für Interessensvertreter aus Drittstaaten gelten. Für die Durchsetzung der Regeln brauche es eine unabhängige Behörde, die die Regeln des Parlaments und der Kommission überwacht. 

Und schließlich müssten Abgeordnete ihre Vermögenswerte zu Beginn und am Ende jeder Legislaturperiode offenlegen: „Besitzt einer am Anfang etwa deutlich weniger Immobilien als am Ende, sieht man, dass etwas nicht stimmt.“ 

So wie bei Eva Kaili. Sie hat sich vor Kurzem gemeinsam mit ihrem Partner Giorgi ein 7000 Quadratmeter großes Grundstück auf der griechischen Insel Paros gekauft. 

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.