Korruptionsvorwürfe gegen EU-Parlament: Der lange Arm Katars
Die Vizepräsidentin des Europaparlaments Eva Kaili wurde wegen mutmaßlicher Korruption festgenommen. Das Europaparlament erlebt den größten Skandal seit Jahrzehnten, der Imageschaden wiegt schwer.
Als 2011 herauskam, dass der damalige ÖVP-Europaabgeordnete Ernst Strasser 2010 vermeintlichen Lobbyisten Gesetzesänderungen gegen Geld angeboten hatte, gingen die Wogen hoch. Als Lobbyisten getarnte Journalisten hatten das Treffen mit Strasser heimlich mitgefilmt, er wurde wegen Bestechlichkeit zu drei Jahren Haft verurteilt.
Nun steht das EU-Parlament wieder im Fokus der Behörden. Im Zentrum des Korruptionsskandals steht diesmal die Vizepräsidentin des Europaparlaments Eva Kaili. Die Sozialdemokratin aus Griechenland soll Geld aus Katar angenommen und im Gegenzug dafür Einfluss im Sinne des Golfemirats genommen haben.
Wer sind die Beschuldigten?
Eva Kaili hat eine ungewöhnliche Karriere hinter sich. Bekannt wurde die studierte Architektin als TV-Moderatorin, 2007 zog sie als eine der jüngsten Abgeordneten ins griechische Parlament ein. In der sozialdemokratischen Pasok, die damals bereits in zweiter Generation von Männern der Familie Papandreou geführt wurde, fiel Kaili von Anfang an auf. Nach dem Bruch mit Parteichef Giorgos Papandreou zog Kaili 2014 als Abgeordnete ins Europaparlament ein, seit Jänner 2022 war sie eine von 14 Vizepräsidentinnen und -präsidenten. „Kaili war als Abgeordnete nicht sehr aktiv“, sagt SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder, der die ehemalige Fraktionskollegin flüchtig kennt, im Gespräch mit profil. Nachsatz: „Aktiv war sie offenbar schon, aber nicht so, wie es sein sollte.“ Festgenommen wurde Kaili zusammen mit fünf weiteren Verdächtigen, darunter Pier Antonio Panzeri, ehemaliger Europaabgeordneter aus Italien, Kailis italienischer Lebenspartner Francesco Giorgi sowie der Generalsekretär des europäischen Gewerkschaftsbundes Luca Visentini. Sie kamen am Sonntag in Untersuchungshaft. Laut Staatsanwaltschaft wird vier der Beschuldigten die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption vorgeworfen. Die Verhaftungen erfolgten nach monatelangen Ermittlungen durch die belgische Polizei. Von Freitag bis Montag gab es 20 Hausdurchsuchungen, eine davon im Europäischen Parlament in Brüssel. Durchsucht wurde auch das Haus des EU-Abgeordneten Marc Tarabella, einem belgischen Sozialdemokraten mit italienischen Wurzeln. Insgesamt wurden 16 Personen verhört. Der in Italien unter Hausarrest gestellte ehemalige EU-Abgeordnete Panzeri hat die Nichtregierungsorganisation „Fight Impunity“ gegründet, für die auch Kailis Partner Giorgi arbeitet. Laut Eigenbeschreibung setzt sich die NGO weltweit ausgerechnet für Menschenrechte und den Kampf gegen Korruption ein. Mehrere europäische Spitzenpolitiker hatten Posten in der NGO, darunter Frankreichs Ex-Premier Bernard Cazeneuve, der ehemalige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos und die frühere Außenbeauftragte Federica Mogherini. Sie traten am Wochenende von ihren Positionen zurück.
Was hat Katar geboten?
Wie viel Geld Kaili und die anderen Beschuldigten von Katar erhalten haben ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, nur so viel: Bei den Hausdurchsuchungen am Freitag in Brüssel hat die Polizei insgesamt 750.000 Euro Bargeld sowie Handys und Computer beschlagnahmt. Möglich wurde die Festnahme Kailis, die als Abgeordnete eigentlich unter dem Schutz der Immunität steht, weil die 44-jähige Sozialdemokratin auf frischer Tat ertappt wurde. In ihrer Wohnung wurden, in Säcken verstaut, 600.000 Euro gefunden. Den Vater Kailis erwischte die Polizei mit einem Koffer voller Bargeld. „Die waren nicht nur korrupt, sondern auch deppert“ – so fasst es SPÖ-Delegationsleiter Schieder zusammen. Die Regierung in Katar weist alle Vorwürfe zurück.
Was hat Kaili im Gegenzug für Katar getan?
Kaili hat schon in der Vergangenheit auffallend engagiert für die Golfstaaten eingesetzt. In den vergangenen Wochen ergriff sie Partei für Katar und lobte die Fortschritte des Landes. So meinte sie bei der Debatte über eine Resolution, die Katar als Austragungsort der WM kritisieren sollte, dass das Land Vorreiter bei Arbeitnehmerrechten wäre. Katar steht seit Jahren wegen der Lage der Menschenrechte und den Bedingungen, unter denen ausländische Billigarbeitskräfte schuften müssen, in der Kritik. So starben laut „Guardian“ von 2011 bis 2021 mindestens 6500 Arbeiter aus Asien – auch beim Bau von Fußballstadien. Die WM, so Kaili, sei ein Beweis dafür, „dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben“. Die Sozialdemokratin beschwerte sich auch darüber, dass jeder, der mit Katar spreche, der Korruption verdächtigt werde – eine Aussage, die in Anbetracht der jüngsten Ereignisse geradezu zynisch klingt. Am brisantesten ist aber Kailis Verhalten bei der Abstimmung über Visa-Erleichterungen für Katar und andere Länder im Innenausschuss des Europaparlaments Anfang Dezember. Kaili stimmte mit, obwohl sie gar nicht Mitglied des Ausschusses ist. Zwar können Parteifreunde einander bei Abstimmungen vertreten. Doch die Anwesenheit Kailis war laut den Sozialdemokraten nicht mit der Fraktion abgesprochen. „Dieses Verhalten ist äußerst ungewöhnlich und regelwidrig“, heißt es in einem Statement. Man habe bereits am Tag nach dem Votum ein Disziplinarverfahren gegen Kaili eingeleitet. „Sie hat sich ganz nach hinten gesetzt, weit weg von unserer Fraktion“, erinnerte sich SPD-Parlamentsvize Katarina Barley bei „ZDF heute“. „Man könnte auch sagen: Sie hat sich versteckt.“ Die Wahl ging mit großer Mehrheit im Sinne Katars aus (42 dafür, 16 dagegen), wurde mittlerweile aber zurückgenommen. Das Paket liegt nun auf Eis.
Wieso wird ausschließlich gegen Sozialdemokraten ermittelt?
Bemerkenswert ist, dass bisher fast ausschließlich Sozialdemokraten mit italienischer Staatsbürgerschaft oder italienischen Wurzeln beschuldigt sind. Kaili selbst ist zwar aus Griechenland. Doch ihr Lebensgefährte, dem sie nun laut Medienberichten die Schuld zuzuschieben versucht, ist Italiener. In Brüssel gehen viele davon aus, dass es nicht bei den Hausdurchsuchungen und Verhaftungen der vergangenen Tage bleiben wird. Auch innerhalb der konservativen EVP wird vermutet, dass noch etwas kommen könnte. „Ich kann mir vorstellen, dass auch bei anderen Fraktionen und in nationalen Parlamenten etwas auftaucht“, sagt Schieder. Das Netzwerk um Kaili bezeichnet er als „Spitze des Eisberges“. Die belgischen Behörden ermitteln jedenfalls weiter.
Was sind die unmittelbaren Folgen des Korruptionsskandals?
Kaili sitzt seit dem Wochenende in einem belgischen Gefängnis. Ihre auffällig hohen Vermögenswerte, darunter Bankguthaben, Aktienbeteiligungen und etliche Immobilien, wurden eingefroren. Parlamentspräsidentin Roberta Matsola hat Kaili bereits am Wochenende von all ihren Aufgaben entbunden. Äußerst rasch erfolgte auch die Suspendierung aus der Fraktion der Sozialdemokraten sowie aus Kailis Partei, der griechischen PASOK. Zwar gilt für Kaili die Unschuldsvermutung. Doch die Tatsache, dass sie dermaßen rasch aus Partei und Fraktion geworfen wurde deutet darauf hin, dass an ihrer Schuld kaum Zweifel besteht. Ganz aus dem Europaparlament entfernen kann man Kaili allerdings nicht, sie darf als wilde Abgeordnete weitermachen. Ihr bisheriger Platz im Plenarsaal wurde geräumt, der neue wäre ganz hinten, bei den Fraktionslosen. „Der Skandal schadet der Idee Europas und der Institution des Europäischen Parlaments“, sagt Schieder. Der Sozialdemokrat befürchtet, dass die Feinde Brüssels, populistische Politiker und bestimmte Boulevardmedien, die Affäre nutzen werden, um das Europaparlament als korrupt zu brandmarken. In Ungarn ist die Freude über den Skandal groß. Er freue sich schon auf die Tweets von Europaabgeordneten, die sich regelmäßig gegen Korruption äußerten, schreib Regierungssprecher Zoltán Kovács auf Twitter.Gedrückt, verzweifelt, wütend – so beschreibt der SPÖ-Abgeordnete die Stimmung im Europäischen Parlament. Das wurde auch bei der Rede von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola zur Eröffnung der Plenarsitzung in Straßburg am Montag deutlich. Sie sei wütend, verärgert und traurig, so die Konservative aus Malta: „Machen wir uns nichts vor. Das Europäische Parlament wird angegriffen.“ Metsola sprach von „böswilligen Akteuren, die die mit autokratischen Drittländern in Verbindung stehen“ und NGOs, Gewerkschaften, Einzelpersonen, Assistenten und Mitglieder des Europaparlaments „als Werkzeug einsetzten, um unsere Verfahren zu kontrollieren“. Das Parlament werde eine interne Untersuchung einleiten.
Welche politischen Konsequenzen gibt es?
Das Europaparlament mit seinen mehr als 700 Abgeordneten ist das einzige direkt gewählte Organ der EU. Hier werden die Gesetze für rund 450 Millionen Europäerinnen und Europäer mitbestimmt – und das Europaparlament rühmt sich damit, besonders transparent zu arbeiten und stets gegen Korruption anzukämpfen. In Brüssel, wo EU-Politik gemacht wird, tummeln sich aber auch bis zu 25.000 Lobbyisten. Sie vertreten Unternehmen, Konzerne und Nichtregierungsorganisationen und versuchen, Kontakt zu Abgeordneten herzustellen und Einfluss auf die Politik zu nehmen. Im Europaparlament haben sich nach den Verhaftungen zwei Lager gebildet. Die einen, allen voran Abgeordnete der Grünen und Linken Fraktionen, verlangen strengere Transparenzregeln vor allem im Umgang mit Lobbyisten. Die anderen, darunter Abgeordnete der deutschen CDU weisen darauf hin, dass das Verhalten Kailis und der anderen Beschuldigten auch nach geltenden Regeln kriminell wäre. „Beide Lager haben Recht“, sagt der SPÖ-Abgeordnete Schieder. „Selbst die strengsten Regeln verhindern nicht diese Art krimineller Energie. Strengere Regeln führen aber dazu, dass man früher auffliegt.“ Es gelte nun, die Transparenzregeln im Europaparlament zu verbessern. Bisher mussten sich Vertreter von Staaten, also Minister oder Botschafter, nicht in das Lobbyregister eintragen. Auch galten die Transparenzregeln nicht für Interessensvertreter aus Drittstaaten, wie Katar einer ist. Schieder fordert nun einen Untersuchungsausschuss. Die Fraktion der Sozialdemokraten werde prüfen, was schiefgelaufen sei, wie man Korruption künftig verhindern könne und behält sich auch rechtliche Schritte vor. Die Schockwelle ist alles anderes als verebbt, die Plenartagung diese Woche in Straßburg steht ganz im Zeichen der Korruptionsaffäre. Auch der Skandal um ÖVP-Mann Ernst Strasser hat Brüssel erschüttert. Geldtransfers oder Einflussnahme auf EU-Politik fanden damals allerdings nicht statt, soweit kam es nicht. Das ist diesmal anders.