Der Krieg um das Image: Neue Palästinenser-Strategie gegen Israel
Im "Oscar Goody Bag“ sind dieses Jahr wieder besonders exklusive Geschenke. Schauspieler, die für einen Academy Award nominiert sind, erhalten Gaben im Wert von 180.000 Euro. Unternehmen investieren gerne in die Stars. Sollte Michael Fassbender tatsächlich eine Zehe in den Pool ihres Hotels stecken oder Alicia Vikander sich mit dem geschenkten Bikini sehen lassen - der Werbeeffekt ist garantiert.
Israels Tourismusminister Yariv Levin hat deshalb dem Geschenksackerl eine Reise ins Gelobte Land beigefügt. Wert: 48.000 Euro. Zehn Tage lang könnten die Stars durch Jerusalems Altstadt schlendern oder in einem hippen Tel Aviver Fresstempel das Leben genießen - und dabei fotografiert werden. Levin freut sich schon auf die Hollywood-Prominenz: "Wenn sie die Einladung annehmen, wird ihr Besuch enorme Resonanz haben, auch in den sozialen Medien.“
Allerdings droht die Werbe-Aktion schon im Vorfeld der Oscar-Verleihung am 28. Februar nach hinten loszugehen. "Es gibt keine Hunger Games in Gaza, es gibt dort echten Hunger. Und zwar wegen der israelischen Belagerung“, sagt Omar Barghouti von der palästinensischen Boykott-Bewegung BDS. "Wir hoffen, dass die Oscar-Nominierten den moralischen Weg gehen und dieses Propaganda-Geschenk ablehnen.“
Neues Schlachtfeld "Public Relations"
Der Kampf zwischen Palästinensern und Israelis hat ein neues Schlachtfeld gefunden: das heikle Terrain der Public Relations. Wohl auch, weil Friedensverhandlungen de facto seit 16 Jahren auf Eis liegen und die Streitparteien sich in Kriegen erschöpft haben. Und weil Israels Image wie profil vergangene Woche berichtete (profil Nr. 6/2016), zu Hause und im Ausland aus eigenem Verschulden ohnehin schon ramponiert ist. Die Attacke ist so effektiv, dass Israels Premierminister Benjamin Netanjahu bereits im Juni 2015 eine "breite Front“ dagegen gefordert hat. Teil der Abwehrstrategie gegen die Boykottbewegung ist Verunglimpfung: Netanjahu nennt die BDS-Aktivisten "Antisemiten im modernen Gewand“.
Die Bewegung "Boykott, Divestment und Sanktionen“ will - nach dem Beispiel der Anti-Apartheid-Kampagne in Südafrika - Israel gewaltfrei in die Knie zwingen. Die von Palästinensern 2005 gegründete Menschenrechtsgruppe ruft das In- und Ausland dazu auf, Druck auf Israel auszuüben. Starken Zulauf gewinnt BDS vor allem in Amerika, Großbritannien und Frankreich. Die Aktivisten bombardieren Vorstände und Medien mit Protestbriefen, wenn bekannt wird, dass sich ein Unternehmen an einem großen Infrastrukturprojekt beteiligt, das durch die - von Israel besetzte - Westbank führt. Das französische Unternehmen Veolia etwa hat sich im August 2015 aus dem Projekt einer Stadtbahn in der Jerusalemer Gegend zurückgezogen. Die holländische Apothekenkette Alphega wiederum hat den Verkauf von Produkten des Unternehmens Ahava eingestellt, da diese ihre Körper-und Gesichtscremen aus Mineralien des Toten Meeres in einem Kibbutz herstellt, der im Westjordanland liegt.
In Deutschland und Österreich ist die Boykottbewegung fast nicht bekannt. Kaum jemand will öffentlich israelische Firmen oder gar den gesamten Staat boykottieren - dies ware historisch zu sehr belastet. Doch hinter den Kulissen geschieht einiges: Die Deutsche Bahn International zog nach Protesten der BDS-Bewegung ein Angebot zurück, die Schnellbahn zwischen Tel Aviv und Jerusalem zu bauen, weil die Strecke sieben Kilometer durch die Westbank führt. Das israelische Unternehmen SodaStream hat in der Vergangenheit Wassersprudler auch nach Österreich geliefert. Nach erheblichem Druck der Boykott-Aktivisten ging der Verkauf international so zurück, dass SodaStream seine Produktionsstätte von der Westbank nach Israel verlegte. Das Forschungsinstitut "RAND Corporation“ glaubt, dass die Boykottdrohungen Israel in den kommenden Jahren ein bis zwei Prozent seines Bruttonationalprodukts kosten könnten.
Schlecht ist die BDS-Bewegung bisher weniger für die israelische Wirtschaft als für Israels Image. Wurde der Staat in den ersten Jahrzehnten von 1948 bis in die 1980er-Jahre als Pionierprojekt gesehen, in dem verfolgte Juden aus aller Welt die Wüste zum Blühen brachten, so verkommt Israel jetzt in den Augen vieler zu einem Staat, der Millionen von Menschen ohne Bürgerrechte unter der Besatzung darben lässt und durch den Bau weiterer Siedlungen jegliche Friedenslösung erschwert.
Kennzeichnungspflicht für Siedlerprodukte
Die Haltung der bisherigen Partner wird zusehends kritischer. Ein Israel-Boykott kommt seitens der europäischen Regierungen allerdings nicht infrage. Die EU möchte Israel nicht delegitimieren. Immerhin beschloss die EU vergangenen Herbst eine Kennzeichnungspflicht für Produkte, die in den besetzten Gebieten hergestellt werden. Solche Siedlerprodukte machen nur rund ein Prozent der israelischen Exporte von insgesamt 30 Milliarden Euro in die EU aus. Israels Energieminister Yuval Steinitz kritisierte die Maßnahme als "versteckten Antisemitismus“, der an die Nazis erinnere. Die EU boykottiert allerdings die Produkte nicht, die Kennzeichnung bedeutet bloß, dass Kunden sich überlegen können, ob sie etwa Avocados aus der Westbank kaufen wollen. Nach Ansicht der EU ist die Besiedlung der 1967 besetzten Palästinensergebiete durch Israel illegal.
Den BDS-Aktivisten geht die Kennzeichnung von Siedlerprodukten nicht weit genug. Sie bekämpfen nicht nur die Besatzung, sie fordern auch ein Ende der Diskriminierung der israelischen Araber und: Die Boykottbewegung fordert ein Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge von 1948 nach Israel. Diese Flüchtlinge und ihre Nachkommen machen heute fünf Millionen Menschen aus.
Auch manche Sympathisanten halten diese Forderungen für überzogen. Der israelische Friedensaktivist Uri Avneri hat mit seiner Gruppe "Friedensblock“ in Israel als einer der Ersten zu einem Boykott von Siedlungsprodukten aufgerufen. Die israelische Regierung erließ daraufhin 2011 ein Gesetz, das den Aufruf zum Boykott israelischer Produkte unter Strafe stellt. Avneri musste seine Website zensurieren, um Gerichtsverfahren und Geldstrafen zu entgehen. Der 91-jährige Publizist hält es aber auch für fatal, wenn BDS dazu aufruft, ganz Israel zu boykottieren, bis es allen Palästinensern Menschenrechte garantiere. "Man muss die Siedler von den Israelis trennen“, meint er im profil-Gespräch. "Wenn man ganz Israel boykottiert, mit wem werden die Palästinenser dann Frieden schließen?“
Schneeballeffekt
BDS möchte auch ein kulturelles und akademisches Embargo durchsetzen. Künstler sollen nicht auf Einladung des israelischen Kulturministeriums nach Israel kommen, israelische Akademiker nicht in ihrer Funktion als Vertreter israelischer Universitäten ins Ausland eingeladen werden. Offiziell hat sich zwar noch keine Universität einem Boykott angeschlossen. Doch die Forderungen verändern die Stimmung. "Ich will nicht die Sensibilitäten meiner arabischen Freunde hier in London verletzen“, bekennt eine britische Autorin gegenüber profil. "Deshalb nehme ich jetzt sicher keine Einladung nach Israel an.“ Der Chef der technischen Hochschule Technion in Haifa, Peretz Lavie, sagt: "Wir können den Schneeballeffekt vielleicht noch stoppen, aber wir sind in der elften Stunde.“
Gegen einen Boykott im Kulturbereich haben sich jüdische und nichtjüdische Kulturschaffende in einem offenen Brief an die britische Tageszeitung "Guardian“ ausgesprochen. Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling hat den Aufruf ebenso unterzeichnet wie der britisch-israelische Geschäftsmann Yigal Elstein: "Kultureller Austausch baut Brücken“, meint er im profil-Gespräch. "Und das will ich fördern und nicht boykottieren.“
In der israelischen Botschaft in London gibt man sich hoffnungsfroh. Die kulturelle und akademische Zusammenarbeit zwischen Israel und Großbritannien wachse, meint Pressesprecher Yiftah Curiel: "Der Handel hat sich in den vergangenen vier Jahren verdoppelt.“ Doch in den israelischen Ministerien gibt es längst eigene Abteilungen zum Kampf gegen BDS. Informationsminister Gilad Erdan hat 2015 vom Premierminister 23 Millionen Euro und zehn neu geschaffene Stellen extra für die Bekämpfung der Boykottler bekommen.
Sogar Israels Staatspräsident Reuven Rivlin sieht sich selbst als "Soldat“ im Kampf gegen die Boykottbewegung.