Krieg in der Ukraine: Schüsse nahe Regierungsviertel in Kiew
- In der Nacht auf den 24. Februar hat Russland einen groß angelegten Angriff auf die Ukraine gestartet.
- EU-Gipfel stimmt neuen Sanktionen gegen Russland zu.
- Das österreichische Außenministerium bestätigt profil: Personal der österreichischen Botschaft hat Kiew verlassen und wird in den Südwesten der Ukraine verlegt. Die Botschaft ist formal weiterhin offen, ein Rumpfteam bleibt in Kiew.
- Aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew werden Explosionen gemeldet.
- Präsident Selenskij berichtet von mehr als 130 gefallenen Soldaten.
- Der profil-Überblick zum Ukraine-Konflikt.
Die ukrainische Armee kämpft nach eigenen Angaben mittlerweile gegen vordringende russische Truppen in der Hauptstadt Kiew. Im nördlichen Bezirk Obolon kam es am Freitag zu Gefechten. Auch Explosionen waren dort zu hören, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Medienberichten zufolge waren zudem später Schüsse in der Nähe des Regierungsviertels im Zentrum zu hören.
Russland hatte Donnerstag früh mit einem großen Angriff auf die Ukraine begonnen. In mehreren Städten schlugen Raketen und Artilleriegranaten ein. Russische Bodentruppen waren anschließend binnen weniger Stunden bis in den Großraum Kiew vorgedrungen. Luftlandetruppen nahmen einen Militärflughafen am nordwestlichen Stadtrand von Kiew ein. Laut dem ukrainischen Innenministerium hat Russland in den letzten 24 Stunden auch 33 zivile Ziele getroffen. Zwei Kinder seien getötet worden.
Mit Blick auf zwei Orte im Nordwesten der Hauptstadt sagte der Militärsprecher Olexij Arestowytsch am Freitag vor Journalisten: "Dort gibt es jetzt schon Kämpfe." Kiew selbst bereite sich auf Verteidigung vor. Die ukrainische Armee habe "einige" russische Hubschrauber und Militärtechnik zerstört. Solche Angaben lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.
Arestowytsch berichtete zudem über Versuche russischer Soldaten, von der 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim aus weiter in Richtung Norden ins Landesinnere vorzudringen. Am Stadtrand von Melitopol seien ukrainische Streitkräfte dabei, einen weiteren Vormarsch in Richtung der am Asowschen Meer gelegenen Hafenstadt Mariupol zu verhindern. In Cherson versuchten russische Truppen demnach, den Fluss Dnipro zu überqueren. Zur Lage in Charkiw im Osten unweit der russischen Grenze sagte Arestowytsch: "Charkiw hält durch."
Von den Explosionsorten in Obolon rannten Menschen weg, um sich in Sicherheit zu bringen. Schüsse waren dem AFP-Reporter zufolge dort zu hören und bis ins Stadtzentrum auch größere Explosionen. Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums handelte es sich um eine Sabotageaktion eines russischen Aufklärungstrupps. Das Ministerium rief die Zivilisten in dem Viertel zu den Waffen. "Wir bitten die Bürger, uns über feindliche Bewegungen zu informieren, Molotowcocktails zu werfen und die Besatzer zu neutralisieren", hieß es in einer Erklärung auf Facebook. Später hieß, es die Bevölkerung solle die Straßen von Obolon meiden: "Im Zusammenhang mit der Annäherung aktiver Feindseligkeiten werden die Bewohner des Obolon-Bezirks gebeten, nicht nach draußen zu gehen."
Nach Angaben des ukrainischen Militärs nutzt Russland den belarussischen Flugplatz Gomel zur Aufstellung von Truppen für einen Angriff auf Kiew, nachdem der Militärflughafen Hostomel in der Nähe von Kiew zerstört worden sei. Russland wolle zunehmend zivile Infrastruktur und Häuser zerstören, schrieb der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte auf Facebook.
Das ukrainische Fernsehen berichtete am Freitag auch von Fliegalarm in Kiew in der Früh. Die Stadtverwaltung rief alle Bürgerinnen und Bürger auf, sich möglichst in Sicherheit zu bringen. Die U-Bahn-Stationen der Stadt mit etwa 2,8 Millionen Einwohnern dienten als Schutzräume. Es gebe falsche Berichte, dass er Kiew verlassen habe, erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. "Ich bleibe in der Hauptstadt, bleibe bei meinem Volk." Russland strebt nach Angaben eines Beraters von Selenskyj die Einnahme von Kiew an, und Selenskyj solle getötet werden, sagt Mychailo Podoljak. Das sei das einzige Ziel der russischen Aktion.
Österreichische Botschaft in Kiew verlassen
Das österreichische Außenministerium bestätigt profil: Das Personal der österreichischen Botschaft hat Kiew verlassen und wird in den Südwesten der Ukraine verlegt. Die Botschaft ist formal weiterhin offen, ein Rumpfteam bleibt in Kiew.
Am Freitagmorgen hatte die ukrainische Armee nördlich von Kiew auch Kämpfe gegen vordringende russische Truppen gemeldet. Zu Gefechten kam es demnach in den Orten Dymer, das rund 45 Kilometer nördlich von Kiew liegt, sowie Iwankiw, rund 80 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Dort sei "eine große Anzahl von Panzern des Feindes eingetroffen". Später teilten die ukrainischen Streitkräfte mit, der Vormarsch der russischen Truppen sei am Fluss Teterow gestoppt worden. "Die Brücke über den Fluss wurde zerstört."
Russland hat am Freitag in der Früh auch die Raketenangriffe auf die Ukraine wieder aufgenommen. Beschossen würden sowohl zivile als auch militärische Ziele, teilte Präsident Selenskyj in einer im Fernsehen übertragenen Rede mit. So griffen Medienberichten zufolge russische Truppen etwa auch den Flughafen der Stadt Riwne im Westen des Landes an. Auch aus Sumy im Nordosten des Landes nahe der russischen Grenze wurden Kämpfe gemeldet. Diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Laut ukrainischem Grenzschutz gab es mehrere Tote durch Raketenbeschuss auf einen seiner Posten im Süden des Landes am Asowschen Meer. Der Ort Primorskyj Posad liegt an der Küste Krim und dem ostukrainischen Separatistengebiet. Das ukrainische Militär geht davon aus, dass die russische Armee einen Korridor zwischen beiden Gebieten erobern will. In der westukrainischen Stadt Lwiw schrillten nach Augenzeugenangaben die Sirenen. Die ukrainische Darstellung, dass auch Kiew mit Raketen angegriffen wurde, wies Moskau zurück.
Russland hat eigenen Angaben zufolge 118 ukrainische Militärstandorte zerstört. Laut dem Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow, wurden zudem fünf ukrainische Kampfflugzeuge, ein Hubschrauber sowie fünf Drohnen abgeschossen. Fallschirmjäger würden nach Tschernobyl gebracht, um dort das Atomkraftwerk zu bewachen, teilt das russische Verteidigungsministerium weiter mit. Die Strahlung rund um das Kraftwerk sei normal. Die ukrainische Atombehörde meldete dagegen eine erhöhte Strahlung dort.
Russische Truppen haben laut dem Verteidigungsministerium in Moskau eine Insel vor der ukrainischen Hafenstadt Odessa eingenommen. Die 13 ukrainischen Grenzschützer der Schlangeninsel im Schwarzen Meer seien durch Beschuss eines russischen Kriegsschiffs getötet worden. 82 ukrainische Soldaten hätten sich ergeben.
Konaschenkow sagte außerdem, dass Separatistenkämpfer aus der ostukrainischen Region Donezk mittlerweile neun Kilometer in bisher von ukrainischen Regierungstruppen kontrolliertes Gebiet weit vorgerückt seien.
Am ersten Tag der russischen Invasion haben laut Selenskyj 137 Soldaten ihr Leben verloren. Insgesamt 316 Soldaten seien am Donnerstag verletzt worden, sagte er in der Nacht in einer Videobotschaft. Nach ukrainischen Angaben erlitten die russischen Truppen ihrerseits schwere Verluste. Das Verteidigungsministerium in Kiew sprach von 30 zerstörten russischen Panzern, 130 Panzerfahrzeugen, sieben Flugzeugen und sechs Hubschraubern. Etwa 800 russische Soldaten seien getötet worden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die russische Seite äußerte sich dazu nicht.
Selenskyj kritisierte mangelnde Unterstützung aus dem Ausland: "Wir verteidigen unseren Staat allein. Die mächtigsten Kräfte der Welt schauen aus der Ferne zu." Auch die neuen westlichen Strafmaßnahmen gegen Moskau seien nicht genug. Selenskyj bat die osteuropäischen NATO-Mitglieder um Unterstützung bei der Verteidigung. Er habe diesbezüglich mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda gesprochen, schreibt Selenskyj auf Twitter. Er habe auch um Hilfe gebeten, Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. "Wir brauchen eine Anti-Kriegs-Koalition."
Gleichzeitig lobte der Staatschef die Ukrainer für ihren "Heldenmut" angesichts des russischen Vormarsches. Die russische Bevölkerung rief Selenskyj zum Protest gegen den Angriff auf die Ukraine auf. Das Staatsoberhaupt hat ein Dekret zur Generalmobilmachung unterschrieben, meldete die Agentur UNIAN unter Berufung auf das Präsidialamt in Kiew. Die Anordnung gilt demnach 90 Tage und sieht die Einberufung von Wehrpflichtigen und Reservisten vor. "Wir müssen operativ die Armee und andere militärische Formationen auffüllen", begründete Selenskyj eine Entscheidung. Bei den Territorialeinheiten werde es zudem Wehrübungen geben. Nach ukrainischen Behördenangaben dürfen zudem männliche Staatsbürger im Alter von 18 bis 60 Jahren das Land nicht verlassen.
"Das letzte Mal, dass unsere Hauptstadt so etwas erlebt hat, war 1941, als sie von Nazi-Deutschland angegriffen wurde", twitterte Kuleba. Unter anderem wurde ein mehrstöckiges Wohnhaus getroffen, wie die Stadtverwaltung am Freitagmorgen mitteilte. Der Minister zeigte sich trotz der massiven Angriffe demonstrativ optimistisch: "Die Ukraine hat dieses Übel besiegt und wird dieses besiegen." Kuleba forderte erneut schärfere Sanktionen gegen Russland und Kremlchef Wladimir Putin: "Stoppt Putin. Isoliert Russland. Trennt alle Verbindungen. Schmeißt Russland aus allem raus."