FDP-Chef Christian Lindner

Kritik an FDP nach Abbruch der Jamaika-Sondierungen

CDU: Sondierungen ohne Grund verlassen - Grüne kritisiert "Kalkül" der Liberalen - Gabriel fordert schnelle Klarheit - Trittin rechnet mit Neuwahlen bis Ostern.

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Nach dem überraschenden Abbruch der Jamaika-Sondierungen in Deutschland durch die FDP haben Union und Grüne heftige Kritik an den Liberalen geübt. Dass die FDP kurz vor einer Einigung am Sonntagabend abgesprungen sei, habe mehr als nur eine Person verwundert, sagte die CDU-Vize-Bundesvorsitzende Julia Klöckner dem SWR. Völlig offen ist nun, wie eine Regierungsbildung weiter verlaufen kann.

Der deutsche Präsident Frank-Walter Steinmeier sagte seinen Besuch in Nordrhein-Westfalen wegen der Regierungskrise ab. Ihm kommt nun eine Schlüsselrolle bei den weiteren Entscheidungen zu.

Auch Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner äußerte den Verdacht, die FDP habe die Verhandlungen aus Kalkül scheitern lassen. Er warf den Liberalen im ZDF ein "schlecht inszeniertes Theater" vor. Grünen-Unterhändler Jürgen Trittin rechnet eher mit Neuwahlen als mit einer Minderheitsregierung. Von Deutschland werde international eine Rolle als stabilisierender Faktor in der Politik erwartet, sagt Trittin Montagfrüh im Deutschlandfunk. Deshalb spreche viel dafür, dass Steinmeier eher auf Neuwahlen als auf die Einsetzung einer Minderheitsregierung setzen werde. Trittin ergänzte, dass gegen Ostern mit einem neuen Wahltermin zu rechnen ist.

Ähnlich Noch-Außenminister Sigmar Gabriel: Die internationale Gemeinschaft erwarte möglichst schnell Klarheit über das weitere Vorgehen. Im Falle von Neuwahlen sieht er jedoch keine führende Rolle mehr für sich. "Nix da, ich bin draußen und da bleibe ich auch", sagt er dem RedaktionsNetzwerk-Deutschland. Zum weiteren Vorgehen seiner eigenen Partei wollte Gabriel sich nicht äußern. "Ich kann dazu nichts sagen, dazu bin ich viel zu weit weg. Ich kann das nicht beurteilen."

FDP kritisiert Merkel

FDP-Politiker Volker Wissing gab der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Mitschuld am Scheitern der Sondierungen. Die Union sei mit dem Regierungsbildungsauftrag offensichtlich überfordert gewesen, sagte Wissing im Deutschlandfunk. Die Kanzlerin habe "chaotische Sondierungsverhandlungen organisiert. Sie hat die Lage völlig falsch eingeschätzt." Wissing verteidigte den Rückzug seiner Partei aus den Sondierungen. Nach vier Wochen seien zuletzt immer noch über 200 Punkte strittig gewesen. Daher sei am Sonntag klar gewesen, dass ein Jamaika-Bündnis keine Chance habe. FDP-Chef Christian Lindner hatte den Abbruch der Gespräche kurz vor Mitternacht in Berlin mit den Worten begründet: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."

CDU-Generalsekretär Peter Tauber warf der FDP vor, die Sondierungen ohne Grund verlassen zu haben. Der letzte noch strittige Punkt in den Gesprächen sei der Familiennachzug in der Flüchtlingspolitik gewesen und hier hätten sich die Grünen schon bewegt, sagte Tauber dem Deutschlandfunk. Auch bei den Themen Vorratsdatenspeicherung und Solidarzuschlag sei man den Liberalen bereits sehr weit entgegengekommen.

Der Chef der bayerischen CSU-Landtagsfraktion, Thomas Kreuzer, hielt den FDP-Ausstieg für einen kalkulierten Akt. "Ich glaube, dass sich die FDP relativ früh am gestrigen Tage entschlossen hat, diese Koalition nicht zu machen, und somit glaube ich, dass sie dies geplant hat." Der Grünen-Politiker Kellner warf den FDP-Spitzen vor, sie hätten "ihre Jacken geschnappt" und ganz fluchtartig die Gespräche verlassen. Wenn es einmal bei den Themen Flüchtlinge oder Klima zwischen der Union und Grünen Annäherungen gab, habe sich die FDP immer wieder dazwischen gestellt.

SPD-Vizechef Ralf Stegner bekräftigte im Deutschlandfunk, dass seine Partei nicht für eine große Koalition zur Verfügung stehe. Das Wählervotum bei der Bundestagswahl sei kein Auftrag für ein Regierungsbündnis zwischen Sozialdemokraten und Union - egal, wer Kanzler in einer solchen Konstellation wäre. Über das weitere Vorgehen werde die SPD mit allen Parteien sprechen.

Alternative Neuwahlen oder Minderheitsregierung

Bleiben die Sozialdemokraten bei ihrer Aussage, gäbe es wohl als Alternativen nur Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung. Die Linken forderten noch in der Nacht einen neuen Urnengang. Dies wäre "die demokratisch angemessene Konsequenz", sagte Partei-Vorsitzende Katja Kipping der "Berliner Zeitung" einem Vorabbericht zufolge. "Mögen die Schwampel-Murkser Angst vor dem Urteil der Wählerinnen und Wähler haben - die Linke wird sich dem stellen." In der Union wurde Gerüchten widersprochen, Merkel selbst strebe Neuwahlen an und habe als Termin dafür den 22. April angepeilt. "Das ist totaler Quatsch", heißt es in CDU-Kreisen.

Theoretisch wäre auch ein zweiter Anlauf der Jamaika-Sondierer nach einer Abkühlphase denkbar. Derzeit ist Merkel bis zur Bildung einer neuen Regierung geschäftsführend im Amt. Unklar war zunächst auch, wie sich die Entwicklung auf den Machtkampf in der CSU auswirkt. Dabei geht es um die Frage, wer die CSU in den bayerischen Landtagswahlkampf 2018 führt. "Es ist schade, dass es am Ende nicht gelungen ist, dies zum Ende zu führen, was zum Greifen nahe war", sagte CSU-Chef Seehofer, der Merkel ebenso wie die Grünen dafür dankte, dass sie in den Verhandlungen einen Kompromiss gesucht habe.

Umweltverbände regierten mit Unverständnis auf das Aus der Sondierungsgespräche und machten insbesondere Merkel dafür verantwortlich. Sie habe dabei "versagt, diese Koalition zu einem Bündnis gemeinsamer Verantwortung zu machen", erklärte Greenpeace-Geschäftsführerin Sweelin Heuss. Jamaika sei auch gescheitert "an der starrköpfigen Weigerung der FDP, aber auch der Union, das Land in eine nachhaltige, klimafreundliche Zukunft zu führen".

Anleger reagierten nervös auf das Jamaika-Aus. Der Euro gab um rund 0,4 Prozent auf 1,1746 Dollar nach, während der Aktienindex Dax vorbörslich ebenfalls unter Druck geriet. "An der Börse heißt es jetzt: Katerstimmung statt Jahresendrallye", sagte Portfoliomanager Thomas Altmann von QC Partners. "Unsicherheit mögen die Börsen und die Anleger gar nicht." Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft dürfte dennoch weitergehen.

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