Lamija Adschi Baschar: „Ich habe fünf Mal versucht zu fliehen“
Interview: Ines Holzmüller und Stephan Wabl
profil: Sie waren mehr als ein Jahr in Gefangenschaft. Wie haben sie das durchgehalten? Lamija Adschi Baschar: Ich habe fünf Mal versucht zu fliehen und wurde bis zum letzten Versuch immer wieder festgenommen. Ich habe eine große Familie. Die Hoffnung, sie wieder zu sehen, hat mich bekräftigt, es jedes Mal aufs Neue zu versuchen und die grausamen Attacken des IS durchzustehen.
profil: Wie kann man den mehr als 3600 jesidischen Frauen helfen, die der IS noch gefangen hält? Baschar: Ich halte es für sinnvoll, wenn von öffentlicher oder privater Seite versucht werden würde, die Familien finanziell zu unterstützen, damit sie ihre Angehörigen aus der Gefangenschaft freikaufen können. Ich halte aber auch eine militärische Intervention für sinnvoll.
profil: Ihre Familie bezahlte lokale Schmuggler, um sie aus dem IS-Gebiet zu befreien. In Europa wird dieses Geschäft eher negativ wahrgenommen. Baschar: Es tut mir weh, zu wissen, dass europäische Länder Millionen Euro an den IS oder Al-Kaida bezahlen, um ihre Staatsbürger unter den Geiseln zu befreien. Aber wenn es um die Befreiung einer jesidischen Frau geht, die 5000 bis 10.000 Euro kostet, gibt es Vorwürfe, dass dieses Geld direkt an den IS geht. Das kann ich nicht verstehen.
profil: Was müsste geschehen, damit im Irak wieder Frieden herrscht? Baschar: Für einen gerechten Frieden müssten die Kriminellen und Schuldigen bestraft und vor ein internationales Gericht gebracht werden. Das wäre die Voraussetzung, um die Opfer zu entschädigen und die Iraker aller Regionen und Religionen zusammenbringen zu können.
profil: Welche Rolle spielt Europa? Baschar: Es bräuchte Sicherheitszonen für Jesiden und Christen in den Shingal-Bergen und der Ninive-Ebene. Um die Opfer zu schützen, bräuchte es europäische Flüchtlingskontingente für Frauen und Kinder, die aus der IS-Gefangenschaft geflüchtet sind.
Lamija Adschi Baschar nimmt im Rahmen des this human world-Filmfestivals am 2.12. an einer Diskussion des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte zum Thema Gedankenfreiheit in der Brunnenpassage in Wien teil.