Litauens Außenminister Linkevičius: "Provokation ist, nichts zu tun"
profil: Vor Kurzem begann die Stationierung eines NATO- Bataillons von 1000 Soldaten in Litauen. Fühlen Sie sich jetzt sicherer? Linas Linkevičius: Bereits 2014 hat die NATO beschlossen, ihre Truppenpräsenz an der östlichen Flanke zu verstärken. Die Stationierung dieses Bataillons hat eher symbolische Bedeutung, aber es ist eine starke multinationale Antwort, weil diesem Kontingent Soldaten aus Deutschland, den Beneluxstaaten, Norwegen, Frankreich und weiteren Ländern angehören. Russland spielt verschiedene Propagandatricks, indem es behauptet, auf das Vordringen von NATO-Truppen reagieren zu müssen. Dabei gibt es allein im Westen der Russischen Föderation 350.000 Soldaten. Laut offiziellen Angaben wurden drei weitere Divisionen dorthin verlegt. Litauen ist NATO-Mitglied, und wir vertrauen auf die Sicherheitsgarantien der Allianz.
Profil: Sie meinen die Beistandsverpflichtung im Falle eines militärischen Angriffs auf ein NATO-Land? Linkevičius: Artikel 5 im NATO-Vertrag ist für den Fall eines Angriffs vorgesehen. Wir wollen schon im Vorfeld alles tun, um einen solchen Angriff zu vermeiden. Konventionelle Angriffe mögen weniger wahrscheinlich sein, aber es gibt diverse andere Bedrohungen wie hybride Attacken oder Cyberkrieg. Bei dem Propagandafeldzug, den Russland gegen die EU führt, sind Milliarden Dollar und Hunderte staatlich gelenkte Medien im Spiel.
Für mich bedeutet Provokation, nichts zu tun. Unsere russischen Freunde brauchen klare Signale und Botschaften.
profil: Trotzdem wirft Russland dem Westen militärische Provokationen vor. Linkevičius: Dabei rasselt Moskau selbst ständig mit dem Säbel. Für mich bedeutet Provokation, nichts zu tun. Unsere russischen Freunde brauchen klare Signale und Botschaften. Sie werfen uns Aufrüstung vor, wenn wir 1000 zusätzliche Soldaten stationieren. Dabei haben sie kürzlich in Kaliningrad moderne Raketensysteme aufgestellt, die Atomraketen bis nach Berlin bringen können.
profil: Litauen hat einen Zaun um die russische Enklave Kaliningrad errichtet. Linkevičius: Diese Zäune können keine Panzer aufhalten, sondern sind gegen Schmuggler oder gegen Wildtiere zur Eindämmung von Seuchen gedacht. Auch Russland baut solche Zäune an seiner Grenze.
Es gibt eine Beeinflussung durch die russische Propaganda über Fernsehprogramme und das Internet, da werden viele falsche Nachrichten verbreitet.
profil: Von der russischen Minderheit in Litauen geht keine Gefahr aus? Linkevičius: Das sind nur 6,5% der Bevölkerung, sogar etwas weniger als unsere polnische Minderheit. Diese Russen sind loyal und gut integriert. Sie sprechen auch unsere Sprache und sind Staatsbürger Litauens. Aber es gibt eine Beeinflussung durch die russische Propaganda über Fernsehprogramme und das Internet, da werden viele falsche Nachrichten verbreitet.
profil: Sie zählen zu den Initiatoren der neuen Task Force "Stratcom" der EU gegen russische Propaganda. Linkevičius: Litauen war das erste Land, das Gegenmaßnahmen auf die verstärkten russischen Desinformationskampagnen gefordert hat. Diese Propagandawaffe wurde lange vernachlässigt. Auch Populisten und radikale Parteien in der EU verdanken ihre Wahlerfolge nicht zuletzt der russischen Unterstützung. Früher begann ein konventioneller Krieg mit einem Artilleriegefecht, heute mit Gehirnwäsche sowie Lügen in Medien und sozialen Netzwerken.
profil: Sie haben die russische Invasion der Krim vorhergesagt. Was könnte denn das nächste Ziel Russlands sein? Linkevičius: Nach dem Krieg in Georgien 2008 war mir klar, dass Putin die Krim im Visier hatte. In Zukunft könnte es zu einer Annexion von Transnistrien oder Teilen von Georgien kommen. Das Vorgehen der Russen in der Ukraine ist auch ein Test für den Westen. Durch unser Nichtstun in Georgien haben wir den Eindruck vermittelt, dass Russland solche Aktionen durchführen kann, ohne dafür einen Preis zahlen zu müssen. Ich war früher Verteidigungsminister, ich kenne mich da aus.
profil: Sollten die Sanktionen der EU gegenüber Russland aufrechterhalten werden? Linkevičius: Ja, weil sie unsere einzige Reaktion auf völkerrechtswidriges Verhalten waren. Wir sollten zu unseren Beschlüssen stehen. Daher halte ich nichts von jenen Rufen, die - leider auch in Österreich - das Ende der Sanktionen gegen Russland forderten. Die alte Komfortzone in der Welt existiert nicht mehr. Unsere russischen Freunde versuchen, uns zu spalten und unsere gemeinsame Verteidigung zu testen. Die Situation in der Ukraine hat sich in keiner Weise verbessert. Und dafür ist die russische Aggression verantwortlich. Das Minsk-Abkommen ist noch immer nicht erfüllt.
Linas Linkevičius, 56, ist seit 2012 Außenminister Litauens in der rot-grünen Regierung. Der Sozialdemokrat war früher Verteidigungsminister und Botschafter bei der NATO.
INTERVIEW: OTMAR LAHODYNSKY
Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 15 vom 10.4.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.