Asyl in Drittstaaten

Löst dieser Hafen die Migrationskrise?

Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni galt lange als Hardlinerin am rechten Rand. Jetzt werden ihre Ideen salonfähig. Gerade hat sie Albanien zu einem Experiment überredet, das Europa verändern könnte.

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Am Pier entwirren Fischer in Gummistiefeln ihre Netze und werfen den herumstreunenden Katzen Shrimp-Schalen und Tintenfische zu. Klevis, ein junger Fischer mit Schirmkappe und Jogginghose, kennt die Gegend, seit er zwölf Jahre alt war. Damals fuhr er zum ersten Mal mit seinem Onkel raus aufs Meer. „Ich möchte mein Heimatland mit niemandem tauschen. Aber ich sehe hier keine Zukunft“, sagt er. Aufgrund der hohen Benzinpreise bleiben dem 25-Jährigen nur 250 Euro Gewinn im Monat übrig. Das ist in etwa die Hälfte des albanischen Durchschnittseinkommens. Immerhin: Klevis’ Bruder, der in Berlin als Friseur arbeitet, hat ihm einen gebrauchten Fischkutter gekauft. Das Boot heißt „Fatlum“, was auf Deutsch übersetzt so viel bedeutet wie „der Glückliche“. Der Name will so gar nicht zu Klevis’ Situation passen.

Shëngjin ist ein kleiner Industriehafen im Norden Albaniens, der vor allem Schrott, Metall und Schotter exportiert. Die gleichnamige Stadt hat einen langen Sandstrand, der von Hotels, Restaurants und Pizzabuden flankiert ist. In den Sommermonaten wimmelt es hier von Touristen, der Großteil aus der albanischen Diaspora in der Schweiz, Deutschland und dem benachbarten Kosovo. Sonst hat kaum jemand die kleine Hafenstadt am Radar.

Das wird sich bald ändern.

Spätestens im Herbst könnte ganz Europa hierherblicken. Auch das Bundeskanzleramt in Wien verfolgt „mit großem Interesse“, was dort passiert, wie eine Sprecherin zu profil sagt. Denn Italien will mithilfe des kleinen Hafens sein selbst erklärtes Migrationsproblem lösen.

In Rom regiert seit Oktober 2022 die weit rechts stehende Giorgia Meloni. Sie versprach, die Anzahl der Geflüchteten, die in Booten in Italien ankommen, stark zu reduzieren. Das ist ihrer Regierung nicht gelungen. Von 2021 bis 2023 hat sich die Anzahl der Ankömmlinge in Italien mehr als verdoppelt.

Jetzt soll ausgerechnet Albanien helfen, ein kleines Land auf dem Balkan, dessen Bevölkerung selbst in Scharen auswandert. Im vergangenen November unterzeichnete Meloni ein Abkommen mit dem albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama. Es sieht vor, dass Italiens Küstenwache pro Monat 3000 Bootsflüchtlinge in den Hafen von Shëngjin bringt, damit sie dort ihr Asylverfahren durchlaufen können – das sind bis zu 36.000 Menschen pro Jahr.

Die Route

Zwischen der Insel Lampedusa und Shëngjin liegen rund 1.200 Kilometer Seeweg. 

Wir beantragen selbst Asyl in EU-Ländern. Und jetzt wollen sie uns Asylwerber bringen? Ich verstehe das nicht. 

Fischer im Hafen

Ein Dorf mit 500 Einwohnern

„Wir beantragen selbst Asyl in EU-Ländern. Und jetzt wollen sie uns Asylwerber bringen? Ich verstehe das nicht“, sagt Klevis. Was denkt der Fischer über den Deal? Er zuckt die Achseln, sagt, dass ihm jegliche Information darüber fehlt. „Wir wissen nicht, wer kommt und was die Menschen hier machen werden“, sagt er. Die lokale Bevölkerung wurde von dem Abkommen völlig überrumpelt. Der Großteil hat davon aus dem Fernsehen erfahren. Die Baustelle, auf der Melonis Flüchtlingscamp errichtet wird, liegt in einem wenige Kilometer von der Küste entfernten Dorf namens Gjadër, das, wie so viele Orte im Norden Albaniens, katholisch geprägt ist. Rund 500 Menschen leben hier, der Großteil Alte, die ihre niedrigen Pensionen mit Land- und Viehwirtschaft aufbessern. Die Jungen sind ins Ausland gegangen, viele nach Italien. Jetzt könnten mit einem Schlag sechs Mal so viele Migranten ankommen, wie das Dorf Einwohner hat. Pro Monat. 

Gjadër war zur Zeit des Kommunismus ein streng geheimer Militärflughafen. Zwischen verfallenen Ziegelsteinbaracken und Weideland für Schafe soll Melonis Traum Realität werden. Sie will hier im Schnellverfahren prüfen lassen, wer Asyl in Italien bekommt und wer nicht. Ein rechtlich wichtiges Detail des Abkommens: Nur jene Menschen, die in internationalen Gewässern aufgegriffen wurden und noch nicht italienischen Boden betreten haben, kommen nach Albanien. In einem solchen Fall gilt das sogenannte Verbindungskriterium nicht, das in den EU-Richtlinien festgeschrieben ist. 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.