Marlene Streeruwitz: An alle Zivilist*innen!
Von Marlene Streeruwitz
Wie umgehen mit dem Krieg in der Ukraine? Die Autorin Marlene Streeruwitz schreibt einen "Friedensbrief" und ruft dazu auf, die Gleichschaltung in Kriegsbegeisterung zu verweigern.
Wieder wird in einem Krieg auf Befehl gemordet und gestorben. Auf beiden Seiten. Wieder wird mit Krieg Geschichte gemacht. Und wieder liegt es in unserer Verantwortung, dagegen Einspruch zu erheben.
Wir hier. In Österreich. Der Ukraine-Krieg bedroht uns unmittelbar. Diese Bedrohung macht Angst. Nun ist der aggressive Überfall Russlands über die Ukraine vorbehaltlos zu verurteilen. Trotzdem wäre das Einstimmen in all die vielen Formen von Kriegsbefürwortung, wie sie die öffentliche Debatte beherrschen, nichts anderes, als sich in diesen Krieg als selbstverständliches Mittel der Konfliktlösung hineinziehen zu lassen. Das hieße, sich der Logik kriegerischer Gewalt anzuschließen und damit eine Eskalation des Konflikts zu dulden.
Es muss doch darum gehen, in jeder Handlung und Äußerung zum Ukraine-Krieg-wie zu jedem Krieg-Frieden als Ziel beizubehalten. Von den Entscheidungsträger:innen in Politik und Wirtschaft, in Medien und Kunst ist zu verlangen, sich für eine rasche Beendigung der Kampfhandlungen und den Beginn von Verhandlungen für einen nachhaltigen Frieden einzusetzen.
Wir hier. In Österreich. Wir müssen die freie, demokratische Rede bewahren, indem wir Friedensdenken und Friedenshandeln zur Grundlage politischen Sprechens und Handelns machen und uns nicht in das Konzept Krieg eingemeinden lassen. Das Konzept der Neutralität ist als Station auf dem Weg zu einem europäischen Frieden anzusehen. Österreich hat als neutrales Land und Sitz bedeutender internationaler, dem Frieden dienender Organisationen die Möglichkeit und die Pflicht, sich für eine friedliche und demokratische Konfliktlösung einzusetzen. Nicht durch militärische Aufrüstung, sondern durch Vermittlung und Gesprächsmöglichkeiten können Österreichs Politiker:innen zur europäischen Sicherheit beitragen. Österreich hat das durch seine Rolle beim Verbot der Atomwaffen vorgeführt.
Weil es um unsere Leben und unsere Zukünfte genauso wie um die Leben und die Zukünfte der Kriegführenden geht, müssen wir die Utopie eines friedlichen Miteinanders in Europa in Erinnerung halten und durch einlässliche Auseinandersetzung uns dieser Utopie annähern. Um diesem Ziel näher kommen zu können, müssen wir die Gleichschaltung in Kriegsbegeisterung als einzig erlaubtes Argument verweigern. Die Ausübung der freien Rede in breiter Diskussion ist dann selbst das deutlichste Argument gegen Krieg, dem die freie Rede immer zum Opfer fällt. Kluges Friedensdenken und Friedenshandeln bedeutet Erhaltung und Eroberung eines Demokratischen, in dem Krieg als Verstoß gegen die Grundrechte der Person nicht mehr vorstellbar sein wird. Lasst uns gemeinsam und machtvoll und erneut zu diesem Ziel aufbrechen.
Marlene Streeruwitz, 71
Die Schriftstellerin und Dramatikerin zählt zu den wichtigen Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Kürzlich erschien Streeruwitz' Essay "Handbuch gegen den Krieg" in der von profil-Redakteur Wolfgang Paterno herausgegebenen Reihe "Bibliothek des Alltags" im Wiener Bahoe Verlag. Informationen: friedensbrief.at
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