Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan macht Jagd auf die Anhänger von Fetullah Gülen.

"Massiver Anstieg bei Fahndungen"

Jagd auf Gülen-Anhänger auch in Österreich.

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Strafverfolgung oder Hexenjagd? Wenn es um die Anhänger des 75-jährigen Anatoliers Fetullah Gülen geht, scheinen die Grenzen nicht immer ganz klar zu sein. Seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli setzen der türkische Staat und sein Präsident Recep Tayyip Erdogan jedenfalls alles daran, die Bewegung rund um den Imam für immer auszuschalten: Tausende Lehrer, Richter, Journalisten, Anwälte, Unternehmer oder Militärs wurden festgenommen oder suspendiert. Sie sollen den Staat unterwandert haben, sagt Erdogan. Es handle sich um Säuberungsaktionen eines aufstrebenden Diktators, sagen die Gülenisten.

Wenig ist klar erkennbar im Nebel der Wochen nach dem vereitelten Staatsstreich. Sicher ist aber: Die türkische Suchaktion nach Gülenisten läuft weltweit. Der Imam selbst lebt seit dem Jahr 1999 in den USA, nun will der türkische Staat ihn haben: Fetullah Gülen soll ausgeliefert werden. Bereits im Februar - also rund fünf Monate vor dem Putschversuch -begann in Istanbul ein Prozess gegen den Prediger und 121 seiner Anhänger, denen der türkische Staat vorwarf, klandestin den Sturz der Regierung zu planen. An deutsche Behörden wurden seit dem Putschversuch rund 40 Fahndungs-und drei Auslieferungsbegehren herangetragen.

Im Wiener Bezirk Favoriten betreiben Gülen-Fans ein Gymnasium, eine Volksschule, eine Kindergruppe sowie Nachhilfeinstitute.

"Derart viele Anfragen aus der Türkei kommen sonst nicht", schrieb der "Spiegel" erstaunt. Und auch in Österreich registriert der Staat erhöhtes Interesse aus Ankara. Seit dem 15. Juli ist ein "massiver Anstieg bei den Personenfahndungen nach Straftätern" seitens der türkischen Behörden zu bemerken, heißt es aus dem Justizministerium gegenüber profil. Genaue Zahlen gebe es aber keine. Sie könnten beim Bundeskriminalamt (BKA) liegen, denn dort landen die über die internationale Polizeiorganisation Interpol ausgeschriebenen Haftbefehle. Das für diese Fälle zuständige "Büro 2.3 Sirene" prüft die Anträge und entscheidet gemeinsam mit der Justiz, ob laut österreichischer Rechtslage ein Grund für Strafverfolgung besteht. Wenn ja, werden die Verdächtigen auch hier zur Fahndung ausgeschrieben und festgenommen.

Doch im BKA gibt man sich verschlossen. "Es steht kein statistisches Material in dem gewünschten Umfang zur Verfügung", schreibt ein Sprecher. Auch auf Nachfrage kann niemand beantworten, ob das BKA die Angelegenheit genauso sieht wie das Justizministerium.

Fest steht, dass es in der türkischen Diaspora einige Fetullah-Gülen-Fans gibt. Wie viele, kann aber niemand genau sagen; die Bewegung vergibt keine Mitgliedsausweise. In Wien, Salzburg, Oberösterreich, Niederösterreich und Tirol sind jedenfalls Vereine registriert, die den Lehren des Predigers nahestehen. Im Wiener Bezirk Favoriten betreiben Gülen-Fans ein Gymnasium, eine Volksschule, eine Kindergruppe sowie Nachhilfeinstitute. In einem Bürohaus neben dem Stephansplatz residieren das "Friede-Institut für Dialog" und der Österreich-Ableger der türkischen Tageszeitung "Zaman". Sie alle wurden von Gülen inspiriert, der begabte - und fromm-islamische -Jugendliche über Bildung nach oben bringen will. In billigen und alkoholfreien WGs beten sie gemeinsam, lesen im Koran und in Gülens Büchern.

Das Geld für all das soll von reichen Unternehmern, Anwälten oder Akademikern kommen. Denn früher einmal galt der konservativ-islamische Gülen als Aushängeschild der Türkei, über sein Netzwerk wurde Außenpolitik gemacht - von Kirgisien bis nach Somalia oder Russland. Vor allem in ehemals sowjetischen Ländern besuchte die Elite seine Schulen, dem US-Geheimdienst CIA sollen sie dort in den 1990er-Jahren als Stützpunkte gedient haben.

Die Angst nach dem Putschversuch ist außerhalb der Türkei angekommen.

Der Prediger und sein Netzwerk dienten lange Jahre auch Erdogan und seiner Partei AKP als Zweckverbündeter gegen Säkulare und Linke. Doch vor drei Jahren wurde Erdogans Sohn Bilal rund um den Umbau des Istanbuler Gezi-Parks auch von Gülen-Zeitungen massive Korruption vorgeworfen, und eine erbitterte Feindschaft begann. Im Jahr 2015 bezeichneten türkische Staatsanwälte die Bewegung in einer Anklageschrift erstmals als "Fetullahistische Terrororganisation" (FETÖ). Seit Juli sind alle Dämme gebrochen.

Nun rätselt die Welt, wie sie mit der Jagd umgehen soll. Die Gerüchteküche brodelt. In Deutschland will ein Sicherheitsexperte von 800 Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT in Europa erfahren haben, der rund 6000 Spitzel angeworben haben soll. Der Grüne Abgeordnete Peter Pilz behauptet, einen MIT-Agenten in der Wiener Botschaft entdeckt zu haben, und fordert eine Untersuchung. Offizielle Bestätigungen oder Beweise fehlen aber. Den Gülen-Fans kann es egal sein: Sie werden im Internet von Erdogan- Fans mit dem Tod bedroht, in Belgien wurden Autos beschmiert. Übereifrige erstellen Listen von Menschen, die sie für Gülen-Anhänger halten und schicken sie nach Ankara. Was auch immer dort mit den Namen passiert: Die Angst nach dem Putschversuch ist außerhalb der Türkei angekommen.