Die Republikaner sind außer sich. Wegen eines Eichhörnchens.
Es heißt „Peanut“, benannt nach der Erdnuss, die diese Tiere gerne knabbern. So viel vorweg: Peanut ist tot, aber am 5. November, dem Tag der US-Wahl, ist das Nagetier wieder auferstanden. Unzählige KI-generierte Memes machen auf „Truth Social“, der Social-Media-Plattform von Donald Trump, sowie auf "X" (ehemals Twitter) die Runde. Eines zeigt Trump mit Anzug und roter Krawatte, in der rechten Hand Peanut, das Eichhörnchen. „Make Pets safe again – Vote Trump“ (Sicherheit für Haustiere – wählt Trump!) steht darüber.
Die Geschichte von Peanut ist schnell erzählt. Der US-amerikanische Influencer Mark Longo hatte das Tier vor sieben Jahren in New York gefunden, nachdem die Mutter des Nagetiers von einem Auto überfahren worden war. Er nahm es mit nach Hause und machte es zum Internet-Star. Allein auf Instagram hatte Peanut mehr als eine halbe Million Follower. In einem Video sieht man Herrchen und Tierchen miteinander frühstücken. Peanut knabbert an einer Waffel, Longo schüttet sich Ahornsirup über den Teller.
Ende Oktober kam die Umweltschutzbehörde bei Longo vorbei und beschlagnahmte Peanut. Der Vorwurf: Illegale Haltung von Wildtieren. Am Ende wurde das Eichhörnchen eingeschläfert. „Ruhe in Frieden mein bester Freund. Danke für die besten sieben Jahre meines Lebens", schrieb der am Boden zerstörte Longo auf Instagram.
Hier könnte die Geschichte von Peanut enden, aber das tut sie nicht. Denn sie könnte nicht besser in das Narrativ passen, auf dem die Republikaner ihren Wahlkampf aufgebaut haben. Hier „die ganz normalen Menschen“, die einfach nur ihre Ruhe haben wollen. Dort eine „bösartige Elite“, die ihnen das Leben zur Hölle macht. Hier ein unschuldiges Eichhörnchen, das niemandem etwas getan hat. Dort die herzlose Biden-Regierung mit ihrer Überregulierung.
Rache für Peanut!
Und so beginnt der Wahltag für die Republikaner mit einer Botschaft: Rache für Peanut! Ein Bild auf "X" zeigt Donald Trump, der mit einem Maschinengewehr auf einem goldenen Tron sitzt, umgeben von einer Schar Eichhörnchen.
Allein der Tech-Milliardär Elon Musk, seit Oktober 2022 Besitzer von „X“, setzt zwanzig Postings über das Eichhörnchen ab. „Warum sind die Demokraten so grausam?“ fragt er und erreicht damit 38 Millionen Views.
Musk, der mehr als 75 Millionen Dollar an Trump gespendet hat, entwarf vor der Wahl düstere Szenarien. Es sei die letzte Chance, eine Diktatur unter Kamala Harris zu verhindern. Er selbst müsse dann damit rechnen, festgenommen zu werden.
Mit dem Gefühl, alles zu verlieren, ging die erste Stufe des Wahltages los.
Stufe 1: Skepsis!
„Sie kommen zu dir nach Hause. Sie schnappen sich deine Haustiere und schläfern sie ein. Weil sie es wollen und weil sie es können“, heißt es in einem Podcast namens „In the litter Box“ (Im Katzenklo). Der Name wirkt etwas sonderbar, aber die Reichweite ist nicht zu unterschätzen. Die Social-Media-Accounts der beiden Hosts – ein Mann, der sich im Netz „Catturd“ nennt und eine Frau mit dem wohl nicht minder erfundenen Namen „Jewels Jones“ – erreichen mit ihren Postings Hunderttausende Menschen.
Am 5. November, dem Tag der Wahl, nimmt das Duo seine 684. Folge auf. Sie trägt den Namen „Defeat the cheat! Vote!“ (Gegen den Betrug! Wählt!) Beide glauben an die von Trump verbreitete Lüge, dass ihm 2020 der Sieg gestohlen worden sei. Und dass das wieder geschehen könne. „Sie werden schummeln, wo es nur geht“, warnen die Hosts.
Ähnlich sieht das der engste Kreis um Donald Trump, der sich in Mar-a-Lago, seiner Privatresidenz in Florida, eingefunden hat. In einem prunkvollen Zimmer mit holzvertäfelten Wänden, in dem ein Gemälde von Trump hängt, hat Tucker Carlson sein Studio aufgebaut. Der ehemalige Moderator des rechten Senders „Fox News“ spricht die ganze Nacht über mit bekannten Gesichtern aus dem Umkreis Trumps. Trump sei so unglaublich lustig, schwärmt Tucker Carlson, das habe er die letzten Monate, als er mit ihm unterwegs war, live miterleben können. Er habe seit 48 Stunden nicht geschlafen, er sei ein Tier, erklärt ein enger Freund Trumps. Und das, obwohl er häufig Burger esse und nie Wasser, sondern ausschließlich Coca-Cola, trinke. Für seine 78 Jahre sei er fitter als seine eigenen Kinder, gesteht Trumps ältester Sohn Don Junior, selbst 46 Jahre. So geht das den ganzen Abend. Aber am Anfang sind noch alle verunsichert.
„Warum sollten sie ihn gewinnen lassen?“, fragt die Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Greene. „Das ist eine gute Frage“, antwortet Carlson. Noch ist der Wahlabend jung. Trump hat eben Florida gewonnen und liegt bei gerade einmal 95 Wahlleuten. „Sie haben vor, die Wahlen zu stehlen!“, warnt Marjorie Taylor Greene. Es gebe Menschen, die alles über manipulierte Wahlmaschinen wüssten, aber zu große Angst hätten, um darüber zu sprechen. Später scherzt Tucker Carlson, dass sogar Inselstaaten fairere Wahlen abhalten würden als die USA, die Wiege der Demokratie. Und Don Junior stellt Mutmaßungen über fabrizierte Stimmzettel an, die in Lagerhallen versteckt wären.
Stufe 2: Drill!
Solange sich kein Sieg abzeichnet, bezweifeln die MAGA-Fans, dass die Wahl fair abläuft. Der Podcaster Graham Allen gibt in seiner Sendung „Dear America“ Tipps, was man gegen den Wahlbetrug tun kann. Man solle auf keinen Fall ein „MAGA-Outfit“, also zum Beispiel eine Trump-Kappe tragen, sondern „undercover“ zur Urne schreiten.
Es ist neun Uhr am Dienstagmorgen, als Allen, der selbst eine schwarze MAGA-Kappe trägt, seine Zuhörer auf den Wahltag einschwört. Er richtet sich, ganz bewusst, nur an Männer. „Ladies, ich will nicht respektlos sein. Aber ihr wisst, dass ein großer Teil von euch nicht gut wählt. Jetzt brauchen wir Männer, damit sie unser Land retten!“ Dann schlägt Allen mit seinem Kugelschreiber auf den Tisch und ruft immer wieder: „Männer! Männer! Männer! Männer kämpfen im Krieg! Männer schlagen die Schlachten! Männer, ihr müsst aufstehen und wählen gehen!“ Zur Sicherheit spricht Allen am Ende noch ein Gebet. „Guter Gott! Wir beten, dass du unserer Nation alle Sünden vergibst. Bitte greif in diese Wahl ein, wie es die Menschheit noch nie gesehen hat!“
Stufe 3: Stay in Line!
Auch Donald Trump selbst streut am Anfang noch Gerüchte über angeblichen Wahlbetrug. Konkret geht es um Philadelphia. Sogar die Strafverfolgungsbehörden seien dorthin unterwegs, behauptet er. Nähere Details nennt er nicht. Der Bezirksstaatsanwalt von Philadelphia, Larry Krasner, äußert sich kurz darauf dazu. Es gäbe keinerlei Beweise für diese „wilden Anschuldigungen“. Als sich immer mehr Bundesstaaten rot färben, lässt Trump die Desinformation bleiben. Jetzt zählt nur noch eine Botschaft: Stay in Line! Ein TikTok-Video zeigt Trump in einem festlichen Saal mit Kronleuchtern. Er sagt: „Republikaner, es läuft wirklich gut für uns. Bleibt in der Schlange!“
Stufe 4: Häme!
Mit North Carolina geht der erste Swing State an Trump. In Washington ist es Mitternacht, in Österreich sechs Uhr Früh. Kurz darauf holt sich Trump Georgia und baut seinen Vorsprung mit insgesamt 246 Wahlleuten weiter aus. Das Wahlkampfteam von Kamala Harris teilt mit, dass sie in der Nacht keine Rede mehr halten wird. Bilder von der Wahlparty der Demokraten an der Howard Universität – der früheren Uni von Harris in Washington – machen die Runde. Sie zeigen, wie Unterstützer nach Hause gehen. Das ist der Moment, als die Seifenblase der Demokraten platzt und sich die Party in eine Trauerfeier verwandelt.
Trump-Anhänger posten Bilder vom leeren Innenhof der Universität und von Harris-Fans, die ihre Gesichter in den Händen vergraben.
Jetzt, wo der Sieg zum Greifen nahe scheint, ist von Wahlbetrug keine Rede mehr.
Marjorie Taylor Greene, jene Kongressabgeordnete, die bei Tucker Carlson gerade noch angezweifelt hatte, dass die Wahl fair abläuft, jubelt: „Donald Trump wurde zum DRITTEN Mal zum Präsidenten gewählt.“