Meloni oder: Kann eine Rechtspopulistin in die Mitte rücken?
Ein Zugewinn war bei der EU-Wahl war Giorgia Meloni, Italiens Ministerpräsidentin, und ihrer Partei Fratelli d’Italia sicher. Vor fünf Jahren, als das Europäische Parlament zuletzt gewählt wurde, befand sich die rechtspopulistische Formation noch im Aufbau. 2012 gegründet und zwei Jahre später von Meloni angeführt, erreichten die „Brüder Italiens“ bei der EU-Wahl 2019 6,4 Prozent der Stimmen. Damals dominierte die Lega von Matteo Salvini das rechte Lager. Doch längst haben sich die Kräfteverhältnisse umgekehrt. Bei der Parlamentswahl 2022 wurden die Fratelli die stärkste Kraft, Meloni die erste weibliche Ministerpräsidentin und seither fragt sich ganz Europa: Wie weit rechts steht diese Frau wirklich – und kann sie, die Rechtspopulistin, innerhalb der EU eine konstruktive Kraft darstellen?
Im Rat der Staats- und Regierungschefs hat sie allen Maßnahmen gegen Russland wegen dessen Angriffskriegs auf die Ukraine zugestimmt, obwohl man ihre Regierung anfangs als russlandfreundlich verdächtigt hatte. Die Konservativen begannen bald damit, Meloni als potenzielle Partnerin zu umwerben. Die Italienerin konnte sich der Besuche und Einladungen kaum erwehren, auch Bundeskanzler Karl Nehammer reiste zu Meloni nach Rom und lud sie im Juni des vergangenen Jahres zum Europaforum nach Göttweig ein. Als sich Meloni betont freundschaftlich mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte, begannen sich ihre rechtspopulistischen Kollegen der EKR-Fraktion langsam Sorgen zu machen: Wird Meloni womöglich von der Leyen bei der Wahl zur Kommissionspräsidentin unterstützen?
Jetzt hat Meloni als Spitzenkandidatin aller fünf Wahlkreise in Italien mit 28,6 Prozent den Sieg eingefahren, der ihr vorhergesagt worden war. Der Machtzuwachs auf europäischer Ebene ist ihr gewiss, bloß, wie sie ihn einsetzen wird, weiß man noch nicht. Denkbar ist, dass sie zu einer Art Bindeglied zwischen Konservativen und Rechtspopulisten wird. Das könnte man als Mitte-Tendenz einer Rechtspopulistin interpretieren oder als Rechtsruck der Konservativen.