Hauptdarsteller-Duo: Donald Trump und Michael Moore - im Bild rechts oben bei einem Zusammentreffen in den 1990er-Jahren.
Grenzwertüberschreitung

Michael Moore polemisiert in "Fahrenheit 11/9" scharf gegen Donald Trump – und dessen Gegner

Michael Moore polemisiert in "Fahrenheit 11/9" scharf gegen Donald Trump – und dessen Gegner

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War das alles nur ein Traum? Ekstatische Massen in Philadelphia skandieren am Vorabend der Präsidentschaftswahl 2016 den Vornamen ihrer Kandidatin; Hillary Clinton winkt und strahlt von der Bühne, reckt den Daumen ihrer rechten Hand empor -und der Film blendet zurück in die öffentlichen Debatten, in denen sich Politiker, Kommentatoren und Filmstars in den Monaten davor, in der Hitze des Wahlkampfs, stets einig waren: Einen Präsidenten Donald Trump werde es nicht geben, lacht etwa Hollywood-Ulknudel George Clooney bei einer Pressekonferenz in Cannes; er könne unmöglich gewinnen, stellt die ungleich trockenere Demokratin Nancy Pelosi anderswo fest, denn tatsächlich tendierten Donald Trumps Chancen auf einen Sieg gegen null, wagen sich auch die TV-Analytiker mit aufgesetztem Profi-Blick aus der Deckung.

Am Wahlabend selbst dann siegessichere Demokraten, verfrühtes Knallen der Champagnerkorken. Lange war mit Trumps Triumph nicht zu rechnen, die gute Stimmung in den ersten Bildern dieses Films auf Demokratenseite zeugt ebenso davon wie die korrespondierende Depression im Trump-Camp, wo man eine vernichtende Niederlage kommen sah.

"Wie zur Hölle konnte es so weit kommen?"

Haben wir das also alles nur geträumt, fragt der Filmemacher und zeigt Donald Trumps satanische Visage in hundertfacher Überlebensgröße, projiziert auf das Empire State Building: "Wie zur Hölle konnte es so weit kommen?" Die verbleibenden zwei Stunden seines Films verbringt Michael Moore mit dem Versuch, ein paar Antworten auf diese Frage zu finden, die ideologisch stimmig und doch so weit unterhaltsam wären, dass auch die politisch Unerfahrenen und Verdrossenen auf ihre Kosten kommen.

Was treibt Trump an? Wie kriminell ist seine Energie tatsächlich? Und was richtet er durch seine Ignoranz an -von der weiterhin grassierenden Waffengewalt in den USA bis zum epidemisch um sich greifenden Rassenhass in der Welt. Das geht nicht ohne Küchenpsychologie und Spekulation -und nicht ohne ein gewisses Chaos in der Struktur dieser Erzählung, die von vergifteten afroamerikanischen Kindern (im Zuge der Trinkwasserkrise in Flint, Michigan) bis zum Schulmassaker in Parkland, Florida, taumelt.

Eigentlich war davon auszugehen, dass der Filmemacher Michael Moore, 64, seine besten Tage längst hinter sich habe. Ermattete politkomödiantische Kinoessays wie "Sicko" (2007) oder "Where to Invade Next" (2015) schienen nur noch entfernt an den Glanz der frühen Jahre dieses Filmemachers zu erinnern, an die Tage von "Roger and Me" (1989) und "Bowling for Columbine" (2002). Nun legt er mit "Fahrenheit 11/9" ein Werk vor, das zwar die etablierte Methode beibehält, seine Dringlichkeit und argumentative Schärfe aber deutlich erhöht. Das Amerika-Bild, das Moore hier zeichnet, stellt eine düstere Diagnose. Die Inseln der Hoffnungen, die er zwischendurch pflichtschuldig ansteuert (mutige Whistleblower; sozialpolitisch entschlossene Teenager; solidarische Lehrkräfte), können das dumpfe Gefühl einer nahenden faschistischen Apokalypse nicht ansatzweise zerstreuen.

Natürlich bezieht "Fahrenheit 11/9", betitelt in Anlehnung an das Datum des Trump-Siegs in der Präsidentschaftswahl 2016 (und an "Fahrenheit 9/11", Moores bald 15 Jahre zurückliegende filmische Demontage eines anderen republikanischen Präsidenten namens George Walker Bush), einiges an finsterem Unterhaltungswert aus dem Fernduell zweier populistischer, einander weltanschaulich diametral entgegengesetzter Geister. Moore gegen Trump, das ist Brutalität. Denn vor drastischen Untergriffen und billigen Pointen schrecken bekanntlich beide nicht zurück, auch wenn der eine sich gern zum proletarischen David stilisiert, der gegen den herrschenden anderen mit naiver Direktheit und Showbiz-Instinkt ins Feld zieht - im Kino sitzt der Regisseur eher an den Schalthebeln der Macht als die im wirklichen Leben Übermächtigen, von denen er berichtet. So werden die Kontrahenten, für die Dauer eines Films, gewissermaßen ebenbürtig.

Wirklich überraschend an "Fahrenheit 11/9" ist jedoch die Vehemenz, mit der Moore nicht nur sich selbst, sondern auch die Demokraten und sogar Barack Obama attackiert: Die getrickste Eliminierung Bernie Sanders' als demokratischer Spitzenkandidat seziert Moore hier ebenso deutlich wie den politischen Opportunismus Obamas.

Szene aus "Fahrenheit 11/9": Michael Moore polemisiert scharf gegen Donald Trump – und dessen Gegner.

Die Frage, ob Moores Filme "dokumentarisch" sind, ist allerdings nicht mit letzter Gültigkeit zu beantworten. Sie dokumentieren etwas, zugleich aber werden die Tatsachen darin auch merklich inszeniert, dem jeweiligen Argument angepasst. Und die Schnittgeschwindigkeit, mit der Moore seine Standpunkte vorbringt, lässt kaum Raum zur kühlen Einschätzung des Gebotenen: ein Kino der Erhitzung und der Grenzwertüberschreitung. Tatsächlich ist der Film ein Husarenstück der Montage, an der neben dem Regisseur elf Cutter und mittelbar auch eine ganze Flotte an Materialsuchern in den Archiven gewerkt haben. Trump tritt in "Fahrenheit 11/9" als Autokrat und Rassist, als Horrorclown und Supersexist, sogar als potenziell inzestuöser Pädophiler auf, der in einer beunruhigenden Szenenfolge von den physischen Vorzügen seiner Tochter Ivanka und seinem latenten erotischen Interesse an ihr Bericht erstattet.

Darf Moore das? Steckt er mit solchen Vorwürfen nicht schon tief in klagbarem Gelände? Nein, er darf: Ein Team von Anwälten prüft Moores Provokationen, die auch unter dem Deckmantel der politischen Satire stattfinden, auf Herz und Nieren, ehe es grünes Licht zur Veröffentlichung gibt. Gegen Ende, wenn Moore eine Hitlerrede mit Trumps Gelaber unterlegt, wird es kurzfristig wirklich albern - aber eben nur kurzfristig, denn wenn der Politologe Timothy Snyder gleich danach die aktuell weltweit bedrohte Demokratie analysiert, erscheint die Chuzpe des Vergleichs plötzlich nur noch halb so absurd.

Vielleicht liegt die Faschismuskeule, die Moore gegen Ende seines Films auspackt, bei genauer Betrachtung eben doch ein wenig näher, als die beschwichtigenden Politanalytiker aller Länder dies gerne hätten. Ein Hinweis darauf mag sich schon im Titel dieses Films finden: Am 9. November hielt schließlich nicht nur Donald Trump seine Siegesrede als kommender Präsident der USA; exakt 78 Jahre davor setzte auch der Terror der nationalsozialistischen Novemberpogrome ein. Das Datum ist ominös, der Film dazu im beklemmendsten Sinne unheilschwanger.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.