Gottes Comeback, Messias’ Untergang

Midterm Elections: Barack Obama als Klotz am Bein der Demokraten

USA. Barack Obama als Klotz am Bein der Demokraten

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Von Martin Kilian, Washington

Das Rätsel der kommenden Saison in der US-Politik lautet so: Wie kann eine Partei, die bei den Präsidentschaftswahlen 2008 und 2012 von den Wählern abgewatscht wurde, und die dabei unrettbar alt aussah, zwei Jahre später plötzlich den Kongress an sich reißen? Eine Partei, die geradezu zwanghaft die Interessen von Wirtschaft und Reichen vertritt; die eine Erhöhung des Mindestlohns ablehnt; die nichts gegen die horrende Verschuldung amerikanischer Studenten zu tun gedenkt; die kaum einmal etwas anschiebt, was das Schicksal der bedrängten amerikanischen Mittelklasse verbessern könnte. Eine Partei, in der Schusswaffen-Freaks den Ton angeben, wenngleich sich seit dem Massaker an Schulkindern in Newtown im Dezember 2012 nahezu jede Woche eine neue Schießerei an einer amerikanischen Schule ereignet hat. Eine Partei auch, welche die Schwulenehe vehement ablehnt und deren Vertreter nicht selten durch profunde Wissenschaftsfeindlichkeit auffallen.

Wie unschwer zu erkennen ist, betrifft das Rätsel die Republikanische Partei. Doch die Lösung muss mit Barack Obama beginnen.

I. Die Krise des Präsidenten
Der Mann im Weißen Haus, nach den Debakeln der Ära Bush wie ein Messias gefeiert, versprach neben dem Ende der politischen Blockade in Washington vor allem Kompetenz. Die Republikaner sorgten dafür, dass der blauäugige Obama diese Blockade nicht überwinden konnte. Und der Präsident sorgte selbst dafür, dass seine Kompetenz inzwischen kaum weniger angezweifelt wird als jene seines Vorgängers.

Der verheerende Start der Gesundheitsreform Obamacare, die Skandale bei der Versorgung von Veteranen, das Hin und Her in Syrien: Obama eiert durch seine zweite Amtszeit als ein Mann ohne Eigenschaften, der zusehends müde und lustlos agiert, als langweile er sich und sehne nichts mehr herbei als das Ende seiner Präsidentschaft. Amerikas Bürger hingegen hätten „einen wachsenden Appetit auf fundamentale Kompetenz“, glaubt der republikanische Stratege Mark McKinnon.

So sehr viele Amerikaner Barack Obama persönlich schätzen: Wie seinen Vorgängern Dwight Eisenhower und Richard Nixon, Bill Clinton und George W. Bush gerät auch ihm die zweite Amtszeit zu einer eher desolaten Veranstaltung. Der einstige Heilsbringer ist auf Normalmaß gestutzt worden, nur mehr blass glimmt sein einstiger Heiligenschein.
So hängt er den verschreckten Senatskandidaten seiner Partei eher als unwillkommener Ballast um den Hals, weshalb sie, wie Senator Mark Pryor im konservativen Südstaat Arkansas, lieber die Weite suchen, sobald Obama naht. „Willkommen in meiner Welt“, resignierte Pryor vorvergangene Woche, als der Präsident neue und in Arkansas höchst umstrittene Vorschriften zur Senkung der Emissionen von Kraftwerken bekanntgab.

Zum Problem für seine Partei ist Barack Obama indes nicht nur wegen diverser Fehltritte geworden, auch nicht, weil er sich im Präsidentenamt abgenutzt hat. Ein republikanischer Sieg bei den Kongresswahlen im November scheint nicht zuletzt deshalb möglich, weil die Partei des Sklavenbefreiers Abraham Lincoln subtil und mit Codewörtern an weiße Rassenressentiments appelliert, die seit Obamas Wahl nicht nur im einstmals konföderierten Süden wieder in Mode gekommen sind. Der Mann im Weißen Haus verteile staatliche Bonbons an Afroamerikaner und überhaupt alle, die es nicht verdienten, während die weiße Mittelklasse blute, dröhnt es aus der konservativen Ecke.

Natürlich hilft es nicht, dass die US-Wirtschaft im sechsten Jahr der Obama-Präsidentschaft noch immer an den Folgen der Großen Rezession leidet und die Ängste der Mittelklasse vor dem sozialen Absturz weiter zugenommen haben. Da viele Illusionen, die einst mit Obama und den Demokraten verknüpft waren, inzwischen verflogen sind, ist zudem keineswegs sicher, dass die demokratische Stammwählerschaft im Herbst mobilisiert werden kann.

Je geringer aber die Wahlbeteiligung ausfällt, desto besser stehen die Chancen der Republikaner. Oft liegt diese bei Kongresswahlen unter 40 Prozent; vor allem Ärmere sitzen die Wahl aus. Begünstigt wird dadurch eine Republikanische Partei, die mit fragwürdigen Methoden und Tricks seit Jahren versucht, Afroamerikaner, Latinos und Arme möglichst vom Urnengang abzuhalten. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir unsere Mehrheit halten können“, macht Justin Barasky, der Pressesprecher des Demokratischen Senatskomitees, sich und den seinen trotzdem Mut.

Es würde nicht viel brauchen, um Washington im Gefolge eines Patts zwischen Weißem Haus und Kongress in völliges Chaos zu stürzen. Bleiben junge Amerikaner, Afroamerikaner oder Latinos den Wahlen fern, weil sie entweder desillusioniert oder desinteressiert sind, droht den Demokraten eine bittere Niederlage.

Die Republikaner hingegen haben derlei Probleme nicht: Ihre Basis, überwiegend weiß, älter und dank ihrer Abneigung gegen den Präsidenten hoch motiviert, könnte ihren angestauten Unmut im Herbst durch eine hohe Wahlbeteiligung abreagieren.

II. Die Radikalisierung der Republikaner
Wohin die Basis ihre Grand Old Party treibt, zeigte eine Episode der vergangenen Woche aus dem Bundesstaat Virginia. Dort bedachte der Amtsinhaber, ein hoher Favorit und außerdem Chef der republikanischen Fraktion im Washingtoner Repräsentantenhaus, seine Anhänger mit vielen saftigen Steaks: Nahezu 170.000 Dollar gab Mehrheitsführer Eric Cantor für Restaurant-Einladungen aus, um die Wähler in seinem Kongressbezirk im Staat Virginia bei Laune zu halten. Sein Widersacher Dave Brat, ein unbeschriebenes, jedoch von der Tea Party favorisiertes Blatt, verfügte insgesamt nur über 200.000 Dollar, um Cantor bei der parteiinternen Vorwahl vergangene Woche die republikanische Kandidatur für den Bezirk streitig zu machen.

Am Dienstagabend war die Sensation dann perfekt: Der mächtige Mehrheitsführer Cantor unterlag gegen den Wirtschaftsprofessor Brat und trat daraufhin prompt von seinem Amt zurück. Für Barack Obama kam Cantors Niederlage einer mittleren Katastrophe gleich: Obwohl Cantor gegen den Präsidenten wiederholt Front gemacht hatte, konnte Obama leidlich gut mit ihm. Nun droht dem Präsidenten Schlimmes: Cantors Niederlage hat Signalwirkung und dürfte die Hardliner und Tea-Party-Anhänger in der republikanischen Fraktion weiter stärken und die politische Polarisierung in der Hauptstadt verschärfen.

Konservativ war Cantor allemal – aber eben nicht konservativ genug für das Empfinden einer republikanischen Basis, die gegenüber Washington weder Kompromisse noch Einlenken toleriert. Cantors Hauptsünde bestand darin, dass er Präsident Barack Obama entgegengekommen war, indem er eine bescheidene Reform der US-Einwanderungsgesetze befürwortete. Überdies wurde dem Fraktionsvorsitzenden zum Verhängnis, dass er beim Budgetstreit im Vorjahr einen Vergleich mitgetragen hatte, um die Vereinigten Staaten vor dem Staatsbankrott zu bewahren.

Knapp fünf Monate vor den Kongresswahlen, bei denen das gesamte Repräsentantenhaus sowie ein Drittel des Senats zur Wiederwahl anstehen, zählen vor allem Härte und Linientreue. So weit ist die Republikanische Partei nach rechts gedriftet, dass nicht die Kunst des Regierens belohnt wird, sondern allein die Kunst der Blockade. Nach Cantors Pleite dürfte sich die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus jetzt noch mehr radikalisieren, Cantors Nachfolger mithin noch unnachgiebiger sein.

Die Niederlage des wirtschaftsfreundlichen Mehrheitsführers werde die Partei „noch weiter nach rechts bewegen und sie auf nationaler Ebene noch mehr ins Hintertreffen bringen“, grauste es den Abgeordneten Peter King, einen der wenigen verbliebenen Gemäßigten in der republikanischen Fraktion. Mag sein, aber neben der Mehrheit im Repräsentantenhaus – den Demokraten werden hier kaum Chancen eingeräumt – winkt der Partei bei den Midterm Elections im Herbst auch die Machtübernahme im Senat. Gewinnen die Republikaner Anfang November sechs Sitze in der 100-köpfigen Kammer dazu, wäre die wacklige Präsidentschaft des ersten Afroamerikaners im Weißen Haus endgültig Makulatur und Barack Obama für die verbleibende Hälfte seiner zweiten Amtszeit eine „lame duck“.

Nichts ginge mehr gegen republikanischen Widerstand in beiden Kammern des Kongresses: Richterstellen würden unbesetzt bleiben, die Verabschiedung von Budgets geriete zu endlosem politischen Jiu-Jitsu. Trotz des parteiinternen Zwists mit der Tea Party, die das republikanische Establishment einst rief, inzwischen aber liebend gern wieder los wäre, und trotz einer reaktionären Politik, wie sie keine andere große Volkspartei in einem westlichen Land betreibt, säße die Republikanische Partei nach der Novemberwahl an den Schalthebeln der Macht. „Das Umfeld ist wirklich gut im Moment, und die Qualität unserer Kandidaten ist gleichfalls gut“, beschreibt der altgediente republikanische Stratege Scott Reed erfreut die Wahlchancen der Partei.

III. Die Hoffnung der Demokraten
Vielleicht aber kommt der politische Irrwitz, dem die Republikaner seit einiger Zeit zuneigen, doch noch den Demokraten zugute. Denn die Konservativen setzen auch nach zwei verlorenen Präsidentschaftswahlen auf Pferde, denen längst das Gnadenbrot zustünde: „Guns, God and Gays“.
Der Kulturkampf mag sich abgeschwächt haben, noch immer aber taugen seine Schlagwörter zur Anstachelung einer republikanischen Wählerschaft, die sich zutiefst bedroht fühlt. Sie siedelt dort, wo das kreative Amerika nicht zu Hause ist, auf dem Land nämlich und in der Provinz fernab von den Metropolen und Motoren der Zukunft, wie New York und San Francisco, Austin und Atlanta, Seattle und Boston. Ihre Befindlichkeit ist prekär, glaubt sie doch, ihr Erbe werde verschleudert von einer Nation, die immer bunter und von dunklen Hautfarben dominiert wird. Sie ist zudem gläubiger als die demokratische Wählerschaft und hängt evangelikalen und fundamentalistischen Strömungen an.

Wenn der republikanische Senatskandidat Steve Daines im Staat Montana sagt, es gebe „Evolutionstheorie, und es gibt Schöpfungstheorie“, spricht er dieser Wählerschaft aus der Seele. Dass die Republikanische Partei in weiten Teilen wissenschaftsfeindlich ist und den Klimawandel zu einem unerhörten Betrug der Eliten an den Massen deklariert hat, stört sie keineswegs; vom „Klimageschwätz“ hält sie ja selbst nichts. „Das Ausmaß wissenschaftlichen Analphabetentums bereitet einen fruchtbaren Boden für politische Appelle, die ihrerseits auf schierer Ignoranz basieren“, beschreibt die renommierte Publizistin und Religionskritikerin Susan Jacoby das Phänomen des konservativen Antiintellektualismus, wie er besonders in den republikanischen Bastionen des tiefen Südens in Alabama, Mississippi, Louisiana und Georgia grassiert.

Gerade dort aber hoffen Demokraten auf ein politisches Wunder, das sie vor einer Katastrophe im November bewahren soll: Inständig betet das demokratische Establishment in Washington, dass die Konkurrenz wie schon 2010 und 2012 möglichst durchgeknallte Kandidaten aus dem Lager der Tea Party nominieren und sich dadurch um vermeintlich todsichere Siege bringen werde. Verschreckten bei den Senatswahlen damals Tea-Party-Favoriten wie Todd Akin in Missouri oder Richard Mourdock in Indiana sogar konservative Wähler mit ihren leichtfertigen Auslassungen über Vergewaltigung und Schwangerschaft, so sollen es diesmal republikanische Lautsprecher in Georgia und Mississippi richten.

Ausgerechnet in Mississippi, wo die dominante Republikanische Partei ihre demokratischen Widersacher gemeinhin als Wesen von einem anderen Stern behandelt, möchte die Präsidentenpartei punkten, falls dort der Tea-Party-Mann Chris McDaniel, ein Meister des losen Mundwerks und Vertreter krauser Ansichten, zum Senatskandidaten nominiert wird. Letztlich offenbart sich darin die Ratlosigkeit einer Partei, die dank Barack Obama zwei Präsidentschaftswahlen hintereinander gewonnen hat, ohne jedoch die republikanische Phalanx wirklich durchbrochen zu haben – zumal nach der erstaunlichen Niederlage Eric Cantors am vergangenen Dienstag im Falle eines republikanischen Sieges im November in Washington erst recht bittere Zeiten anstehen: Die Riege republikanischer Hardliner im Repräsentantenhaus wird eine Totalblockade ausrufen und jegliche Apostasie mit Verweis auf Cantors Schicksal hart verfolgen.
Republikanischen Wählern unterhalb der Millionärsebene brächte dies nichts, was ihr Leben wirklich verbesserte – außer eben dem Gefühl, es vermeintlichen Trittbrettfahrern und Obama-Sozialisten gezeigt und obendrein alle Attacken auf das Recht auf Waffenbesitz pariert zu haben. Obama hingegen wäre einem endlosen Grabenkrieg ausgesetzt, dessen Frontverlauf sich wie einst bei Verdun kaum jemals veränderte. Seine Präsidentschaft würde verdampfen, seine Relevanz gegen null sinken. Und inmitten dieser Blockade würden die Amerikaner neuerlich auf einen Erlöser warten. Diesmal wäre er vermutlich eine Frau. Ihr Name: Hillary Clinton.