Militäranalyst Franz-Stefan Gady: „Europa braucht Abschreckung“
Von Robert Treichler
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Sie versuchen, Erklärungen zu geben, warum Kriege begonnen werden. Worin besteht die Verlockung?
Franz-Stefan Gady
Ich würde es als Kriegsoptimismus bezeichnen: Die Annahme, man könne einen Krieg schnell, erfolgreich und für die eigene Seite relativ unblutig führen, war immer schon eine der Hauptmotivationen. Die Geschichte lehrt allerdings, dass das erwartete Resultat selten so eintritt. Das Wichtigste ist: Die persönlichen Ambitionen von politischen Entscheidungsträgern widersprechen oft den gesamtstaatlichen Interessen. Deshalb warne ich davor, sich in falscher Sicherheit zu wiegen, weil man annimmt, dass ein Krieg sinnlos sei. Das kann stimmen, und dennoch werden Kriege vom Zaun gebrochen.
Warum ist dieser Kriegsoptimismus gerade jetzt im Steigen begriffen?
Gady
Erstens liegt es an dem Glauben, dass neue technologische Fähigkeiten eine entscheidende Überlegenheit bewirken. Der zweite, wichtigere Grund ist ein geopolitischer. Wir befinden uns in einer Umbruchphase, weil die USA als der globale Hegemon, der jahrzehnte- lang die internationale Sicherheit untermauert hat, immer weniger Interesse daran haben, Weltpolizist zu spielen. Die USA haben auch nicht mehr die Kapazitäten, global als Garant für Frieden oder Waffenruhen aufzutreten.
Das macht es verlockender, Kriege zu führen?
Gady
Ja. In einer multipolaren Welt ohne einen Garanten, der den Frieden sichert, ist etwa die Wahrscheinlichkeit höher, dass es zu Nachfolgekriegen kommt. Wann immer zwischen Russland und der Ukraine ein Waffenfrieden hergestellt sein wird, muss man auch dort damit rechnen, dass neuerlich Kriegshandlungen aufflammen.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass man erst im realen Ernstfall sieht, wie effektiv eine Armee ist. Lässt sich also zum Beispiel nicht präzise sagen, wie gefährlich der Iran Israel werden kann?
Gady
Militärische Stärke resultiert immer aus einem Dreieck: Fähigkeiten (also Waffensysteme), Kapazitäten (die Menge an Soldaten, Waffen und Munition) und Einsatzbereitschaft (Ausbildung, Training). Die israelischen Streitkräfte haben es grundsätzlich in den letzten Jahren geschafft, die Balance dieser drei Faktoren zu schaffen, obwohl die Einsatzbereitschaft für einen hochintensiven Krieg etwas reduziert wurde. Die iranischen Streitkräfte haben vielleicht die Kapazität in einzelnen Waffensystemen, aber sie haben bei Weitem nicht die Fähigkeiten und auch keine ausreichende Einsatzbereitschaft. Dennoch verfügt der Iran durchaus noch über ein Arsenal an Langstreckenwaffensystemen, das er einsetzen kann. Aber beide Seiten, Israel und der Iran, haben ein Kapazitätsproblem und leiden jetzt schon an einem Mangel an Flug- und Raketenabwehrmunition.
Wobei Israel besonders darunter leidet, weil es nicht nur vom Iran, sondern auch von der Hamas und der Hisbollah beschossen wird?
Gady
Die Hisbollah hat immer gewusst, dass die Israelis auf der technologischen Ebene überlegen sind. Ihre Antwort darauf sind die sogenannten Übersättigungsangriffe, also so viele Raketen abzufeuern, dass die israelische Abwehr kollabiert. Und damit komme ich auf Ihre Frage zurück: Ob diese Strategie erfolgreich ist, werden wir wahrscheinlich erst wissen, wenn dieser Angriff stattgefunden hat.
Im Nahen Osten ebenso wie im Ukraine-Krieg werden Kampfdrohnen eingesetzt. Erleichtern solche vergleichsweise günstigen Waffen die Kriegsführung auch für paramilitärische Gruppen?
Gady
Aus meiner persönlichen Erfahrung in der Ukraine habe ich gelernt, dass Drohnen hauptsächlich als Unterstützung von regulären Waffensystemen wie Artillerie, Panzer, Mehrfachraketenwerfer und dergleichen eingesetzt werden. Es ist außerdem ein irrsinniger logistischer Aufwand, diese Systeme einzusetzen. Sie sind auf dem Gefechtsfeld wesentlich weniger robust.
Welchen Einfluss hat künstliche Intelligenz auf die moderne Kriegsführung?
Gady
Zunächst halte ich es für einen Trugschluss von vielen KI-Enthusiasten, die meinen, dass autonome Drohnen oder ganz allgemein autonome Waffensysteme dazu führen, dass man die Größe der Streitkräfte reduzieren könne. Tatsächlich verschiebt sich die Struktur der Streitkräfte lediglich. Wenn man KI-gestützte Waffensysteme klug einsetzt, kann man so die eigenen Verluste reduzieren. Aber letztendlich wird man auch im Krieg der Zukunft „boots on the ground“ benötigen – Soldaten, die Stellungen und Territorien einnehmen und auch halten.
Österreich braucht eine Nachrüstung der Streitkräfte, um wieder im größeren Rahmen einen konventionellen sowie hybriden Abwehrkampf im 21. Jahr-hundert führen zu können.
Sie schreiben, dass Kriege durch Politik, Diplomatie und militärische Stärke gelöst werden. Warum aber klappt das derzeit nicht?
Gady
Mein Buch heißt auch deshalb „Die Rückkehr des Krieges“, weil der Krieg auch in Europa wieder in die Köpfe der politischen Entscheidungsträger zurückkehren muss. Nur wenn man erkennt, dass man Streitkräfte nicht in einer Friedenslogik, sondern primär in einer Kriegslogik denken muss, kann man die Abschreckungsfähigkeit der eigenen Streitkräfte gewährleisten. Eine ausbalancierte Sicherheitspolitik für Europa benötigt neben einer strategisch ausgelegten Außenpolitik – Diplomatie und Dialog mit potenziellen Gegnern – vor allem die konventionelle militärische Abschreckung.
Was heißt das für Österreich?
Gady
Österreich braucht eine Nachrüstung der Streitkräfte, um wieder im größeren Rahmen einen konventionellen sowie hybriden Abwehrkampf im 21. Jahr-hundert führen zu können, also angefangen von der Jägertruppe, der mechanisierten Truppe bis zu Flugraketenabwehrsystemen und dem Ausbau der Truppen für den Cyberraum und dem elektronischen Kampf. Und wenn ich an das Dreieck der militärischen Stärke denke, wäre eine Steigerung der Einsatzbereitschaft dringend notwendig, konkret die Wiedereinführung von verpflichtenden Milizübungen. Kriege werden letztendlich durch Reserven gewonnen und verloren.
Franz-Stefan Gady, 41,
ist unabhängiger Analyst und Militärberater. Er lehrt am Institute for International Studies in London und am Center for New American Security in Washington, D.C. Gady berät Regierungen und Streitkräfte in Europa und in den USA in Fragen der Zukunft der Kriegsführung.
Robert Treichler
Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur