profil-Morgenpost: Aus der Redaktion
Dem legendären ARD-Anchorman Hanns Joachim Friedrichs war jegliches Pathos wesensfremd. Doch wenn selbst er einmal sichtlich ergriffen wirkte, wusste man: Großes hatte sich ereignet. Am 9. November 1989 moderierte Friedrichs die Nachrichtensendung „Tagesthemen“ mit folgenden Worten ein: „Im Umgang mit Superlativen ist Vorsicht geboten; sie nutzen sich leicht ab. Aber heute Abend darf man einen riskieren. Dieser 9. November ist ein historischer Tag. Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind. Die Tore in der Mauer stehen weit offen.“ Die Geschichtsträchtigkeit des Mauerfalls stand außer Frage. Welche dramatischen Folgen er haben sollte, war zu diesem Zeitpunkt aber noch kaum absehbar: Am 3. Oktober 1990 stellte die DDR ihren Betrieb ein, am 21. Dezember 1991 die Sowjetunion. Die Nachkriegsordnung hatte ausgedient.
Die aktuelle profil-Ausgabe würdigt die Hintergründe und Konsequenzen der friedlichen „November-Revolution“ von 1989 mit einem großen Schwerpunkt. Dabei geht es weniger um eine rekapitulierende Chronik der Ereignisse als vielmehr um den Versuch einer Gesamtschau ihrer langfristigen Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur und Wissenschaft nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Anders formuliert: Was ist vom Mauerfall geblieben – auch 30 Jahre danach? Warum war der Zusammenbruch der DDR von so einschneidender Bedeutung, und inwiefern prägen dessen Nachbeben das globale Geschehen bis heute?
Der unter anderem in Wien lehrende Politologe Ivan Krastev wuchs im kommunistischen Bulgarien auf. Er kennt beide Welten, den Osten und den Westen, aus eigener Anschauung. „Insgesamt bin ich vom Wissen geprägt, wie rasch sich die Dinge ändern können“, sagt er im großen profil-Interview: „Wie fragil alles Politische ist; wie schnell die Leute ihre Meinung ändern; wie oft Dinge, die gestern noch undenkbar waren, plötzlich allgemeingültig sind. Das ist eine Erfahrung, die bleibt.“
Ihre Redaktion