profil-Morgenpost: Zweifellos verzweifelt
Keine Sorge, wir werden den Wiener Opernball, diesen "frackwürdigen One-Night-Stand zwischen gestern und vorgestern" (Dieter Chmelar), der in der Nacht auf heute stattgefunden hat, an dieser Stelle nicht mal prominent ignorieren. Es gibt wahrlich wichtigere Themen: Das Eurofighter-Wirrwarr in Österreich, das Massaker im deutschen Hanau, der Prozess gegen den gefallenen Hollywood-Mogul Harvey Weinstein – oder die Kriegseskalation im syrischen Idlib. Da kann einem das Lachen schon vergehen.
Obwohl: Es geht auch anders, wie ein Video zeigt, das aktuell in den sozialen Medien kursiert. Ein syrischer Vater hat aus der täglichen Kriegsverzweiflung für seine kleine Tochter ein Spiel, eine Art Anti-Trauma-Strategie erfunden. Statt zu weinen, lacht das Kind aus vollem Herzen, wenn draußen während eines Luftangriffs die Bomben einschlagen. "Ist das ein Flugzeug oder eine Bombe?", fragt der Vater seine Tochter. "Eine Bombe!", ruft das Mädchen aufgeregt: "Wenn es knallt, dann lachen wir". Die Familie, die aus der Provinz Idlib in die Stadt Sarmadā nahe der türkischen Grenze geflohen ist, gehört zu den 900.000 Menschen, die laut UN-Angaben allein seit Dezember in der umkämpften Provinz vertrieben wurden.
Zweifellos verzweifelt ist auch die Situation auf der griechischen Insel Lesbos. Kollegin Ines Holzmüller hat im aktuellen profil-Podcast mit der Journalistin Franziska Grillmeier (im Bild) gesprochen, die seit zwei Jahren auf der ägäischen Insel lebt und über die katastrophalen Zustände im Flüchtlingslager Moria berichtet. Mehr als 20.000 Menschen leben unter katastrophalen Umständen in dem Camp, das ursprünglich für 2000 Schutzbedürftige konzipiert wurde.
Für die Menschen ist der Alltag in Moria ein "täglicher Kampf ums Überleben", sagt Grillmeier im Gespräch: Die Ressourcen werden knapp, für das Essen müssen sich die Geflüchteten oft stundenlang anstellen, zum öffentlichen Gesundheitssystem gibt es für sie keinen Zugang mehr. Im Winter spitzt sich die Lage mehr und mehr zu. Bleibt die Frage: Warum tut die Europäische Union nichts dagegen? Dahinter stecke eine "Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn-Politik", sagt Grillmeier. Niemand will Verantwortung übernehmen – und die Geflüchteten werden zwischen geopolitischen Interessen zerrieben.
Philip Dulle
Das ist alles gut und wichtig, aber Sie fragen sich jetzt, wo bleiben die unerhörten Musikempfehlungen für das Wochenende (liebe Grüße an Morgenpost-Leser Christan A. aus Wien-Mariahilf)?! "Man Alive!", das neue, vierte Album des britischen Musikers King Krule erscheint heute – und es ist großartig worden. Der 25-jährige Indie-Obskurant aus Südlondon schreibt Lieder zwischen latenter Angespanntheit und melancholischem Gemurmel. Immerhin handelt es sich bei King Krule um einen survivor; Drogensucht, schwere Depressionen, Angstzustände. Heute lebt Archy Marshall, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, mit Kleinkind und Frau auf dem Land und macht eklektische Songminiaturen zwischen irrlichternden Gitarrengezupfe, tiefen Bässen, Dub-Hall, Hip-Hop- und Jazz-Versatzstücken. Dafür keift, rotzt und croont er auch gern mal ins Mikrofon. Das ist allzu menschlich – und fühlt sich daher so richtig und wichtig an.
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