Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (l) und Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der 52. Sicherheitskonferenz

Münchner Sicherheitskonferenz: In Europa wird es ungemütlich

Münchner Sicherheitskonferenz: In Europa wird es ungemütlich

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Wie ein Brigant schleiche ich mich mit meinem Wagen über die alte Innbrücke im malerischen oberösterreichischen Grenzörtchen Schärding. Die Schengen-Grenzkontrollen der deutschen Polizei an den Autobahnübergängen Salzburg-Bad Reichenhall und Suben-Passau erzeugen lange Staus und zwingen zu Umwegen. Hier, an den Gestaden des Inns, gibt es gar keine Kontrollen. Statt der Tontechnik-Studentin aus Freising, die mir der Online-Mitfahrdienst BlaBlaCar vermittelt hat, hätte ich auch einen IS-Terroristen mitsamt Equipment einschleppen können. Das viereckige alte Zollhaus am deutschen Ufer ist ein Baudenkmal, das an Zeiten erinnert, die bald wiederkommen könnten, wenn die Europäer es schaffen werden, sich Schengen ganz kaputtzumachen.

Das Ziel ist München, die jährliche Sicherheitskonferenz im Edel-Bierkeller „Bayerischer Hof“. Wie noch nie zuvor wird in diesem Jahr die Krise beschworen. Es lässt sich die Ratlosigkeit erahnen, die die politischen Eliten offenbar befallen hat. Schlagwörter wie „multiple Krisen“, „komplexe Krise“, „sense of urgency“ (zu polit-deutsch: unmittelbarer Handlungsbedarf), „hinge-point“ (Knackpunkt) werden als rhetorisches Kleingeld hin- und hergeschoben. Der sonst eher nüchterne deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier lässt das Publikum erschauern: „Ein ganzes Krisengebräu kocht gegenwärtig hoch in Europa.“ Er wäre froh, würde die EU in einem Jahr noch so bestehen, wie sie heute besteht.

Irgendwie hängt alles Unheil mit allem anderen Unheil zusammen.

Tatsächlich steht es um Europa schlecht. Irgendwie hängt alles Unheil mit allem anderen Unheil zusammen. Putins Luftwaffe bombardiert die syrische Millionenstadt Aleppo, sodass erneut Zehntausende um ihr Leben rennen. Wohin am Ende, ist klar. In München sitzt der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew auf dem Podium. „Man könnte fast meinen, wir rutschen in den Kalten Krieg zurück, als ob wir 1962 (das Jahr der Kuba-Krise mit Fast-Atomkrieg, G.M.) schrieben und nicht 2016“, erklärt er halb launig, halb grimmig. Denn der Westen, so Medwedew, würde den russischen Präsidenten Wladimir Putin „dämonisieren“. Mag ja sein, aber in der Welt der Taten geschieht nichts, um Putin daran zu hindern, uns die nächste Flüchtlingswelle zu schicken.

Auf einem anderen Podium erleben wir Peter Altmeier, Angela Merkels Kanzerlamtschef und point man für die Flüchtlingsfrage. Der hemdsärmelige, rundliche Macher stellt sich schmunzelnd als das „am stärksten gebaute Regierungsmitglied“ vor. Nationalstaatliches Vorgehen hätte keine Aussicht auf Erfolg, gesamteuropäische Lösungen müssten gefunden werden. Der Mann hat ja Recht. Allein, die anderen Europäer wollen nicht mitmachen. Sie lassen Deutschland allein im Regen stehen. Frankreich: Fehlanzeige – Ministerpräsident Manuel Valls schloss eine weitere Aufnahme von Flüchtlingen kategorisch aus, nachdem die „Grande Nation“ gerade mal 30.000 Menschen Schutz geboten hat. Österreich: springt nach 90.000 Flüchtlingsaufnahmen im Vorjahr vom Zug ab. Außenminister Sebastian Kurz will zusammen mit Orbán (Ungarn) , Fico (Slowakei) und Kaczyński (Polen) die griechische Nordgrenze für Flüchtlinge dichtmachen.

Merkels Team setzt auf die Türkei und auf den Plan der European Stability Initiative (ESI): die EU nimmt der Türkei bis zu 250.000 Flüchtlinge ab, Ankara nimmt wiederum Asylsuchende zurück, die auf irregulärem Weg nach Europa gelangt sind. Auf diese Weise soll die ohnehin lebensgefährliche Flucht in Schlauchbooten über die östliche Ägäis unattraktiv gemacht, die Stoßrichtung der Fluchtbewegung umgekehrt werden. Altmeier saß in München mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu auf dem Podium. Selbst ein Liebesantrag hätte nicht so viele und so innige Komplimente enthalten, wie sie ihm von Merkels Gesandtem zuflogen.

Europas Populisten, allen voran Ungarns Viktor Orbán, lauern darauf, dass Merkel strauchelt und scheitert.

Doch die Türkei kocht ihr eigenes Süppchen: bei mehr als zwei Millionen Flüchtlingen im eigenen Land hat sie kaum Interesse, das Abströmen über die Ost-Ägäis und die daran gut verdienenden Schlepper zu stoppen, während sie in Nordsyrien die Terraingewinne der dortigen Kurden rückgängig machen will und gegen die Kurden im eigenen Land mit brutaler militärischer Gewalt vorgeht, damit möglicherweise eine neuartige Flüchtlingswelle generierend. Für den Merkel-ESI-Plan ist die Türkei aber unumgänglich. Der ehemalige österreichische Spitzendiplomat Albert Rohan, der als Macher in diversen Think-tanks informelle Kontakte zu den Führungen in der Region pflegt, meinte mir gegenüber, dass der Plan „zu einem gewissen Grade schon gehen“ könnte. Doch die große Frage ist, ob er mit dem nötigen Schwung umgesetzt werden kann, um eine Umkehr der Dynamik zu erreichen.

Europas Populisten, allen voran Ungarns Viktor Orbán, lauern darauf, dass Merkel strauchelt und scheitert, dass das offene, tolerante, demokratische Europa den Bach runter geht. Orbán hat sich an die Spitze einer osteuropäischen Fronde gestellt, die gegen Merkel hetzt und ihrer Politik Prügel in den Weg zu werfen trachtet. Orbán, über wirtschaftliche Abhängigkeiten Putin verpflichtet, phantasiert von einem „deutsch-türkischen Geheimpakt“ für eine angebliche Zwangsverteilung über die EU-Mitgliedsstaaten. Er bezeichnet die Flüchtlinge als „Invasoren“, er diffamiert sie als potenzielle Terroristen, als Vorhut einer islamistischen Unterwanderung des „christlichen Abendlands“. Als erster hat er stacheldrahtbewehrte Grenzzäune gegen Flüchtlinge hochgezogen, und obwohl es ihm seitdem einige nachgemacht haben, ist sein Reich immer noch darin einzigartig, dass die Sperre über mehrere hundert Kilometer verläuft, und darin, dass ertappte Flüchtlinge vor Gericht gestellt werden.

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz profiliert sich indes als Fürsprecher dieser Fronde gegen Merkel.

Die Orbán-Fronde will nun mit ähnlichen Zäunen die Grenzen Mazedoniens und Bulgariens zu Griechenland hin abdichten. Orbán will, wie er sagt, eine „neue Verteidigungslinie“ ziehen – und den Stacheldraht, der inzwischen von Häftlingen in ungarischen Gefängnissen produziert wird, an Mazedonien und Bulgarien verkaufen. Er und die anderen osteuropäischen Regierungen nehmen wissentlich das Risiko in Kauf, dass Hunderttausende Flüchtlinge in Griechenland steckenbleiben und dass damit das durch die Wirtschaftskrise ohnehin schon darniederliegende Balkanland destabilisiert wird.

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz profiliert sich indes als Fürsprecher dieser Fronde gegen Merkel. Letzte Woche reiste er durch die Balkanstaaten (minus Griechenland!), um für den Griechenland-Abschottungsplan der Orbán-Gang zu werben. In München moderiert er ein Panel, in dem einige der Staats- und Regierungschefs sitzen, die er eben besucht hat. Ihre Begeisterung über die Zumutung aus dem Norden hält sich in Grenzen. Als Kurz den slowenischen Präsidenten Borut Pahor fragt, was sein Land machen werde, wenn Österreich seine Grenze zu Slowenien nach dem Erreichen der für dieses Jahr deklarierten Obergrenze von 37.500 Flüchtlingen schließen wird, antwortet dieser: „Wir werden Ihrer Entscheidung folgen. Und Kroatien wird unserer Entscheidung folgen. Und Serbien wird der Entscheidung Kroatiens folgen. Und so weiter. Und wenn all das nicht koordiniert ist, wird es ein Desaster.“

Pahors mazedonischer Amtskollege Gjorge Ivanov gibt sich unmissverständlich: „Wir haben kein Interesse daran, unsere Grenze zu Griechenland zu schließen. Wir müssen darauf achten, unsere Beziehungen zu Griechenland zu erhalten.“ Trotz des absurden Namensstreits, dessentwegen Athen Mazedonien bei der EU- und NATO-Integration blockiert, brauche sein Land intakte Wirtschafts-, Handels- und Verkehrsbeziehungen zum südlichen Nachbarn, erklärt Ivanov.

Es ist zu befürchten, dass die Merkel-Strategie nicht aufgehen wird. Orbáns und Kurzens „neue Verteidigungslinie“ an der nordgriechischen Grenze wird schon gar nicht funktionieren, sondern vielmehr Tumulte auslösen und dem Geschäft der Schlepper einen neuen Boom bescheren. Die Flüchtlinge werden weiter kommen.

Die Politiker in den Zielländern werden sich darauf einstellen müssen. Ihnen wird ein eisiger Wind ins Gesicht peitschen. Den Freunden von Offenheit und Demokratie erst recht. In Europa wird es ungemütlich.