Schiebel-Drohnen für Myanmar: "Das sollte untersucht werden"
Weihnachten 2018, Werft Nummer 3 im Hafen der Küstenstadt Yangon: Die Sonne scheint, die Generäle haben ihre Paradeuniformen herausgekramt, die Relings der Kriegsschiffe sind blitzblank poliert. Die ehemalige Militärdiktatur Myanmar feiert den Jahrestag der Navy, der im Militärbesitz stehende Fernsehsender MWD filmt mit.
Ein paar Sekunden lang fangen die Kameras dabei auch Bilder eines kleinen unbemannten Hubschraubers ein, der vor einem der Kriegsschiffe herfliegt. Bedient wird er von zwei Myanmarern über Joysticks.
Das Gerät, das da über die Gewässer schwirrt, ist ein Camcopter S-100. Eine patentierte Hightech-Drohne, die vom Unternehmen Schiebel im niederösterreichischen Wiener Neustadt entwickelt wird. Mit den rund drei Meter langen, über 200 Stundenkilometer schnellen Mini-Hubschraubern und den auf ihnen anbringbaren Kameras lassen sich Grenzen patrouillieren, Angriffsziele ausspähen oder Truppen dirigieren. Bei der Marine sind die Drohnen beliebt, da sie senkrecht vom Deck der Schiffe abheben können.
Als „Dual-Use“ eingestuft
Aus österreichischer Sicht ist es überaus brisant, wenn ein Camcopter S-100 in den Händen des Militärs von Myanmar auftaucht: Im Westen des Landes fanden im Sommer 2017 brutale Vertreibungen der muslimischen Minderheit Rohingya statt, die vom Militär und der Grenzpolizei des Landes vorangetrieben wurden. Die Überlebenden berichten von Massen- erschießungen und Vergewaltigungen, Rohingya sollen angezündet und bei lebendigem Leib begraben worden sein. In einem halben Jahr flohen rund 700.000 Menschen zu Fuß oder in Booten aus dem Land. Ein UN-Ermittler sprach im Herbst 2018 von einem „Völkermord, der immer noch im Gange ist“.
Aufgrund dieses Grauens erweiterte die EU ein bereits seit Jahrzehnten bestehendes Waffen- und Militärgut-Embargo gegen Myanmar. Der Camcopter S-100 gilt zwar nicht als Waffe. Er muss in bestimmten Konfigurationen aber als Militärgut gewertet und in jedem Fall zumindest als „Dual-Use“ eingestuft werden. So werden Waren aller Art bezeichnet, die einen zivilen wie auch einen militärischen Nutzen haben könnten – zum Beispiel Chemikalien oder elektronische Komponenten. Seit 26. April 2018 dürfen aus EU-Ländern keinerlei Dual-Use-Güter an das Militär und die Grenzpolizei Myanmars geliefert werden. Das betrifft auch den Camcopter S-100 – egal in welcher Konfiguration.
Parade trotz Lieferverbot
Wie kann es sein, dass die Marine Myanmars trotz des Lieferverbotes noch im Dezember desselben Jahres einen Camcopter S-100 bei einer ihrer Paraden vorführt? Nur ein Jahr, nachdem mithilfe des Militärs ethnische Säuberungen begonnen wurden. Fest steht: Generäle aus Myanmar informierten sich noch Anfang des Jahres 2018 über die Schiebel-Drohne. Das belegt ein Foto, das im Februar bei einer Flugzeugmesse in Singapur aufgenommen wurde – zwei Monate, bevor die EU ihr Embargo gegen Myanmar verschärfte. Darauf sind drei Uniformierte am Schiebel-Stand zu sehen, über ihnen ein olivgrüner Mini-Hubschrauber, auf dem Tisch die österreichische Fahne.
Einer der Männer heißt Min Aung Hlaing, er ist Oberbefehlshaber des Militärs. Die US-Behörden verhängten wegen seiner Rolle bei den Rohingya-Vertreibungen Sanktionen gegen ihn. So stellte er sich zum Beispiel nach einem Massaker im Dorf Inn Din im Sommer 2017 schützend vor Soldaten, die der Gräueltaten überführt wurden. Sogar Facebook löschte ein Konto des Generals, um zu verhindern, dass er weiterhin „ethnische und religiöse Spannungen“ anfachen könne.
Ein Foto mit einem übel beleumundeten General ist noch kein Beleg für unlautere Geschäfte. Schließlich kann sich niemand aussuchen, wer an einem offen zugänglichen Messestand vorbeischaut. Ein Dokument zeigt aber, dass die Militärs rund um den Besuch in Singapur um größere Summen für die Anschaffung von Camcoptern angesucht hatten: profil und der Online-Plattform „Myanmar Now“ liegt ein Budgetvorschlag des Verteidigungsminsterium für die beiden Jahre 2018 und 2019 vor.
Laut diesem Papier baten die Generäle um 27 Milliarden Kyat (umgerechnet rund 16 Millionen Euro), um eine Anzahlung von 30 Prozent für „Camcopter S-100“ berappen zu können. Auf 100 Prozent gerechnet, ginge es damit um einen Auftrag von mehr als 50 Millionen Euro. Ob diese Summe genehmigt wurde und wie viele der Drohnen das Verteidigungsministerium ordern wollte, ist nicht bekannt. Die Regierung von Myanmar veröffentlicht keine detaillierten Budgets und Kostenstellen.
Relevante Daten
„Es gibt keinen Vertrag zwischen Schiebel und dem Verteidigungsministerium von Myanmar, und die Information bezüglich der Budgetmittelreservierung, die sie uns gegeben haben, ist uns nicht bekannt“, so Schiebel in einer Stellungnahme an profil. Darin schreibt das Unternehmen aber auch: „Im Zuge der Modernisierung der Infrastruktur und des Verkehrssystems des Landes hatte Schiebel in der Vergangenheit allerdings CAMCOPTER® S-100 zur Überwachung und Kartographierung im Bergbau und Straßenbau nach Myanmar geliefert.“ Man habe sich dabei an alle Bestimmungen gehalten und die nötigen Exportlizenzen von den österreichischen Behörden für die Lieferung eingeholt.
Wer genau die Drohnen gekauft hat, wann sie geliefert wurden und wie viele es waren, will Schiebel nicht sagen. „Wir bitten um Verständnis, dass uns aufgrund vertraglicher Bestimmungen die Weitergabe von Kundeninformationen nicht gestattet ist“, schreibt das Unternehmen. Dabei wären diese Daten durchaus relevant: Zum einen, weil seit 26. April 2018 das definitive EU-Embargo gilt. Zum anderen, weil es in Myanmar auch Bergbauunternehmungen gibt, die bis heute vollständig im Besitz des Militärs stehen.
Sicher ist, dass die Marine des Landes nun Zugriff auf einen Camcopter S-100 hat, wie das im Staatsfernsehen ausgestrahlte Video der Parade belegt. profil schickte Schiebel das Bildmaterial. Trotz des Videos, schreibt das Unternehmen, habe man „keine Informationen, die darauf schließen lassen, dass Myanmars Navy im Besitz eines CAMCOPTER® S-100 ist“. Man könne anhand des Videos aber „nicht ausschließen“, dass die zu sehende Drohne von Schiebel stammt.
Auch das Foto mit dem Oberkommandanten am Messestand in Singapur kommentiert der Drohnenbauer nur knapp: Es sei nicht ungewöhnlich, auf einer Messe von ausländischen Generälen besucht zu werden. Man könne nicht ausschließen, dass es auf anderen Messen zu weiteren Kontakten mit hochrangigen Militärs aus Myanmar kam.
Fest steht: Es ist möglich, dass die von Schiebel gelieferten Drohnen am Ende nicht im Berg- und Straßenbau eingesetzt wurden, sondern in den Händen der Generäle aus Myanmar landeten, die das Hightech-Produkt aus Österreich trotz Verbot unbedingt wollten. Solange nicht bekannt ist, wann und an wen Schiebel geliefert hat, steht der Verdacht im Raum, dass dabei auch das EU-Embargo verletzt worden sein könnte.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Schiebel mit unangenehmen Fragen zu einem Export nach Asien beschäftigen muss: Im Jahr 2012 knipste der japanische Geheimdienst eine Schiebel-Drohne, die von einem chinesischen Kriegsschiff aufstieg, und schickte das Bild um die Welt. Der Hintergrund: Nach dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 hatte die EU ein striktes Militärgüter-Embargo verhängt. Die Wochenzeitung „Falter“ schrieb damals, Schiebel habe die Sanktionen verletzt. Das Unternehmen beteuerte, die notwendigen Genehmigungen eingeholt und auch alle Bestimmungen eingehalten zu haben.
Doppelrolle der Beamten
Aus Sicht des Drohnenfabrikanten sieht die Affäre Myanmar ähnlich aus wie die Affäre China oder eine umstrittene Lieferung nach Libyen während der Herrschaft des mittlerweile verstorbenen Muammar Gaddafi: Solange die österreichischen Behörden eine Exportlizenz vergeben, dürfen die Camcopter auch verkauft werden.
Ob ein Dual-Use-Export risikolos und gesetzeskonform ist, beurteilt das Ministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW). Dort spielen die Beamten eine Doppelrolle, die der Fall Schiebel fast schon exemplarisch illustriert: Auf der einen Seite will das Wirtschaftsministerium den Unternehmen dabei helfen, ihre Produkte im Ausland anzubringen – der Bereich um den Schiebel- Messestand in Singapur wurde von „Advantage Austria“ organisiert, das wiederum vom BMDW unterstützt wird. Gleichzeitig sollen die Mitarbeiter des Hauses aber auch darüber wachen, dass alle Bestimmungen eingehalten werden – und notfalls ein lukratives Geschäft verbieten.
Wie im Fall Schiebel entschieden wurde, dass Camcopter S-100 nach Myanmar geliefert werden dürfen, hält das Wirtschaftsministerium geheim. Genauso wie die Stückzahl, den Kunden und das Lieferdatum. Der Grund: „rechtliche Vorgaben zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen“. Nur so viel: Man halte sich an alle Exportregeln.
Allerdings: Das lässt sich bei all der Geheimhaltung nicht überprüfen. Was genau passiert ist, könnten nur Schiebel, das Wirtschaftsministerium, das Militär Myanmars oder der geheimnisvolle Kunde aus dem „Bergbau und Straßenbau“ aufklären. Doch alle Beteiligten geben sich verschwiegen. Ein Armee-Sprecher lässt Anfragen zu den im Dezember präsentierten Camcoptern bis Redaktionsschluss unbeantwortet. So bleibt unklar, wie das Hightech-Gerät beim Militär Myanmars landete, obwohl Schiebel sagt, es habe nie einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium des Landes gegeben. Illegale Kopien des komplizierten und teuren Fluggerätes tauchten bislang noch nicht auf.
Militärs aus aller Welt
Auch die Sichtweise der österreichischen Behörden, den Camcopter S-100 als Dual-Use einzustufen, ist umstritten. „Mir fällt es schwer, ihn als Dual-Use zu klassifizieren, für mich ist er militärisch“, sagt Pieter Wezeman, Rüstungsexperte beim „Stockholm International Peace Research Institute“ (SIPRI). „Aber das ist eine Auslegungssache.“
Der Großteil der Schiebel-Kunden sind laut Angaben des Unternehmens Militärs aus aller Welt. Zwar kann der Camcopter verwendet werden, um Stromleitungen und Ölpipelines aus der Luft zu inspizieren oder Waldflächen mit Lasern zu scannen. Dass die Drohnen abseits dieser zivilen Nutzungen auch in Kriegsgebieten eingesetzt werden, ist aber belegt: Zwei Drohnen stürzten vor ein paar Jahren im Jemen ab, eine islamistische Terrorgruppe präsentierte Bilder eines Camcopters, den sie in Somalia vom Himmel geschossen hatte.
Für SIPRI-Rüstungsexperten Wezeman ist die Lieferung nach Myanmar aufklärungsbedürftig. Denn schon vor dem verschärften EU-Embargo im April 2018 habe es Exportrestriktionen gegeben, die unter Umständen auch auf den Camcopter S-100 anzuwenden gewesen wären. „Wenn man sich die Texte und Zusatzerläuterungen der verschiedenen Änderungen des EU-Embargos gegen Myanmar seit den 1990er-Jahren durchliest, finde ich es wirklich bemerkenswert, dass ein solcher Export von den österreichischen Behörden erlaubt wurde“, sagt Pieter Wezeman: „Das sollte untersucht werden.“