Nahostkonflikt

Nach Netanjahu-Haftantrag: Quo vadis Israel?

Was der internationale Haftantrag gegen Israels Premier Benjamin Netanjahu für das Land, die Welt und den Krieg bedeutet.

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Warum wurde gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu ein Antrag für einen internationalen Haftbefehl eingebracht?

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 führt Israel einen Krieg gegen die palästinensische Terrorgruppe Hamas. Diese ermordete in Israel rund 1200 Menschen, 3000 wurden verletzt. Auch Hunderte Soldaten sind mittlerweile gefallen. Die Hamas hält von den ursprünglich 250 Geiseln immer noch etwa 130 gefangen. Im Zuge der israelischen Gegenoffensive sind im Gaza-Streifen mittlerweile Zigtausende Menschen gestorben, Hunderttausende sind auf der Flucht. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) zweifelt nicht an Israels Recht, sich zu verteidigen, sondern sieht Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht in der Art und Weise der Kriegsführung. Der Chefankläger Karim Khan beschuldigt Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant – beide gehören der rechtsrechten Likud-Partei an – aber etwa keine hochrangigen Militärangehörigen. Er konzentriert sich also dezidiert auf die politische Verantwortung. Im Kern geht es um die von ihm vermutete Unterversorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung mit Nahrung, Wasser, Treibstoff und lebenswichtigen Medikamenten durch Blockaden. Khan hatte in den vergangenen Monaten mehrfach Warnungen Richtung Israel gesendet, dass er gedenke Konsequenzen zu ziehen, wenn sich nicht etwas ändere: „Ich habe immer wieder betont, dass das humanitäre Völkerrecht von Israel verlangt, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu humanitärer Hilfe im Gazastreifen in großem Umfang zu ermöglichen. (…) Ich hätte mich nicht klarer ausdrücken können.“ Die Richter des IStGH sind nun am Zug und müssen entscheiden, ob ein derartiger Haftbefehl verhängt wird. Experten gehen davon aus, dass diesem Antrag stattgegeben wird. Chefankläger Khan gilt als besonnener Mann, der einen derartigen Schritt nicht ohne ausreichende Beweismittel gehen würde. Bis entschieden wird, können unter Umständen Jahre vergehen – im Fall von Russlands Präsident Wladimir Putin waren es aber nur wenige Wochen. 124 Mitgliedsländer wären dann zur Auslieferung Netanjahus verpflichtet, das würde seine Reisefreiheit empfindlich einschränken. Israel hat (wie etwa auch die USA und Russland) das Statut des Gerichtshofes nie anerkannt. Das war für Khan aber unerheblich. Seine Ermittlungen fußen auf der Mitgliedschaft Palästinas seit 2015. Auf dieser Grundlage war er Ende 2023 bereits in Israel unterwegs, um vor allem zum Massaker vom 7. Oktober zu ermitteln. Dazu hatten sich Angehörige der israelischen Hamas-Geiseln an ihn gewandt. Neben den israelischen Politikern beantragte Khan auch Haftbefehle für die Anführer der Hamas. 

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.