Nepal nach dem Erdbeben: „Das Leid ist unglaublich”
In den Tagen nach dem Erdbeben ließ Wolfgang Nairz besorgten Freunden und Verwandten drei Nachrichten zukommen. Nachrichten, die uns Einblicke in die aktuelle Lage im Erdbebengebiet ermöglichen. Lesen Sie hier seine Briefe aus Kathmandu:
Montag, 27. April 2015
Liebe Freunde, seit dem großen Erdbeben am Freitag habe ich unzählige besorgte Nachrichten erhalten. Da ich nicht alle beantworten kann, möchte ich euch mit dieser Mail über die aktuelle Lage informieren.
Wir sind nach wie vor in Lukla. Hier ist die Stimmung nicht so schlecht, wir haben vorerst alles, was wir brauchen. Die Menschen scherzen und versuchen sich gegenseitig aufzumuntern. Es kommt mir aber irgendwie wie Galgenhumor vor.
Heute wurden 200 Touristen und Verletzte nach Kathmandu ausgeflogen. Dort soll reines Chaos herrschen. Es gibt zwar Hotels und Zimmer, aber Nahrungsmittel werden immer knapper. Der Flughafen ist total überfüllt. Jeder will weg. Die Menschen schlafen sogar auf dem Flughafen.
Immer mehr Meldungen von zerstörten Dörfern treffen bei uns ein. Thame, Pheriche, Chukhung, Langtang - fast vollständig ausgelöscht
Heute in der Früh, um 5:30, hat man hier angefangen eine Luftbrücke nach Namche Bazar und ins Everest Basecamp aufzubauen. Im Viertelstundentakt starten und landen Hubschrauber. Sie bringen nicht nur gerettete Bergsteiger. Sie bringen Leichen aus dem Basislager, die anschließend umgeladen und nach Kathmandu geflogen werden. Es ist furchtbar.
Immer mehr Meldungen von zerstörten Dörfern treffen bei uns ein. Thame, Pheriche, Chukhung, Langtang - fast vollständig ausgelöscht. Der Weg von Phunki Tanga nach Khumjung ist nur mehr einen halben Meter breit, manchmal noch schmäler – vorher war er so breit, dass drei Yaks nebeneinander gehen konnten.
Obwohl es uns hier gut geht, kann ich nachts manchmal die Tränen nicht zurückhalten. Es ist unglaublich grausam, welch Leid über diese liebenswerten Menschen und das wunderbare Nepal gekommen ist.
Wir hoffen, übermorgen nach Kathmandu fliegen zu können. Dann sehen wir weiter. Es wird schon gut gehen.
Liebe Grüße aus Lukla und Namaste, Wolfgang
Freitag, 01. Mai 2015
Liebe Freunde, wir sind soeben in Kathmandu angekommen. Bei 35 Grad im Schatten haben wir uns abenteuerlich hierher durchgekämpft.
Am Flughafen sieht es aus wie im Krieg. Aus indischen Riesenhelikoptern werden Verletzte ausgeladen. TV-Teams und Reporter so weit das Auge reicht. In der Stadt ist aber alles friedlich. Es ist kaum zu glauben. Wenig Verkehr, nur kleine Zerstörungen. In Thamel selbst herrscht ein Leben, als ob nichts gewesen wäre. Wasser und Nahrungsmittel sind ausreichend. Von Engpässen merkt man nichts. Lediglich die Kulturstätten sind zerstört. Dort sind leider sehr viele Menschen umgekommen.
Die einfachen Menschen draußen fallen durch den Rost
Ich habe heute auch mit zwei Freunden gesprochen. Sie haben bereits erste Hilfslieferungen in die entlegenen Dörfer gebracht. Ich bin der Meinung, dass wir uns auf diese Orte konzentrieren sollten. Da draußen ist wirklich alles zerstört und es herrscht eine schlimme Situation. Die internationale Hilfe bleibt in Kathmandu und bei den Kulturstätten. Die einfachen Menschen draußen fallen durch den Rost.
Inzwischen liebe Grüße und Namaste, Wolfgang
Sonntag, 03. Mai 2015
Liebe Freunde, ich hoffe, dies ist mein letzter Bericht aus Kathmandu. In der Stadt nimmt langsam alles wieder seinen normalen Lauf. Geschäfte und Restaurants sind offen, die Menschen kommen wieder in ihre Häuser zurück. Gestern war ich den ganzen Tag unterwegs. Im Durbar Square in Kathmandu sind fast alle Tempel und Pagoden dem Erdboden gleich gemacht. Immer wieder gingen Militärtrupps an mir vorbei. Sie waren bewaffnet mit Pickel und Schaufel. Das Gelände selbst ist abgesperrt. Die Häuser in der Umgebung sind heil geblieben.
Anschließend bin ich nach Patan gefahren. Dort herrscht dasselbe Bild. Die alten Gebäude und Tempel sind kaputt. In der Stadt sind aber kaum Schäden zu sehen. In der Früh war ich in Bodnath. Dort sieht es gut aus. Die Stupa hat kaum Schäden davongetragen.
Am Nachmittag bin ich mit einem Freund über die Ringroad nach Norden gefahren. Dort gibt es einen großen Busbahnhof. Im Umkreis sind fast alle Häuser eingestürzt. Es sieht aus wie im Krieg. Es wird immer noch gegraben. Einfach grauenvoll.
Sie haben 1000 Zelte und 2000 Decken geschickt. Das Ganze liegt seit Tagen am Flughafen beim Zoll
In Kathmandu selbst sind unzählige internationale Hilfstruppen. Ich frage mich, was die hier machen. Ich habe einen amerikanischen NGO-Mitarbeiter im Hotel getroffen. Sie haben 1000 Zelte und 2000 Decken geschickt. Das Ganze liegt seit Tagen am Flughafen beim Zoll. Auch wir haben dort etliche Container herumstehen gesehen. Gestern war in der Zeitung zu lesen, dass die Regierung für die Hilfsgüter Steuern und Zoll einhebt. Das ist einfach unglaublich.
Ich habe vor kurzem ein Gespräch beim Himalayan Trust gehabt. Angeblich müssen internationale Spendengelder über den "Prime Minister Relieffe Fond" gehen und werden erst dann von einem Konsortium verteilt. Alle fragen sich: „Wohin?“
Wie bereits in meiner vorigen Nachricht vermutet, werden die armen Leute in den Gebirgsregionen völlig vernachlässigt. Hier müssen wir ansetzen und helfen. Ich zähle fest auf euch. Mit der „NepalHilfe Tirol“ können wir sicher etwas bewegen. Auch wenn es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.
Ich möchte mich ganz fest bei euch allen bedanken. Ihr habt mir in den letzten Tagen viel Kraft und Zuspruch gegeben, um diese Situation zu überstehen.
Tashi Delek und Namaste, Wolfgang
Spendenkonto Nepal Erdbeben Nepalhilfe Tirol IBAN: AT86 3600 0000 0064 5895 BIC: RZTIAT22
Redaktion: Bence Jünnemann