Neue Regierung in Afghanistan: Kabuler Koalition
Interview: Georg Hoffmann-Ostenhof
profil: Herr Rasuly, wie schätzen Sie Präsident Ahmadzai ein? Und welche Chance geben Sie der neuen afghanischen Führung, das Land aus der Krise zu führen?
Sarajuddin Rasuly: Präsident Ahmadzai ist ein beeindruckender Intellektueller, ein Ethnologe und Ökonom, der lange Zeit in der Weltbank gearbeitet hat. Wichtig: Er gehörte in der Vergangenheit zu keiner der bewaffneten Konfliktparteien. Bei unserem Gespräch bekam ich den Eindruck, dass er wirklich entschlossen ist, das Land auf einen Modernisierungskurs zu führen und vor allem eines der Hauptprobleme Afghanistans, die Korruption, anzugehen.
profil: Und kann ihm das gelingen?
Rasuly: Das ist fraglich. Sein Koalitionspartner Abdullah, der nun eine Art Ministerpräsident wird, vertritt die verschiedenen Strömungen der Mudschaheddin - jener Gruppen, die in der Vergangenheit besonders von der Korruption profitiert haben.
profil: Die Koalition mit Abdullah ist auf Druck der Amerikaner zustande gekommen.
Rasuly: Ja, das war auch notwendig. Ohne diese Machtteilung hätten die Anhänger von Abdullah einen bewaffneten Konflikt begonnen. Das ist verhindert worden. Aber natürlich kann man nicht davon ausgehen, dass die neue Regierung sonderlich stabil ist.
profil: Der bisherige Präsident, Hamid Karsai, hat sich bis zuletzt geweigert, das Sicherheitsabkommen mit den USA zu unterschreiben, welches nach dem Abzug der NATO-Truppen den Verbleib amerikanischer Berater und Stützpunkte im Land vorsieht. Wird Kabul dem nun zustimmen?
Rasuly: Beide, Ahmadzai und Abdullah, haben das angekündigt.
profil: Die Taliban waren zuletzt auf dem Vormarsch. Wie wird die neue Führung darauf reagieren?
Rasuly: Ahmadzai genießt unter den paschtunischen Stämmen und Eliten großes Ansehen. So haben die Taliban in der Stichwahl im Juni die Paschtunen in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht daran gehindert, zu den Wahlen zu gehen und Ahmadzai zu wählen. Gute Voraussetzungen für Verhandlungen.
profil: Also sehen Sie eine reale Chance auf Frieden im Land?
Rasuly: Da bin ich tatsächlich optimistisch. Der Präsident hat nicht nur einen guten Draht zu den Taliban. Mit dem Sicherheitsabkommen, das er mit Washington abschließt, signalisiert er gleichzeitig, dass er US-Unterstützung will, der Westen also Afghanistan nicht aufgegeben hat. Das wird den Taliban klarmachen, dass sie militärisch nicht gewinnen können.
profil: Aber laufen nicht immer mehr Leute zu ihnen über?
Rasuly: Das könnte nun aufhören. Die neue Regierung hat bedeutend mehr Legitimität und Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung, als Karsai je hatte. Sieben Millionen Afghanen gingen wählen. Und trotz allem ist in Afghanistan in den vergangenen 13 Jahren viel Positives geschehen: Millionen Kinder wurden eingeschult, Frauen und Minderheiten haben Rechte bekommen. Zudem wurde eine bis dahin nicht vorhandene Infrastruktur geschaffen, die wirtschaftliche Entwicklung und Integration dieser multiethnischen Gesellschaft möglich macht.
Foto: Walter Wobrazek