Neun Gründe für die Attraktivität von Trump, Le Pen, Strache & Co
Der da: Sagt heute dies und morgen genau das Gegenteil, stand bereits mehrmals am Rande des Bankrotts und tritt trotzdem als reicher Protz auf. Würden Sie so einem 100 Euro borgen?
Die da: Verschickt im Internet Bilder von abgeschnittenen Köpfen, vergleicht Andersgläubige mit Nazis und darf laut einem Gerichtsbeschluss "Faschistin" genannt werden. Würden Sie so eine auf die Kinder aufpassen lassen?
Der da: Posiert auf Fotos gerne mit einem Bier und leicht glasigem Blick, verspricht den Leuten das Blaue vom Himmel und ist für Tricksereien bei Spesenabrechnungen bekannt. Würden Sie so einem einen Gebrauchtwagen abkaufen?
Drei Mal falsche Frage. Die richtige lautet: Würden Sie jemandem, der sich so verhält wie eine der gerade beschriebenen Personen, Ihr Land, Ihr Leben und Ihre Zukunft überantworten?
Und die millionenfache Antwort darauf ist: Ja, klar! Donald Trump hat als Geschäftsmann mit fragwürdigen Methoden und als Präsidentschaftskandidat mit einem bizarren Wahlkampf für Befremdung gesorgt. Trotzdem wird er am 20. Jänner in das Weiße Haus einziehen.
Die Französin Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National, sorgte vergangenes Jahr für Aufregung, als sie in den sozialen Netzwerken Fotos von Hinrichtungen durch die Terrormiliz IS postete, und macht mit scharfen Worten Stimmung gegen Muslime und andere Minderheiten. Dennoch wird sie kommendes Jahr fast sicher in die Stichwahl um die Präsidentschaft des zweitgrößten EU-Landes einziehen.
Der Brite Nigel Farage inszeniert sich trotz ansehnlichen Vermögens als Pub-Politiker, wütete jahrelang gegen die EU und sahnte ungeniert als Abgeordneter in Brüssel ab. Gleichwohl schaffte er es, seinen Landsleuten den Austritt aus der Europäischen Union einzureden.
Bei allen Unterschieden vereint sie das, was derzeit als Rechtpopulismus bezeichnet wird: ein nationalistisches Weltbild und der Kampf gegen 'das System'
Trump, Le Pen und Farage entsprechen ganz und gar nicht dem bislang gültigen Bild des ehrbaren Volksvertreters westlichdemokratischer Prägung. Sie sind rüpelhaft und stillos, appellieren an niedrigste Instinkte, bauen Feindbilder auf und brechen mit Tabus und Konventionen. Bei allen Unterschieden vereint sie das, was derzeit als Rechtpopulismus bezeichnet wird: ein nationalistisches Weltbild und der Kampf gegen "das System".
Politisch gesehen könnte man sagen: Sie sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben.
Das schreckt eine wachsende Anhängerschaft aber nicht davor ab, ihnen und anderen Politikern ähnlichen Zuschnitts das Vertrauen zu schenken. Ganz im Gegenteil: In Ungarn verfügt Viktor Orbán (Fidesz) seit Jahren über eine komfortable Parlamentsmehrheit, in Polen regiert seit 2015 die PiS von Jarosław Kaczyński. In Österreich, Italien und den Niederlanden liegen die Parteien von Heinz-Christian Strache (FPÖ), Beppe Grillo (M5S) und Geert Wilders (PVV) in den Umfragen an erster Stelle. In Deutschland ist die von Frauke Petry geführte AfD mittlerweile in zehn Landtagen (Anmerkung: in einer früheren Version war hier irrtümlich von "Landesregierungen" die Rede) vertreten und hält einen Sitz im EU-Parlament.
Seit den 1960er-Jahren haben rechtspopulistische Parteien in Europa ihren Wähleranteil verdoppelt. Besonders rasant war ihr Zuwachs im vergangenen Jahrzehnt. Mittlerweile halten sie durchschnittlich 13,7 Prozent der Mandate in den Parlamenten ihrer jeweiligen Länder - in Ungarn, einem besonders krassen Fall, sogar fast zwei Drittel.
So schrill und simplifizierend, wie Trump, Le Pen, Strache & Co. auftreten, fallen aber auch viele Reaktionen auf ihre politischen Erfolge aus. Folgt man den gängigen Erklärungen, dann werden sie im Wesentlichen von Menschen gewählt, die 1. wütend (weil sozial deklassiert), 2. leicht zu manipulieren (weil intellektuell nicht ganz auf der Höhe) sowie 3. bis 5. bösartig (weil weiß, alt und männlich) sind - also allesamt "Arschlöcher", wie es die deutsche "taz" für sich und den Rest des politischen Korrektorats auf den Punkt brachte.
Das Klischee vom Wut-Opa mag auf einen Teil der Rechtspopulisten-Gefolgschaft zutreffen (wobei: In den USA machen weiße Männer über 65 Jahre nur 7,3 Prozent der Wahlberechtigten aus). Um auf - je nach Land - bis zu 50 Prozent des gesamten Elektorats zu kommen, ist aber auch eine substanzielle Zahl von jungen und weiblichen Unterstützern erforderlich.
Lassen sich die derzeitigen politischen Verschiebungen tatsächlich damit abtun, dass Millionen von Wahlberechtigten mit einem Mal jegliche Vernunft verloren haben?
Wenn sie alle angeblich "Arschlöcher" sind: Galt das auch schon zu einer Zeit, als sie noch nicht Parteigänger beispielsweise der FPÖ waren, sondern brav SPÖ oder ÖVP wählten? Lassen sich die derzeitigen politischen Verschiebungen tatsächlich damit abtun, dass Millionen von Wahlberechtigten mit einem Mal jegliche Vernunft verloren haben und ihre Wahl nur noch von blindem Zorn geleitet und von mangelnder politischer Einsicht vernebelt treffen?
Bundeskanzler Christian Kern gestand FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache kürzlich bei einem gemeinsamen Auftritt in der Ö1-Diskussionsreihe "Klartext" zu, dass es "Strache natürlich auch darum geht, unser Land voranzubringen". Kann dies auch für die Wähler von Strache und den anderen Rechtspopulisten gelten?
Es erscheint wenig sinnvoll, anzunehmen, dass sie durchgehend rassistisch, sexistisch, sonstwie bösartig veranlagt oder aufgrund mangelnder Intelligenz willenlos den Verführungskünsten von Demagogen und Facebook-Algorithmen ausgeliefert sind. So bleibt nur eine Vermutung: Es muss noch andere Erklärungen geben - nachvollziehbare, vielleicht sogar verständliche, wobei "verstehen" nicht "gutheißen" bedeutet.
Hier sind neun davon.
Für ihre Fans sind die Rechtspopulisten attraktiv, weil sie ...
... am glaubhaftesten den Bruch mit dem "System" verkörpern
Das Wort hat keinen schönen Klang: das System. Es bezeichnet etwas, das zu groß, zu mächtig und zu widerstandsfähig ist, als dass man dagegen ankommen könnte. Es ist überwältigend, allerdings im unangenehmsten Sinn des Wortes. Im System arbeiten lauter undurchschaubare, unveränderbare Mechanismen, die verhindern, dass sich irgendetwas zum Besseren entwickelt. Stillstand perpetuiert - und zwar, aus Sicht seiner Gegner, das Unrecht.
Man braucht sich nicht damit aufzuhalten, im Detail zu definieren, worin das System besteht und was an ihm falsch ist. Es genügt der Konsens, dass es weg muss.
In der jeweiligen politischen Realität kann das System der ewig gleiche Wechsel derselben beiden großen Parteien an der Spitze des Staates sein; der schleichende Verlust nationaler Souveränität zugunsten der Europäischen Union; die Globalisierung. Dazu Medien, die all das gutheißen oder wenigstens nicht scharf attackieren -und keine Möglichkeit für die Gegner des Systems, wenigstens in einer Volksabstimmung beweisen zu dürfen, dass sie mit ihrer ablehnenden Haltung längst schon die Mehrheit stellen.
Schlimmer noch: Die Repräsentanten der bisherigen Machtelite treten ihrerseits mit dem Versprechen auf, mit dem bestehenden System Schluss zu machen. Einen "Bruch" (rupture) verhieß der konservative Nicolas Sarkozy 2007. Er wurde zum Staatspräsidenten gewählt, doch der Bruch blieb aus. "Veränderung, jetzt!", posaunte François Hollande 2012, wurde zum Staatspräsidenten gewählt - und enttäuschte gleichermaßen.
Folgt daraus ein guter Grund, die Rechtspopulisten zu wählen? Die Frage ist: Wen sonst? Grüne Parteien, die von ihrer Genese her rebellischen, systemfeindlichen Charakter hatten, erwiesen sich als verlässliche Koalitionspartner der Sozialdemokraten. Liberale stützten mal die Konservativen, mal die Sozialdemokraten. Selbst die griechische Syriza -ihrem Namen nach immer noch "linksradikal" - hat nach anfänglicher Revolte gegen die EU und ihre Konventionen brav zurückgesteckt. Frontale Systemkritik, kombiniert mit dem Furor, dass kein Stein auf dem anderen bleiben soll, offerieren am glaubhaftesten die Rechtspopulisten. Sie haben keine Angst vor einem Brexit, sie fürchten keine Rückkehr zu alten Währungen, sie pfeifen - wie Donald Trump zur Zeit beweist - auf diplomatische Grundregeln.
Ob eine solche Politik viel versprechend ist, mag man in Zweifel ziehen -und sollte es auch dringend. Aber wem das System unendlich stinkt, der ist hier richtig.
... unverwechselbar sind
Es war einmal: die politische Bipolarität - damals nämlich, als zwischen fortschrittlichen und den konservativen Parteien tiefe wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gräben klafften. Aber wann war das gleich noch? Spätestens in den 1990er-Jahren begannen sowohl linke als auch rechte Volksparteien in die Mitte zu rücken.
Der britische Labour-Premier Tony Blair erfand für die Sozialdemokraten den "dritten Weg" - ein Konzept, das Regierungschefs wie Gerhard Schröder (Deutschland) und Göran Persson (Schweden) für ihre Länder adaptierten. Gleichzeitig gingen die Christdemokraten gesellschaftspolitisch nach links. "Die Mainstream-Parteien näherten sich immer weiter an einen neuen Eliten-Konsens an -eine gemeinsame Agenda, die Integration durch die EU, multiethnische Gesellschafen und neoliberale Wirtschaftsreformen forderte", schreibt Cas Mudde, Politologe an der University of Georgia und am Zentrum für Extremismusforschung in Oslo.
Was vorerst blieb, war Rhetorik. Denn in der politischen Praxis erwies sich die Abgrenzung voneinander als immer schwieriger. Ein bisschen Vermögenssteuer da, ein klein wenig Mindestsicherungsdeckelung dort: Das waren beispielsweise in Österreich in den vergangenen Monaten die dramatischsten Unterschiede zwischen SPÖ und ÖVP.
"Viele Wähler begannen, politische Eliten ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit als nicht mehr unterscheidbar zu betrachten", so Mudde: "Das ließ eine Brutstätte des Populismus entstehen." Die Anhänger der Rechtspopulisten wissen offenbar zu schätzen, dass es Politiker gibt, die anders sind und damit Veränderung versprechen. Nicht von ungefähr war eines der wichtigsten Motive für die Wahl von Donald Trump die Hoffnung auf "change".
... als durchsetzungskräftige Macher auftreten
Im Zweifel ist immer Brüssel schuld. Andere Erklärungen sind von Politikern in EU-Mitgliedsländern selten zu hören, wenn es darum geht, Problemanalyse zu betreiben. Es ist natürlich bequem, Verantwortung von sich zu weisen, indem man sie argumentativ nach oben delegiert. Und tatsächlich haben die europäischen Nationalstaaten in den vergangenen Jahren viele Kompetenzen durchaus sinnvoll an übergeordnete Instanzen und gemeinschaftliche Regelungen abgegeben.
Wer diese bei jeder Gelegenheit als Sündenböcke hinstellt, demonstriert damit aber gleichzeitig etwas ganz anderes: seine eigene Machtlosigkeit. Anders ist es nicht zu nennen, wenn Regierungen bei unpopulären Maßnahmen jammervoll darauf hinweisen, dass sie dagegen leider nichts tun können, weil eben ... Die EZB! Die EU-Kommission! Die Maastricht-Kriterien!
Das macht es den Rechtspopulisten leicht, sich im Gegensatz zu einer Kaste offenbar mutloser Politbürokraten als durchsetzungskräftige Macher zu inszenieren. Ihr seid unzufrieden mit dem Euro? Dann kehren wir einfach zu den alten Nationalwährungen zurück. Ihr findet, die EU bevormundet ihre Bürger? Dann treten wir doch aus. Ihr fürchtet, der Freihandel bedroht unsere Wirtschaft? Dann schließen wir eben keine Abkommen mehr oder kündigen bestehende auf.
Den Beweis, dass es auch funktioniert, mussten die Rechtspopulisten aber noch nicht ernsthaft antreten - nicht einmal in Großbritannien, wo der Austritt aus der EU zwar beschlossen wurde, aber noch längst nicht vollzogen ist und sich schon gar nicht in seinen Folgen abschätzen lässt. Aber bis dahin klingt es verführerisch nach Handlungsfähigkeit und verheißt die Chance, jene Selbstbestimmung zurückzuerobern, die viele schmerzlich vermissen.
... die nationale Souveränität verteidigen
Solange in Europa das (Nachkriegs-)Wirtschaftswunder anhielt und die Wachstumsraten verlässlich hoch waren, regte sich kaum Widerstand gegen das Prinzip der "ever closer union", die fortschreitende Integration der Europäischen Union. Gemeinsame Regeln schufen einen gemeinsamen Markt, eine gemeinsame Währung, gemeinsame Politik, gemeinsame Grenzen -bis schließlich die Win-win-Situation ein Ende nahm und eine nationale -mithin nationalistische -Betrachtungsweise zurückkehrte. Den Glauben, es könne mit der EU einfach so weitergehen, nannte der 2010 verstorbene britische Historiker Tony Judt eine große Illusion ("The Grand Illusion", 1996).
Jetzt läuft die Wirtschaft nicht mehr so, und die einzelnen Staaten beäugen einander argwöhnisch, wer wie viele Flüchtlinge aufnimmt, wer wie niedrige Unternehmenssteuern einhebt, wer wie viele Arbeitskräfte aus anderen EU-Staaten aufnimmt. Die -je nach Perspektive -scheinbaren oder tatsächlichen Nachteile sind in den Vordergrund gerückt. Und damit auch der Drang, die Kompetenz für entscheidende Gesetze wieder heim in die eigenen Parlamente zu holen. In dem komplizierten Wechselspiel zwischen EU-Kommission, -Rat und -Parlament gehen in den Augen vieler Bürger ihre Interessen verloren, und die nationalen Politiker beteuern schulterzuckend ihre Machtlosigkeit.
Da die Rechtspopulisten supranationalen Organisationen, die den Nationalstaat entmachten, seit jeher feindlich gegenüber standen, können sie Opposition gegen Brüssel am authentischsten vertreten. Der Hinweis, dass die EU ausnahmslos allen ihren Mitgliedsstaaten enormen Aufschwung gebracht hat, kann dieses Alleinstellungsmerkmal kaum beeinträchtigen.
... gegen die Globalisierung ankämpfen
Auch wenn es viele nicht glauben wollen: Die Globalisierung gehört zum Besten, was der Menschheit passieren konnte. In den vergangenen 25 Jahren ist der Anteil der Personen, die in extremer Armut lebten, auf weniger als die Hälfte gesunken. Mussten 1990 noch mehr als 1,9 Milliarden mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen, sind es heute nur noch 836 Millionen -und das bei einer um zwei Milliarden gewachsenen Weltbevölkerung.
Aber das sind Zahlen, die eben nur die Menschheit betreffen. "Während die Ausweitung des globalen Handels positiv für die Wirtschaft als Ganzes ist, werden einzelne Sektoren schwer getroffen, viele schlecht ausgebildete und ungelernte Arbeitskräfte verlieren ihre Jobs", schreibt der Kolumnist Fareed Zakaria in einem aktuellen Essay für das Polit-Magazin "Foreign Affairs". Der Aufschwung, den die Entwicklungsländer in dieser Zeit erlebten, ging mit einem Abschwung des Westens einher. Dort kam das Wirtschaftswachstum, abgesehen von einigen Boomphasen, zum Stillstand, immer mehr Produktionszweige wurden in Billiglohnländer ausgelagert. Unter anderem deshalb sind in Europa seit 2007 mehr als vier Millionen Stellen verloren gegangen.
In gewisser Weise erlebt die Menschheit gerade eine globale Umverteilung -und damit etwas, das vor allem die Linke immer gefordert hat. Es dürfte aber schwierig sein, einem Industriearbeiter in Detroit oder einer Näherin im Waldviertel, die auf der Straße stehen, zu vermitteln, warum sie sich darüber freuen sollen, dass es der Weltwirtschaft besser denn je geht.
Eine Anfang Dezember publizierte Studie der Bertelsmann-Stiftung in 28 Ländern kommt zum Schluss, dass sich der Erfolg der Rechtspopulisten vor allem aus der Angst vor der Globalisierung und ihren negativen Konsequenzen speist. Die Rechtspopulisten haben das erkannt und ihre Rhetorik darauf abgestimmt - während die etablierten Mitte-links-und Mitte-rechts-Parteien gebetsmühlenartig an die Bevölkerung appellierten, doch bitteschön die Chancen von Freihandel und offenen Grenzen zu sehen.
... die kulturelle Identität beschützen wollen
In fortschrittlichen Kreisen kann man sich furchtbar lächerlich machen, wenn man auf die Bewahrung der kulturellen Identität Österreichs, Frankreichs, Italiens etc. drängt. Die Internationalisierung aller Bereiche des Lebens gilt den Eliten als etwas Notwendiges und Richtiges.
Wer jedoch das Urtümliche der eigenen Altvorderen über das Unbekannte anderer Länder stellt, der stößt auf wenig politisches Verständnis. Auch wenn die Begeisterung für Volkskultur und Heimatkitsch, für Trachten und Andreas Gabalier im Einzelfall bloß nostalgisch motiviert sein mag, der Verdacht der Xenophobie ist erdrückend. So werden weitgehend symbolische Kämpfe darüber ausgetragen, ob Moscheen Minarette haben dürfen, ob Feste fremder Religionen gleichermaßen gefeiert werden sollen und ob Fleischereien mit dem Hinweis "koscher" oder "halal" eine Bereicherung oder eine Bedrohung darstellen.
Wer in diesem Konflikt auf der Seite einer nationalen "Leitkultur" steht, fühlt sich meist von den Rechtspopulisten am besten vertreten, denn auch die Konservativen scheuen davor zurück, sich als rückständig-reaktionär brandmarken zu lassen.
... mehr Demokratie versprechen
Das Bild der Machtlosigkeit, das viele Regierungen abgeben, trifft sich mit dem Gefühl der Ohnmacht bei vielen Wählerinnen und Wählern. Das System der repräsentativen Demokratie gibt ihnen zwar die Möglichkeit, politische Vertreter zu wählen. Gleichzeitig verlangt es, diesen anschließend für eine Legislaturperiode (und in besonders hartnäckigen Großkoalitionskonstellationen wie Österreich sogar mehrere) praktisch alle Entscheidungen zu überlassen - noch dazu im Zuge eines langwierigen und komplizierten Interessenausgleichs, der sich inzwischen oft auf die gesamte EU erstreckt. Am Ende steht dann häufig ein Kompromiss, der es allen recht machen soll und es umso weniger Menschen tatsächlich recht machen kann.
Dass daraus der Wunsch entsteht, ab und zu persönlich Einfluss nehmen zu können, ist nachvollziehbar. Und das Versprechen, genau dafür zu sorgen, bringt den Rechtspopulisten viele Sympathien (wobei sie die Forderung nach mehr direkter Demokratie nicht monopolisiert haben). Ein Referendum hier, eine Abstimmung dort, und schon ist der Volkswille gefunden: So einfach kann es sein, komplizierte Entscheidungen zu treffen, suggerieren sie.
Dagegen kommen Einwände wie jener, dass Referenden oft "eine dumme, pauschale Frage stellen, in der sich 100 andere wichtige Fragen versteckten, die aber niemand je gestellt hat" (der britische Konservative Kenneth Clarke in profil 48/16), nicht an. Ganz im Gegenteil: Derartiger Widerspruch wird als Bestemm des "Systems" wahrgenommen - und als Anmaßung, das Volk vor dem Volk schützen zu wollen.
... für die "kleinen Leute" sprechen
Die Ungebildeten haben derzeit eine schlechte Presse. Solange sie als Teil des internationalen Proletariats Subjekte des Fortschritts waren, blieb ihnen der Vorwurf mangelnder formaler Abschlüsse erspart. Nun aber, da sie mehrheitlich rechtspopulistisch abstimmen, gelten sie als Wahlverderber.
Dabei kann die Tatsache, dass ein Teil der Bevölkerung keine Matura hat, kein hinreichender Grund für das Ansteigen des Rechtspopulismus sein. Schließlich gab es diese Schicht schon immer. Der beharrliche Hinweis auf ihren Mangel an Bildung wirkt einigermaßen herablassend. Wer mag die kleinen Leute noch?
"I love the poorly educated." (Ich liebe die Ungebildeten.) Der Satz stammt von Donald Trump, als er noch Vorwahl-Kandidat war. Er könnte auch von Marine Le Pen oder Heinz-Christian Strache stammen. Niemand sonst will sich ähnlich demonstrativ zum Sprachrohr der unteren Schichten machen. Allzu leicht rutschen viele aus der Zielgruppe derer, die man politisch vertreten möchte. Wer die österreichische Hymne ohne "Töchter" singt, gilt als Sexist und ist raus - wohl nicht ganz ohne Grund, denn weshalb will jemand den Fortschritt der Gleichberechtigung der Geschlechter nicht anerkennen? Bloß wäre es politisch ratsam, Nachzüglern so etwas wie Übergangsfristen zuzugestehen. Man kann das aus Prinzip ablehnen, doch dann steigt das Risiko, dass der sehr große "basket of deplorables" (Korb der Kläglichen), wie Hillary Clinton einen Teil der Trump-Wähler nannte, auf Dauer zu den Rechtspopulisten abdriftet.
... Tabus brechen
Wer hätte schon gedacht, dass das 21. Jahrhundert zum Zeitalter der Tabus werden würde? Zumindest niemand, der vor der Jahrtausendwende groß geworden ist. Tatsächlich kennt die westliche Welt heute eher mehr als weniger Verhaltensnormen als frühere und weniger aufgeklärte Gesellschaften. Es sind bloß andere. Die modernen Tabus zielen zumeist darauf ab, allen und jedem im weitesten Sinne Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Niemanden ausgrenzen, niemanden zurücksetzen, niemanden beleidigen: Dagegen ließe sich prinzipiell wenig einwenden, wenn dieser Anspruch nicht allumfassend geworden wäre und von selbst ernannten Instanzen vorgegeben würde. Oder weiß zufällig irgendjemand, mit welcher Autorität beispielweise die Sprachregelung begründet wird, dass "Flüchtling" eine abwertende Bezeichnung sei, "Flüchtende" hingegen eine korrekte?
Die Vielzahl der eingeforderten Rücksichtsmaßnahmen hat sich zu einer Atmosphäre verdichtet, die klaustrophobisch wirkt. Das beklagen inzwischen auch Intellektuelle wie Salman Rushdie oder Timothy Garton Ash -also Persönlichkeiten, denen die Ablehnung der "political correctness" nicht bloß als Vorwand dazu dient, ihren Aggressionen freien Lauf zu lassen.
In dieser Situation tun die Rechtspopulisten genau das, was die anderen entweder nicht wagen oder nicht mit der entsprechenden Resonanz tun können: Sie brechen öffentlichkeitswirksam und lustvoll Tabus. Anfang Dezember spottete Donald Trump minutenlang darüber, dass er vom US-Magazin "Time" genderneutral zur "Person" statt zum "Man of the Year" gewählt worden sei. Damit hatte er die Lacher all jener auf seiner Seite, die es beispielsweise gaga finden, dass Facebook seinen Benutzern mittlerweile 60 Geschlechteridentitäten zur Auswahl stellt.
Trump und Co. befriedigen damit auch ein ganz eigenes Unterhaltungsbedürfnis: kabarettistische Gesellschaftskritik von rechts für jene, die im etablierten Kabarett nichts zu lachen haben, weil sie und ihre Überzeugungen dort selbst aufs Korn genommen werden.
All das sind Gründe, die Rechtspopulisten zu wählen. Sind es gute Gründe? Nein. Es entspricht der Haltung dieses Magazins, europäische Integration, Internationalisierung, Offenheit gegenüber fremden Kulturen, Regeln des politischen Zusammenlebens und damit auch das, was derzeit abschätzig oder auch mit Schaum vor dem Mund "das System" genannt wird, bei aller Kritik für sinnvoll zu halten. Doch es ist notwendig, die Motive rechtspopulistischer Wähler nachvollziehbar zu machen - alleine deshalb, weil es viele sind. Die sozialdemokratischen Parteien müssen versuchen, die ungebildeten Schichten zurückzugewinnen, die Konservativen müssen die kulturellen Traditionalisten heimholen. Angewiderte Mienen werden dafür nicht ausreichen.