Streitbarer Theoretiker: Der Konservative Niall Ferguson sorgt gern für hitzige Debatten.

Niall Ferguson: „Ein Kalter Krieg ist wünschenswert“

Niall Ferguson hat ein Buch über Desaster geschrieben. Der britische Soziologe über den aktuellen Zerfall der Weltordnung und wieso Populisten wie Donald Trump nicht für das Versagen in der Corona-Pandemie verantwortlich sind.

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profil: In Ihrem neuen Buch „Doom“ geht es um den Umgang des Menschen mit Katastrophen. Über die Corona-Pandemie schreiben Sie, dass das Versagen darin nicht an populistischen Politikern wie Donald Trump lag. Woran dann?
Ferguson: Nichts war im vergangenen Jahr einfacher, als Trump die Schuld in die Schuhe zu schieben. Er stellte sich selbst in den Mittelpunkt und machte einen stümperhaften Fehler nach dem anderen. Journalisten, die ihn nicht mochten, konnten schreiben: Wir haben 500.000 Tote, weil unser Präsident ein Idiot ist. In „Doom“ habe ich versucht zu zeigen, dass das falsch ist.

profil: Inwiefern? Trump behauptete im April 2020, das Virus würde verschwinden, sobald es wärmer wird.
Ferguson: Und ein Jahr später ist die Pandemie immer noch nicht vorüber. Es gibt immer noch eine unbekannte Zahl an Infektionen. Immer noch sterben Menschen an Covid-19. Doch der Präsident heißt nun Joe Biden. Hätte es an Trump allein gelegen, hätte die Pandemie vorbei sein müssen. Die grundlegende Ursache für die hohe Mortalität war aber nicht Trump, sondern fehlende Testkapazitäten, keine Kontaktverfolgung, keine effektive Isolation Infizierter und fehlender Schutz gefährdeter Personen in Altenheimen.
 

profil: Und damit soll Trump nichts zu tun haben?
Ferguson: Die Vereinigten Staaten sind ein föderaler Staatenbund. Die Befugnisse, nichtpharmazeutische Maßnahmen wie Abstandsregeln oder Quarantänebestimmungen zu ergreifen, lag 2020 wie schon 1918 (während des Ausbruchs der Spanischen Grippe, Anm.) bei den Bundesstaaten und nicht bei der Zentralregierung. Trump hat den nicht wiedergutzumachenden Fehler begangen, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, ohne die geringste Ahnung von der Materie zu haben. Mehr Macht als seine Amtsvorgänger hatte er aber nicht. Sieht man sich die Gründe für die Mortalität an, erkennt man, dass sehr wenige von ihnen auf den Entscheidungen des Präsidenten beruhten. Das Chaos ist in erster Linie der Gesundheitsbehörde und hier insbesondere der Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zuzuschreiben. Sie haben die Durchführung von Tests zentralisiert und damit im Grunde behindert.

profil: Sie können doch nicht abstreiten, dass Trumps Politik desaströs war. Auch in den USA hat er damit viele Menschen gegen sich aufgebracht.
Ferguson: Journalisten tendieren dazu, die Bedeutung von Präsidenten überzubetonen. Es geht an der Realität vorbei, die Fehler der letzten 18 Monate nur den Präsidenten oder Premierministern in die Schuhe zu schieben. Dominic Cummings, der ehemalige Berater des britischen Premiers, steht Boris Johnson mittlerweile kritisch gegenüber. Er sagt aber nicht, dass der Premier versagt hat oder für sein Amt ungeeignet war, sondern spricht von einem Versagen des gesamten Apparats. Gewählte Politiker, Gesundheitsexperten, Beamte – alle machten sie es falsch. Als sie begriffen, was vor sich ging, verfielen sie in Panik und verhängten den Lockdown.

profil: Ihrer Auffassung nach spielt es also überhaupt keine Rolle, wer gerade regiert?
Ferguson: Desaster sind nicht das Produkt der politischen Spitze, sondern entstehen durch Strukturen. Stellen Sie sich vor, Johnsons Vorgängerin Theresa May wäre in der Pandemie noch Premierministerin Großbritanniens gewesen und Joe Biden wäre in den USA früher ins Amt gekommen. Glauben Sie wirklich, die Mortalität wäre dann viel geringer gewesen? Ich denke nicht. Es lag nicht an ihnen. Bei den großen Desastern in der Geschichte der Menschheit liegen sie meist im Unterbau. Es ist sehr verlockend für einen Journalisten, zu sagen: Der Präsident ist ein Trottel, er ist schuld. Aber wenn man den einen Präsidenten durch einen anderen ersetzt, und das Problem bleibt bestehen, muss man beginnen, die Sache neu durchzudenken. Wir haben es hier mit Fehlern des öffentlichen Gesundheitswesens zu tun.

profil: In Ihrem Buch geht es auch um den aktuellen Zerfall der Weltordnung. Sie raten den USA dazu, einen neuen Kalten Krieg zu führen. Wie kommen Sie dazu?
Ferguson: Ein Kalter Krieg ist vor allem aus einem Grund wünschenswert: Er würde die USA aus ihrer Selbstzufriedenheit reißen. Es bedarf ernsthafter Anstrengungen, um auf dem Gebiet strategisch wichtiger Technologien gegenüber China nicht ins Hintertreffen zu geraten. China hat den USA den Krieg längst erklärt. Der zweite Kalte Krieg und die Auflösung der Ordnung an der Peripherie, in den schwachen Staaten, sind die bedeutendsten Folgen der
Pandemie. Für uns stellt sich die Frage, wie wir einen heißen Krieg verhindern können. Was wäre die Alternative? Den Fehler zu wiederholen, den die Briten im 20. Jahrhundert gemacht haben?

profil: Welcher wäre das?
Ferguson: Vereinfacht gesagt konnte die dominierende Macht – das britische Empire – die aufstrebende Macht – das Deutsche Reich – nicht davon abhalten, zu viel aufs Spiel zu setzen. 1914 und 1939 dachten die deutschen Führer, dass sie europäische, wenn nicht sogar globale Dominanz durch militärische Aktionen gewinnen könnten. Das war vollkommen falsch und desaströs für die Deutschen und viele, viele andere Menschen.

profil: Und was bedeutet das für China und die USA?
Ferguson: Wenn die USA etwas vom 20. Jahrhundert lernen konnten, dann das: Du musst China aufhalten, das gleiche Risiko einzugehen, das die Deutschen 1914 und 1939 eingingen. Wenn Xi Jinping denkt, dass er Taiwan durch eine Militäraktion China einverleiben kann, weil die Amerikaner nach dem Afghanistan-Desaster nicht kämpfen würden, könnte ein Krieg wie 1914 ausbrechen. Deshalb rate ich den Vereinigten Staaten, die Bedrohung durch China ernst zu nehmen. Sie sollten Xi eindeutig signalisieren: Es ist zu riskant für dich, Taiwan einzunehmen. Für die Chinesen ist Amerika schwach und dekadent, China befindet sich auf seinem Höhepunkt. Peking hat einen hohen Grad an Selbstvertrauen. Es sieht die Zeit gekommen, dass die englischsprachigen Mächte den Weg frei machen.

profil: Und Europa?
Ferguson: Ich wundere mich, warum sich so wenige
in Europa fragen, was sie mit der geflohenen afghanischen Regierung gemein haben, deren System beim Abzug der US-Truppen kollabierte. Die Antwort ist: Ohne Unterstützung der NATO wären die Europäer in keiner stärkeren Position als die afghanische Regierung. Kein Verbündeter zu sein, mag politisch attraktiv wirken, militärisch funktioniert es aber nur, wenn der Konflikt zwischen den USA und China ein rein pazifischer Konflikt sein wird. Mit Russland als Verbündeten Chinas sähe die Sache ganz anders aus. Was, wenn die Russen dann nicht nur einen Feldzug gegen die Ukraine, sondern auch gegen die baltischen Staaten starten? Die Europäer sollten einmal darüber nachdenken.

Interview: Michael Hesse

Düstere Zeiten: In seinem Buch zeichnet der britische Historiker Niall Ferguson die Geschichte der Menschheit anhand von Katastrophen nach.

„Doom. Die großen Katastrophen der Vergangenheit und einige Lehren für die Zukunft“, DVA, 592 Seiten, Euro 28,95