Nigel Farage vor Wahlen in Großbritannien: „Ratet mal, wer wieder zurück ist!“
Von Siobhán Geets
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Nigel Farage betritt den Raum durch die Hintertür, schreitet nach vorn zum Rednerpult, vorbei an Journalisten und Kameraleuten. Die Fans klatschen, Farage grinst: „Ratet, wer zurück ist!“, ruft er. Gelächter. Nigel Farage, Mister Brexit, der Schrecken der britischen Konservativen, Angstgegner der Tories, hat die politische Bühne betreten. Schon wieder. Es ist nicht das erste Mal, dass er zurückkommt, und wirklich weg war er ohnehin nie.
Am vergangenen Montag steht Farage im Gemeindezentrum einer heruntergekommenen Wohnsiedlung am Rande des Ortes Merthyr Tydfil in der Labour-Hochburg Wales. Seine Gesichtsfarbe sticht ins Orange, als hätte er zu lange im Solarium gelegen. Es ist der Startschuss zu seiner Wahlkampagne, und Farage braucht nicht lange, um sich in Fahrt zu reden. Er wettert gegen Staatsschulden und hohe Steuern, gegen die vermeintlich ausufernde Kriminalität und gegen Migranten, gegen Klimapolitik und Tempolimits. Er schimpft auf die „Eliten“ der „Oxford-Parteien“ und den „aktivistischen Gerichtshof in Straßburg“ – gemeint ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Großbritannien sei ein gebrochenes Land, sagt der Architekt des Brexits, als hätte das alles nichts mit ihm zu tun.
Noch im Februar hatte der 60-Jährige ausgeschlossen, für die Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich zu kandidieren. Plötzlich, am 3. Juni, vier Wochen vor dem Wahltermin, ließ er seine fast zwei Millionen Follower auf X dann wissen, dass er es doch tun werde – als Kandidat für Clacton-on-Sea in Essex, Südost-England. Nachsatz: „Ich starte einen Feldzug, um britische Werte zu verteidigen.“
„Britain needs Reform“, steht auf dem Plakat hinter Farage. Die Botschaft: Das Land ist kaputt und muss grundlegend verändert werden. Farages Partei, es ist seine dritte, heißt konsequenterweise „Reform Party“. Davor, als es noch um den EU-Austritt ging, führte er die „Brexit Party“ an, begonnen hat alles 1993 mit der „UK Independence Party“, kurz UKIP.
Auf den Stühlen liegt ein Folder mit dem Titel „Contract with You“, das Wahlprogramm, das, so will Farage gleich zu Beginn klarstellen, keines ist, denn Wahlprogramme seien voller Lügen und falscher Versprechen. Also verspricht Farage erst einmal gar nichts, sondern schließt einen „Vertrag“ ab mit dem Volk.
Das Land befinde sich im sozialen, wirtschaftlichen und moralischen Niedergang, das bleibt am Ende übrig von seiner Rede. Schuld an allem trügen illegale Migranten und Politiker, die nichts gegen sie unternehmen.
Es ist dasselbe Rezept, mit dem Farage vor dem Brexit-Referendum im Juni 2016 das Leave-Lager anheizte, und es funktioniert noch immer. Umfragen sehen die Reform-Partei bei bis zu 19 Prozent, es wäre der zweite Platz hinter Labour.
Farages Vorteil
Die konservativen Tories regieren das Land seit 14 Jahren, nun werden sie aller Voraussicht nach die Wahlen verlieren, daran bestehen kaum noch Zweifel. Großbritanniens nächster Premier wird dann Keir Starmer heißen, dessen Labour-Partei könnte im britischen Unterhaus auf mehr als 400 von 650 Sitzen kommen, die Tories laut Berechnungen auf weniger als 100 Mandate abstürzen, beides wäre ein Rekord.
Farage hat Charisma und ist ein brillanter Kommunikator. Er ist der erfolgreichste Politiker seit der Jahrtausendwende.
Noch vor wenigen Wochen wollte Farage sich aus der heimischen Politik zurückziehen. Er plante, nach Amerika zu reisen, um seinem Freund Donald Trump zum Sieg zu verhelfen. Doch dann setzte Premier Rishi Sunak die Wahlen überraschend für den 4. Juli an – und rief damit Englands bekanntesten Rechtspopulisten auf den Plan. Unter den Tories herrscht jetzt blanke Panik, aus dem rechten Flügel wird gar der Vorschlag laut, Farage in die Partei aufzunehmen.
Zwar dürfte Reform nicht mehr als eine Handvoll Sitze gewinnen, aber das ist zweitrangig, denn Nigel Farage braucht kein politisches Amt, um Einfluss zu üben. Sieben Mal hat er schon bei Parlamentswahlen kandidiert, gewonnen hat er den angestrebten Sitz noch nie. Dennoch prägte er das Land in den vergangenen zehn Jahren maßgeblich mit. Nigel Farages Erfolg misst sich an dem Schaden, den er den Tories zufügt.
Auch dieses Mal wird Reform die konservative Wählerschaft spalten, die Partei könnte die Tories um etliche Sitze im Parlament bringen. Im Vereinigten Königreich sieht das Mehrheitswahlrecht vor, dass der stimmenstärkste Kandidat eines Wahlkreises ins Unterhaus einzieht, der Rest der Stimmen verfällt.
Deshalb haben die Tories früh versucht, einer möglichen Kandidatur Farages entgegenzuwirken. An Krisen im Land mangelt es zwar nicht: Das Gesundheitssystem NHS ist notorisch ineffizient, nach dem Brexit fehlen Zigtausende Ärzte und Pflegekräfte, dazu kommen Inflation und Wohnungsnot.
Doch die Wahlkampagne der Tories war von Anfang an auf ältere, weniger gebildete Menschen zugeschnitten, die in vielen Wahlkreisen den Ausschlag geben könnten. Versprochen wird etwa der Kampf gegen illegale Migration, der Schutz der Pensionen sowie Steuersenkungen. Vom Brexit ist keine Rede mehr. Der EU-Austritt ist nichts, worauf die Tories noch stolz sein können, deshalb erwähnen sie die Angelegenheit erst gar nicht. Ihr Brexit-Leitspruch „Take Back Control“ ist nicht aufgegangen, die Zahl der illegalen Migranten hat sich seit dem EU-Austritt vervielfacht.
Nigel Farage kann behaupten, dass alles schiefgelaufen sei, weil er nichts mitzureden hatte. Jetzt hat er eine einfache Lösung für die vielen Krisen im Land: illegale Migranten abschieben.
Schnösel mit Street Credibility
Und so geht das alte Spiel gegen die etablierten Parteien von vorn los. Eines der vielen Talente Nigel Farages war stets, sich als Mann des Volkes zu geben. Als Sohn eines Börsenmaklers besuchte er teure Londoner Privatschulen, später handelte er mit Rohstoffen. Eine Universität hat Farage nie besucht, für ihn ging es in erster Linie darum, Geld zu verdienen. Heute lässt er sich von Chauffeuren zu Terminen kutschieren, doch in der Öffentlichkeit gibt sich Nigel Farage als „regular bloke“, ein normaler Kerl, der sagt, was jeder denkt. Medienauftritte absolviert er gern im Pub, ein Pint englisches Bier in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. Im Gespräch mit Menschen auf der Straße wirkt er ungezwungen. Anders als der roboterhaft steif wirkende Premier Rishi Sunak, dessen gehobene Herkunft bei jeder Geste mitschwingt.
Nigel Farage ist, wenn man so will, ein Schnösel mit Street Credibility. Ein Mann aus gutem Haus, der den politischen Rowdy gibt, ein Mitglied des Establishments, das gegen die Eliten wettert. Seine Anhänger wissen das, doch es ist ihnen gleichgültig. In der Abstrafung der politischen Eliten kommt Farage wie gerufen. Seine Parolen sind griffig, und sie verfangen.
Das war schon vor zehn Jahren der Fall.
Damals drängte Nigel Farage Premierminister David Cameron zur Volksabstimmung über den EU-Austritt. Vor dem Referendum im Juni 2016 wurde er dann zu einer führenden Figur im Lager der Austrittsbefürworter. Mit einer Mischung aus Desinformation und rassistischer Hetze heizte Farage die Stimmung im Land an.
Unvergessen ist sein Plakat mit der Aufschrift „Breaking Point“ („Belastungsgrenze“), darunter eine Karawane männlicher Flüchtlinge. Die rassistische Botschaft ließ selbst eingefleischte Brexiteers unter den Tories erschaudern. Doch am Ende schadete der Skandal Farage kaum.
Sein dreister Ton macht ihn zum Liebling der mächtigen Boulevardpresse und zum vermeintlichen Fürsprecher der Arbeiterklasse vor allem in England und Wales. „Er hat Charisma und ist ein brillanter Kommunikator“, sagt der Journalist Michael Crick. Vor zwei Jahren hat Crick eine Biografie über Farage herausgebracht („One Party After Another: The Disruptive Life of Nigel Farage“), im Gespräch mit profil bezeichnet er ihn als Großbritanniens „erfolgreichsten Politiker seit der Jahrtausendwende“. Farage spiegle die Ansichten jener wider, die nach wie vor an den Brexit glauben, die sich von der Politik vernachlässigt fühlen und Migranten fürchten.
Die Parallelen zu Donald Trump sind offensichtlich. Hat die Trumpifizierung der internationalen Politik mit Nigel Farage begonnen, also noch vor der Präsidentschaft Trumps?
Farages Erfolg hat Trumps Selbstbewusstsein einen Schub verpasst.
„Das kann man so sagen“, meint Crick, „die beiden haben viel voneinander gelernt.“ Im Sommer 2016 lernten sie einander kennen, seither ist die Beziehung nicht abgebrochen. „Farages Erfolg hat Trumps Selbstbewusstsein einen Schub verpasst“, sagt Crick, „beide attackieren die liberalen Eliten und sind äußerst anpassungsfähig.“
In Großbritannien gaben die Tories Farage Stück für Stück nach, bis sie beinahe genauso klangen wie er. Als einen Haufen „Exzentriker, Verrückte und verkappte Rassisten“ bezeichnet der damalige Tory-Chef David Cameron die UKIP-Partei noch im Jahr 2006. Keine zehn Jahre später beginnen die Tories, nach Farages Regeln zu spielen.
Der Brexit verwandelt die einstige Mitte-rechts-Partei in eine rechtspopulistische Kraft, die sich in Fragen um Europa, Migration und Fiskalpolitik kaum von den Ansichten Farages unterscheidet.
Doch Farage bleibt immer einen Schritt voraus und nutzt einen entscheidenden Vorteil: Er hat keinerlei politische Verantwortung zu tragen.
Büro 007
Einer der vielen Widersprüche in der Biografie Nigel Farages ist, dass er seinen Aufstieg ausgerechnet dem Europäischen Parlament verdankt, das er am liebsten abschaffen würde. Im Kampf gegen die EU ließ er sich vier Mal in deren Volksvertretung wählen, von 1999 bis zum Brexit im Jahr 2020 war Farage Abgeordneter im EU-Parlament. Dort zog er ins Büro mit der Nummer 007, schmiedete Allianzen mit Europas Rechtsextremen – und fiel fortan durch wortgewandte Reden und seinen Kleidungsstil auf. Ob im Zweireiher mit greller Krawatte, in breitem Nadelstreif oder senffarbenem Cord, Farage erinnert oft an einen Gutsherren mit Hang zur Exzentrik.
Im EU-Parlament ist Nigel Farages Redezeit auf drei Minuten beschränkt. Er lernt, zu verkürzen und zuzuspitzen und nutzt bald YouTube und andere soziale Medien, wo Millionen Menschen seine Videos sehen. „Deswegen wurde Trump überhaupt erst auf Farage aufmerksam“, sagt der Journalist Michael Crick.
Farage bespielt seine eigene Radiosendung, später folgen eine Fernsehshow und ein Podcast. Geschickt nutzt er die Sendezeit zur Verbreitung von Desinformation, vor allem zum Thema Migration.
Als EU-Abgeordneter verdient er viel Geld – „mehr als eine Viertelmillion Pfund pro Jahr“, protzt er einmal vor Journalisten –, in Straßburg fließt der Alkohol in Strömen. Für Aufsehen sorgt Farage auch, weil er seine Exfrau und eine ehemalige Geliebte auf Parlamentskosten anstellt.
Den ungarischen Philanthropen George Soros bezeichnet er als „größte Gefahr für die westliche Welt“, für Russlands Präsidenten Wladimir Putin äußert er Bewunderung, und über die EU verbreitet er Unwahrheiten, wonach die meisten nationalen Gesetze von Brüssel diktiert würden und die Mitgliedschaft sein Land 55 Millionen Pfund pro Tag koste.
Anfang 2019 gründet Farage die „Brexit Party“, um den EU-Austritt voranzutreiben. Die Entscheidung zum Brexit ist zwar längst getroffen, doch der Umgang der Tory-Regierung unter Theresa May mit Brüssel ist Farage nicht kompromisslos genug – er will den denkbar härtesten Bruch mit der EU, einen „richtigen“ Abschied ohne Abkommen. Seine Parolen verfangen einmal mehr: Bei den Europawahlen von 2019 fährt er das beste Ergebnis aller Zeiten ein. Während die Tories gerade einmal vier Mandate gewinnen, zieht Farage mit einer Delegation von 29 Abgeordneten ins EU-Parlament ein. Seine Brexit Party ist die größte Partei im gesamten EU-Parlament.
Nach der Niederlage bei den Europawahlen tritt May zurück und übergibt das Ruder an Boris Johnson. Dieser übernimmt zentrale Forderungen Farages und setzt einen denkbar harten Bruch mit der EU durch. Am Ende verlässt Großbritannien Binnenmarkt und Zollunion (für Nordirland gilt eine Sonderregelung), am 31. Jänner 2020 wird der Brexit vollzogen.
Wenige Tage zuvor hält Nigel Farage seine letzte Rede vor dem EU-Parlament. Der Ton ist euphorisch, hinter ihm die fröhlichen Gesichter seiner Abgeordneten. Es ist der Moment, für den er so lange gekämpft hat. „Wir kommen niemals zurück!“, ruft Farage und zieht ein britisches Fähnchen hervor. „Ich weiß, dass ihr unsere Nationalflaggen verbieten wollt, doch wir werden euch jetzt zum Abschied winken, und ich freue mich darauf …“ Dann wird ihm das Mikrofon abgedreht, das Zeigen nationaler Flaggen ist im Plenum verboten.
Gin und Dschungel
Mit dem EU-Austritt seines Landes hat Nigel Farage ein wichtiges Ziel erreicht. Doch das genügt ihm nicht.
Im Mai 2020 fährt er auf der Suche nach Bootsflüchtlingen über den Ärmelkanal. Sein Video von Migranten auf einem kleinen Boot geht um die Welt – und Farage wärmt sein altes Lieblingsthema auf. Immer wieder macht er sich in den kommenden Jahren auf, um Flüchtlingsboote zu filmen, die Ausflüge werden teils live im Fernsehen übertragen. Gebetsmühlenartig kritisiert er die Regierung dafür, zu wenig gegen die Überfahrten zu unternehmen. In der Tory-Partei stößt Farage auf offene Ohren – und der Druck auf Boris Johnson steigt.
Der rechte TV-Sender „GB News“ belohnt Farage mit einer eigenen Show, auch hier spricht er hauptsächlich über Migration. Die Einschaltquoten übersteigen jene der Nachrichtensendungen der BBC und von Sky. Sein Erfolg bringt Farage dazu, 2021 als Parteichef zurückzutreten und eine Fernsehkarriere zu starten.
Ende vergangenen Jahres sitzt Nigel Farage im australischen Busch an einem Tisch mit rot-weiß-kartierter Decke, vor ihm ein Stück Pizza. Es ist der vorläufige Höhepunkt des Trash-TV-Formats „I’m a Celebrity … Get Me Out of Here!“, hierzulande bekannt als „Dschungelcamp“. Belegt ist die Pizza mit den Penissen vier verschiedener Tierarten. Farage zögert keine Sekunde und schiebt sie sich in den Mund. 1,5 Millionen Pfund bekommt er für den Auftritt in der TV-Show, am Ende wird er Dritter. Unter 18- bis 24-Jährigen steigen seine Beliebtheitswerte auf das Doppelte.
Doch auch die Älteren hat Farage nicht vergessen. Im Jahr 2022 bringt er seine eigene Gin-Marke heraus, gebrannt in Cornwall, eine „patriotische Interpretation dieses typisch britischen Getränks“ für 40 Pfund die Flasche.
Farages Erfolg lässt die Tories immer weiter nach rechts rücken. Im Brexit-Chaos verlassen zahlreiche moderate Abgeordnete die Partei freiwillig oder werden hinausgeworfen. Als Rishi Sunak Ende 2022 das Amt des Premiers übernimmt, setzt er rasch Prioritäten: „Stop the Boats“, lautet nun die Parole, also ein Ende der illegalen Migration über den Ärmelkanal. Farage hat sich einmal mehr durchgesetzt.
Innerhalb der Tories bricht ein Flügelkampf aus, der die Partei zu zerreißen droht. Parteileute vom rechten Rand, darunter die ehemaligen Innenministerinnen Suella Braverman und Priti Patel, streiten mit Vertretern der Mitte wie Außenminister David Cameron und Innenminister James Cleverly über die Ausrichtung der Partei.
Im Versuch, Härte in der Migrationspolitik zu zeigen, beschließt die Regierung das sogenannte Ruanda-Modell: Flüchtlinge, die nach Großbritannien kommen, sollen in das ostafrikanische Land abgeschoben werden, um dort einen Asylantrag zu stellen. Eine Rückkehr ist ausgeschlossen.
Laut britischem Rechnungshof würde das bis zu zwei Millionen Pfund pro Migrant kosten, auch rechtlich stößt der Plan auf Widerstand. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stoppt den ersten geplanten Flug, ein Berufungsgericht in London stuft das Vorhaben als rechtswidrig ein.
Doch die Regierung bleibt dabei – und stellt mittlerweile sogar die Gerichtsbarkeit des EGMR infrage, eine weitere Forderung Farages. In der Zeit nach den Wahlen dürfte es zu noch härteren Flügelkämpfen kommen. Etliche moderate Konservative könnten ihren Sitz im Parlament verlieren. Ein Erfolg Farages bei den Wahlen würde den rechten Flügel der Tories weiter stärken.
Dabei hat der Rechtsruck den Tories bisher wenig gebracht. Laut Umfragen könnte selbst Premier Rishi Sunak seinen Sitz im Parlament verlieren – als erster Regierungschef in der Geschichte des Landes. Nur zwei von zehn Befragten finden, dass er gute Arbeit leistet.
Längst ist eine Debatte um Sunaks Nachfolge losgebrochen, es kursieren mehrere Namen, vor allem aus dem rechten Parteieck. Sogar von einer Rückkehr Boris Johnsons ist die Rede. Er war zurückgetreten, nachdem das Parlament ihn der Lüge überführt hatte. Es folgte Liz Truss, doch sie blieb nur 49 Tage im Amt. Sunak ist bereits der dritte Premier in dieser Legislaturperiode.
Die Tory-Partei liegt in Trümmern, die Stimmung ist düster.
Eminem und Pyrotechnik
In Clacton-on-Sea herrscht hingegen Heiterkeit.
Hier wird Nigel Farage gefeiert wie ein Star. Rund 800 Menschen sind am Dienstagabend vergangener Woche ins örtliche Theater gekommen, um ihren Helden zu sehen. Zu Eminems „Guess who’s back“ betritt er den Raum, schüttelt Hände, es ist ein beinah aristokratischer Auftritt. Auf der Bühne gehen Feuerwerke hoch, Farage lacht und wiederholt den erprobten Kalauer: „Ratet mal, wer zurück ist! – wieder wieder zurück!“
Laut Umfragen wird Farage in Clacton rund 40 Prozent der Stimmen gewinnen, schon im Jahr 2015 ging hier der landesweit einzige Parlamentssitz an UKIP. Clacton ist der ärmste Ort im Land, jener mit den wenigsten Einwanderern und mit dem höchsten Altersschnitt. Sieben von zehn Wahlberechtigten haben hier für den Brexit gestimmt.
Für Farage ist es ein Heimspiel. Er tut, was er am besten kann, schimpft ausführlich über so ziemlich jeden, der im Vereinigten Königreich etwas zu sagen hat. Und verspricht dann doch noch einiges.
Die Reform-Partei werde die Verteidigungsausgaben auf drei Prozent des BIP erhöhen, die Truppen auf 100.000 Mann aufstocken, die Klimaziele abschaffen und alle illegalen Migranten abschieben. Wie er das alles erreichen will, verrät Farage nicht, und es spielt auch keine Rolle, denn nicht einmal er selbst glaubt daran, bald Teil der Regierung zu sein. Farage will jetzt ernsthaft Opposition betreiben, es geht darum, die Konservativen als stärkste rechte Kraft abzulösen.
Die Wahlen am 4. Juli seien der „erste Schritt“, sagt er. Das Ziel: der Sieg bei den Parlamentswahlen im Jahr 2029.
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.