Reportage

Orbán in Wien: „Der Krieg in der Ukraine ist militärisch verloren“

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) haben sich in Wien getroffen. Ein Gespräch über Donald Trump als Friedensstifter, die scheiternde EU und Gulasch in Budapest.

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Wenn es nach dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán geht, wäre er eine Maus und Gerhard Schröder ein Elefant. Zumindest sagt er das, als er seine Beziehung zum ehemaligen deutschen Bundeskanzler beschreiben soll. Er sitzt in einem roten Sessel, neben ihm steht, etwas einsam, ein oranges Blumengesteck, und er lacht, als Schröder sagt, er habe viele Freunde in Wien, „nicht nur politisch, von denen noch am wenigsten“. Am Anfang geht es um Schröders Vorliebe für Gulasch und Bier aus Budapest, um die Österreichisch-Ungarische Monarchie. Die Stimmung ist heiter, ein bisschen wie bei einer Parteiveranstaltung.

Die rechtskonservative Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ hat den ungarischen Premierminister Viktor Orbán und den deutschen Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) zu einer Gesprächsveranstaltung in den dritten Wiener Gemeindebezirk eingeladen. Rund 90 Minuten lang versucht der Gastgeber und „Weltwoche“-Chefredakteur Roger Köppel gemeinsam mit seinen Gästen Antworten zum Thema „Frieden in Europa“ zu finden; Lösungen und Auswege, wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine enden könnte. Eineinhalb Stunden Debatte über die Rolle des langjährigen Putin-Kenners Schröder und über die Alleingänge Orbáns auf der Suche nach Partnern, die helfen sollen, den Krieg in der Ukraine zu beenden – oder einen Waffenstillstand herbeizuführen. Und das ginge vor allem dann, wird behauptet, wenn die Ukraine und die Vertreter der Europäischen Union einsehen würden, dass der Krieg verloren sei. Und sollte Trump Präsident werden, würde er schon dafür sorgen, dass das Sterben im Donbass endet, meint der ungarische Premier Orbán.

Orbán in Wien

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán zum Abschluss seines Wien-Aufenthaltes bei der „Weltwoche“-Gesprächsveranstaltung in den Wiener Sofiensälen.

Das Setting ist wohl nicht zufällig so ausgewählt. Auf der einen Seite der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), der vor allem nach seiner Amtszeit (1998-2005) den Bau der beiden Gaspipelines Nordstream und Nordstream 2 maßgeblich vorantrieb, die Russland über die Ostsee mit Deutschland verbinden. Auf der anderen Seite Viktor Orbán, der eine enge Beziehung zu Russland pflegt, sich auch mehr als zweieinhalb Jahren nach Kriegsbeginn nicht vom russischen Erdgas lösen möchte und sich auf europäischer Ebene mehrfach gegen Sanktionen ausgesprochen hat.

Eine Podiumsdiskussion entsteht an diesem Nachmittag aber nicht. Zu einig sind sich Moderator Köppel, Schröder und Orbán. Denn geht es nach ihnen, sind die Rollen klar verteilt: Dass der Krieg immer noch andauert, liege vor allem an der EU, deren Regierungschefs den verlorenen Krieg nicht einsehen möchten. Und am ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj, der die EU mit seinen Forderungen nach Waffen und Unterstützung zum Kriegstreiber mache.

„Putin will nicht nur ein Kriegsherr sein“

Während des Gesprächs wird Russland kein einziges Mal als Aggressor genannt. Angesprochen darauf, ob Putin nach einem imperialen Russland strebe, dem Wiederherstellen des Staatsgebietes der Sowjetunion arbeite, meint Schröder: „Putin will nicht nur ein Kriegsherr sein, er macht sich durchaus Gedanken, wie man den Krieg beenden kann.“ Zudem sei die Lage für die Ukraine sowieso ausweglos, widerholt Orbán: „Ich weiß nicht, was die deutsche und österreichische Presse schreibt, aber wenn wir nicht bereit sind, unsere eigenen Soldaten an die Front zu schicken, dann ist dieser Krieg militärisch verloren. Die Niederlage der Ukraine wird jeden Tag größer.“

Voller Hoffnung blicken die drei Männer am Podium in Richtung USA, „über das große Wasser“, wie Orbán mehrfach sagt. „Ich habe heute Nachmittag mit Donald Trump gesprochen. Wir bereiten uns vor“, spielt Orbán auf den aus seiner Sicht nächsten US-Präsidenten an. „In fünf Tagen kommt es in den USA zu einer Entscheidung, das könnte einen Waffenstillstand bringen.“ Um wenig später die Sicht Donald Trumps wiederzugeben: „Es gibt kein Interesse, Milliarden von Dollar in die Ukraine zu schicken. Die USA interessieren sich nicht für die Ukraine, sondern dafür, wie man diesen Konflikt aus der Weltpolitik heraushalten kann. Sie werden einen russischen-amerikanischen Vertrag zustande bringen. Und unsere Rolle in Europa ist unklar, weil unsere europäischen Spitzenpolitiker den Zeitpunkt versäumen.“

Schröder stimmt in vielen Teilen zu, Frankreich und Deutschland, die beiden großen Player innerhalb der EU, sollten sich an der Initiative Orbáns beteiligen, einen Waffenstillstand herbeizuführen.

Die beiden Männer sprechen über ihre politischen Bemühungen. Über Orbáns Reisen in die USA, „in die geheime Hauptstadt Mar-a-Lago“, wie Roger Köppel auf Trumps Anwesen in Florida anspielte und nach China. Schröder erzählt von seinen Bemühungen im April 2022, als er das Gespräch mit Putin suchte und Verhandlungen über einen Waffenstillstand an den türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan weitergab, die schließlich ergebnislos endeten.

In den verbleibenden Minuten handeln Schröder und Orbán im Rekordtempo ab, woran Europa aus ihrer Sicht krankt. Orbán wünscht sich die niedrigen Energiepreise für die produzierende Wirtschaft zurück und ortet liberale Genderdebatten, die ganz Europa verunsichern würden. Schröder hingegen wünscht sich mehr Politiker mit Rückgrat. Solche, „die auch langfristig zu ihren Inhalten stehen und Wahlniederlagen dafür in Kauf nehmen”, sagte der deutsche Altkanzler. Ob er damit auch sein Gegenüber Viktor Orbán meint?

Unklar bleibt, wie sich die drei Männer auf dem Podium in den Wiener Sofiensäle ein Ende des Krieges vorstellen – und zwar ohne dass der russische Angriffskrieg mit Gebietszuwächsen belohnt wird.

Am Ende bekommen Schröder und Orbán vom Veranstalter noch Hustenbonbons aus Schweizer Herstellung. Denn ihre Stimmen sollen auch weiterhin stark bleiben, so Köppel. Der „Weltwoche“-Chefredakteur beschließt die Gesprächsrunde mit den Worten: „You’re voice has to be heard in Europe.“ 

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.