Gänswein galt als engster Weggefährte von Papst Benedikt. Nun sieht er sich als Opfer innerkirchlicher Kämpfe.

Plappermaul Gänswein? Rebellion gegen Franziskus

Das neue Buch des deutschen Erzbischofs Georg Gänswein sorgt für Unruhe im Vatikan und macht Reformpapst Franziskus das Leben schwer. Steht dessen Rücktritt bevor?

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„La vedova amareggiata“, die verbitterte Witwe, so nannten Facebook-User Georg Gänswein in Anspielung auf den Tod des von ihm hochverehrten Papstes Benedikt XVI. alias Joseph Ratzinger. Die italienische Ausgabe der „Huffington Post“ verglich den deutschen Erzbischof und ehemaligen Privatsekretär des am 31. Dezember verstorbenen deutschen Papstes gar mit Harry Windsor. Wie der Brite hat auch der 66-jährige Deutsche mit seinem Buch Enthüllungen geliefert, die für viel Aufregung sorgen.

„Nichts als die Wahrheit“ lautet der Titel des am vergangenen Donnerstag im italienischen Verlag Piemme erschienenen Buches von Gänswein. Zu seinem Werk will sich der Autor nicht mehr äußern. Dabei hatte der Kirchenmann bereits einige Indiskretionen aus dem Buch in einem Interview verraten. Doch dann nahm sich Papst Franziskus den Autor zur Brust, am Montag vergangener Woche in einer Privataudienz. Seitdem schweigt Gänswein.

Das Buch gibt jenen Kräften innerhalb der katholischen Kirche Aufwind, denen der Kurs des Argentiniers nicht passt. Die Traditionalisten werfen ihm eine „Protestantisierung“ der römisch-katholischen Kirche vor – eine Verwässerung der alten Traditionen und Dogmen. Bis zum Tod von Josef Ratzinger brodelte der Ärger dieser Traditionalisten mehr oder weniger im Verborgenen. Doch nun scheint er unverhohlen hervorzubrechen – mit dem Ziel, Franziskus das Leben schwer zu machen. Diese Erz-Konservativen werden alles tun, schreibt der Journalist und Ratzinger-Kenner Massimo Franco in der Tageszeitung „Corriere della Sera“, um zu verhindern, dass der amtierende Papst Jorge Mario Bergoglio „das kommende Konklave noch weiter in seinem Sinn konditioniert“.

Traditionalisten sehen in Gänswein einen „chiacchierone“, ein Plappermaul. Und plappern ist in der dünnen Luft des hohen Klerus Todsünde und Karriereblocker.

Zunächst vermutete man, dass Gänswein zum Bannerführer der innerkirchlichen Gegner des Reformpapstes werden könnte. Doch seine Plaudereien in Buchform stoßen unter Traditionalisten auf Kritik. Dass der Deutsche in seinem Buch aus Privatbriefen von Benedikt XVI. an seinen Nachfolger zitiert, wird verärgert kommentiert. Er sei, heißt es, ein „chiacchierone“, ein Plappermaul. Und plappern ist in der dünnen Luft des hohen Klerus Todsünde und Karriereblocker. 

Gänswein hebt in seinem Buch Benedikt XVI. auf ein hohes Podest. So hoch, dass Franziskus ganz klein aussieht. Seitenlang führt Gänswein aus, wie schockiert Benedikt gewesen sei, als Franziskus das Zelebrieren der traditionellen Messe in Latein einschränkte. Der aufgebrachte Autor wirft dem Argentinier auch vor, nie einen echten Dialog mit seinen Kritikern gesucht zu haben. Franziskus scheint für Gänswein ein in Sachen innervatikanischer Diplomatie ziemlich ungehobelter Kerl zu sein, habe er sich doch erlaubt, ihn, den Vertrauten von Benedikt XVI., im Jahr 2020 mit einigen wenigen Worten als Präfekten des päpstlichen Hauses abzusetzen.

Demnächst wird ein weiteres Buch erscheinen, das Franziskus’ Image beschädigen könnte. Zusammen mit der Vatikanistin Franca Giansoldati von der Tageszeitung „Il Messaggero“ schrieb der deutsche Kardinal Gerhard Müller ein Buch mit dem Titel „In buona fede“ („In gutem Glauben“). Der erzkonservative Kardinal war von 2012 bis 2017 Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, also oberster Hüter des wahren Glaubens. Und den sieht Müller unter Papst Franziskus in Gefahr.

Bis zum Tod Ratzingers griff Müller stets nur enge Berater von Franziskus an. Was er jetzt zum Pontifikat jenes Papstes sagen wird, der ihn gegen seinen Willen als Glaubenshüter absetzte, wird mit Spannung erwartet. Müller nannte das Kloster in den Vatikanischen Gärten, in denen der emeritierte Papst seine letzten Jahre verbrachte, so zitiert ihn Massimo Franco, „einen Ort, wo sich jene die Wunden lecken, die von Franziskus verletzt worden sind. Und das sind viele …“

Doch die Gegner und Kritiker von Franziskus sind keine homogene Gruppe. Ganz im Gegenteil zu jenen Kardinälen, die im kommenden Konklave einen Nachfolger wählen werden. 83 der 132 wahlberechtigten Mitglieder des Konklaves wurden von Franziskus zu Kardinälen ernannt. Auch wenn diese Franziskus-Mehrheit keine Garantie für einen zukünftigen Papst im Sinn von Bergoglio darstellt, genießt die sogenannte „Trastevere-Lobby“ großen Einfluss.

Im römischen Stadtteil Trastevere hat die katholische und sozialpolitisch engagierte Ägidius-Gemeinschaft ihren Hauptsitz. Und aus dieser Gemeinschaft ging Matteo Zuppi hervor. Einst links-katholischer Straßenpriester, enger Freund von Franziskus und von diesem zum populären Erzbischof von Bologna sowie zum Kardinal ernannt, gilt er nun als linker Kandidat für die Papstnachfolge – ein Horrorkandidat für Timothy Broglio. 

Der neue Präsident der US-amerikanischen Bischofskonferenz soll Franziskus vor wenigen Wochen bei einem Besuch in Rom mitgeteilt haben, dass rund 90 Prozent aller US-Bischöfe entschieden gegen seinen Reformkurs sind.

Ein Konklave könnte schon bald stattfinden. Franziskus ließ bereits durchblicken, dass auch er einen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen nicht ausschließt. Er ist sehr schlecht zu Fuß, die Totenmesse seines Vorgängers zelebrierte er im Rollstuhl. Gut möglich, dass sein Rücktritt bevorsteht. Das Timing wäre perfekt: Mit der aktuellen Zusammensetzung des Kardinalskollegiums im Konklave könnte ein weiterer Reformer sein Nachfolger werden.

Memoiren mit Sprengkraft

„Nient’altro che la Verità“ (Nichts als die Wahrheit) erschien soeben auf Italienisch im Piemme Verlag.