Frum
Bevor Harris Vizepräsidentin unter Joe Biden wurde, hatte sie fast keine politische Erfahrung auf der großen Bühne. Sie war US-Senatorin und Generalstaatsanwältin von Kalifornien, de facto ein demokratischer Einparteien-Bundesstaat. Es geht dort immer um politische Nuancen innerhalb der Demokraten. Als Harris dann in die große Politik einstieg und sich gegen die Republikaner behaupten musste, wurde sie nervös. Sie hatte Angst, einen Fehler zu machen, und wenn man Angst vor Fehlern hat, wird man verkrampft. Hinzu kommt: Joe Biden hätte seine Vizepräsidentin besser unterstützen, ihr Erfolge gönnen müssen. Das hat er nicht getan.
Biden hat sie damit beauftragt, das Problem der illegalen Einwanderung an der südlichen Grenze zu lösen …
Frum
… ein Thema, bei dem sie als Vizepräsidentin nur scheitern konnte, weil sie gar nicht die Befugnis hat, hier große politische Reformen anzugehen. Biden hat das sehr bewusst gemacht.
Warum?
Frum
Wenn man der älteste Präsident in der Geschichte der USA ist und seine deutlich jüngere Vizepräsidentin strahlen lässt, bekommt sie womöglich mehr Aufmerksamkeit. Damit gesteht man sich indirekt die eigene Sterblichkeit ein. Das ist für jeden von uns schmerzhaft – besonders aber für einen amerikanischen Präsidenten.
Hat sich Harris in den vergangenen Wochen in ihren Auftritten verbessert?
Frum
Ihre Strategie besteht darin, sich Donald Trump nicht in den Weg zu stellen. Ihre TV-Debatte mit ihm war ein perfektes Beispiel dafür. Harris hat ihren Gegner provoziert, ihn anlaufen lassen und dafür gesorgt, dass er eine katastrophale Debatte hatte. Er hat sich auf haitianische Einwanderer eingeschossen, die angeblich Katzen und Hunde essen – genau das blieb von der Debatte übrig, und alle Welt lachte über Trump.
Das Thema Migration scheint dennoch sehr wichtig bei diesen US-Wahlen.
Frum
Das stimmt, Migration ist zum ersten Mal ein riesiges Wahlthema. Millionen von Menschen, die keine individuelle Furcht vor Verfolgung haben, nutzen das US-Asylsystem aus, das eigentlich für Menschen mit individueller Furcht vor Verfolgung geschaffen wurde. Das Asylwesen hat sich in ein zweites Einwanderungswesen verwandelt, das Millionen von Menschen über die Grenze bringt. Joe Biden hat das Problem lange ignoriert und es somit den Rechten überlassen – das war ein Fehler.
Europa kämpft derzeit mit ähnlichen Problemen.
Frum
Die Situation ist durchaus vergleichbar. Die Probleme sind ja real. Wenn in einer Stadt mit 50.000 Einwohnern plötzlich 80.000 Einwanderer leben, steht das Schulsystem vor dem Kollaps. Die gesamte Infrastruktur ist überfordert. Es passiert zu viel Veränderung in zu kurzer Zeit. Trump hat also ein wichtiges Thema aufgegriffen, aber er hat es wie so oft übertrieben und dafür gesorgt, dass sich jetzt alle schämen, die seine Migrations-Politik unterstützten.
Noch nie gab es so viele Warnungen, dass die Demokratie in den USA auf dem Spiel stehe, sollte Trump gewinnen. Ist das nicht maßlos übertrieben?
Frum
Es gab natürlich nie den Plan, wie einst Pinochet in Chile als Diktator über die USA zu regieren. Trump sucht nach Lücken im System, um die Macht an sich zu reißen. Die US-Verfassung besagt etwa, dass die Wahl durch ein Wahlmännerkollegium entschieden wird. Versäumt dieses aber die Frist für die Stimmabgabe, wählt das Repräsentantenhaus den Präsidenten. Und wenn die Republikaner dort die Mehrheit haben, können sie Trump trotz einer Niederlage zum Präsidenten machen. Trump wird weiter nach Wegen suchen, um zu gewinnen. Und wo enden wir, wenn er damit Erfolg hat? Dann versinken wir im Chaos.
Die Fronten zwischen den Parteien sind verhärtet wie nie. Manche Beobachter warnen sogar vor einem neuen Bürgerkrieg. Der Sturm auf das Kapitol von Hunderten Trump-Anhängern am 6. Jänner 2021 sei nur der Vorbote gewesen, heißt es.
Frum
Eine der Lehren aus dem Putschversuch im Jahr 2021 ist schlichtweg, dass man ins Gefängnis kommt, wenn man Gewalt gegen die US-Regierung ausübt. Etwa 1000 Menschen wurden damals verhaftet und verurteilt. Vielen von ihnen drohen hohe Strafen. Mir tun diese armen Leute leid, die für Trump auf die Straße gegangen sind. Sie dachten ernsthaft, sie würden Trump als Untertanen gehorchen, sie dachten, dass er sie begnadigen würde, weil er sie ja zu diesem Sturm aufgefordert hat. Daraus hat man gelernt. Ich glaube also nicht, dass wir Gewalt auf den Straßen sehen werden, wenn Trump besiegt wird.
Sie sind einer der wenigen Konservativen in den USA, die Trump vehement ablehnen und sich Kamala Harris als Präsidentin wünschen.
Frum
Ich bin nur konsequent. Ich wurde in den 1970er-Jahren politisch aktiv, habe erst für Ronald Reagan gekämpft, später für George W. Bush gearbeitet und mich dann öffentlich für die Präsidentschaftskandidaten John McCain und Mitt Romney starkgemacht. Heute bin ich überzeugter Romney-Republikaner.
Was heißt das?
Frum
Ich bin für die militärische Unterstützung der Ukraine und Israels, für die Stärkung der westlichen Verteidigungsallianz, für eine starke US-Landesverteidigung und den Ausbau des Welthandels. All das hat Kamala Harris in ihren Reden angesprochen. Wir Romney-Republikaner haben das wahrgenommen, wir sind eine kleine Gruppe, aber wir können den entscheidenden Unterschied bei den Wahlen machen.
Was passiert mit der populistischen MAGA-Bewegung, wenn Trump die Wahlen verliert? Wohin steuert die Partei?
Frum
Die Zukunft der Republikanischen Partei ist eine der wichtigsten Fragen überhaupt. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Grand Old Party besinnt sich auf die Politik von Reagan und Bush und erkennt, dass Donald Trump an ihrer Spitze ein Fehler war. Oder die Partei wird wie die AfD in Deutschland. Ich traue mich nicht vorherzusagen, was eintritt.
Zum Schluss Ihre Wahlprognose, bitte.
Frum
Ich habe immer gesagt, dass Trump die Wahlen recht deutlich verlieren wird. Wenn er auf nationaler Ebene drei Millionen Stimmen weniger hat als Harris, werden ihn seine Tricks mit dem Wahlmännerkollegium nicht retten können. Dann wird er abtreten.
David Frum, 64,
ist ein kanadisch-amerikanischer politischer Publizist, Autor und ehemaliger Redenschreiber für Präsident George W. Bush. Bekannt wurde er durch den von ihm 2002 geprägten Begriff „Achse des Bösen“, der die Staaten Irak, Iran und Nordkorea zusammenfasste, weil sie mutmaßlich nach Massenvernichtungswaffen strebten. Frum vertritt moderat-konservative Positionen in der Republikanischen Partei. Er tritt für eine faktenbasierte Debattenkultur ein und zählt zu den prominentesten innerparteilichen Kritikern von Donald Trump.