Der deutsche Politikwissenschafter Wolfgang Merkel: "Die SPÖ darf ihre kosmopolitische Seele nicht aufgeben und so zu einer sozialdemokratischen FPÖ werden."

Politikwissenschafter Wolfgang Merkel: „Die AfD wird nicht gewinnen“

Bei den Landtagswahlen im deutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern überholte die „Alternative für Deutschland“ die CDU mit über 20 Prozent. Ein Rückschlag für die Partei der deutschen Kanzlerin. profil hat mit Politikwissenschafter Wolfgang Merkel über die politische Bedeutung des Ergebnisses für Deutschland, Österreich und das Demokratieverständnis gesprochen.

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profil: Welche Bedeutung hat der Wahlerfolg der „Alternative für Deutschland“ (AfD) in Mecklenburg-Vorpommern für Deutschland? Wolfgang Merkel: Das Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern ist eine schlechte Nachricht. Das Erstarken einer rechtspopulistischen Partei wie der AfD bricht das tiefsitzendes Tabu in Deutschland, dass keine relevante Partei rechts von der CDU/ CSU seinen legitimen Platz finden darf.

profil: Was bedeutet das Ergebnis für die Demokratie? Merkel: Da bin ich optimistischer. Rechtspopulistische Parteien stehen zwar am Rande des demokratischen Parteienbogens aber viele AfD-Wähler sind Protestwähler. Sie drücken ihren Unmut gegenüber anderen Parteien und deren Politik aus. Der tatsächliche rechtspopulistische Kern der AfD-Wähler ist jedoch gering.

Die SPÖ darf ihre kosmopolitische Seele nicht aufgeben und so zu einer sozialdemokratischen FPÖ werden.

profil: Inwiefern wird sich das AfD-Wahlergebnis auf die österreichische Politik auswirken? Merkel: Das Wahlergebnis ist ein weiterer Stabilisator für die FPÖ. Die rechtspopulistischen Parteien Europas stützen einander gegenseitig mit ihren Wahlerfolgen. Der Erfolg der AfD hat natürlich auch symbolische Bedeutung für die Kanzlerin Angela Merkel.

profil: Wie wird die deutsche Kanzlerin auf den Aufschwung der AfD reagieren? Merkel: Angela Merkel wird wahrscheinlich heimlich aber doch zurückrudern. Sie steht unter großem Druck seitens der Wähler, der CSU und zunehmend auch ihrer eigenen Partei.

profil: Wie kann die österreichische Sozialdemokratie auf ein Erstarken der FPÖ reagieren? Merkel: Die Sozialdemokratie ist hin und hergerissen zwischen ihrer gemeinschaftsorientierten Seele, die für soziale Gerechtigkeit im eigenen Land eintritt und ihrer kosmopolitischen Seele, die Offenheit und politische Gerechtigkeit im internationalem Raum fordert. Die SPÖ darf ihre kosmopolitische Seele nicht aufgeben und so zu einer sozialdemokratischen FPÖ werden, muss sich aber wieder stärker Fragen der sozialen Fairness in der österreichischen Gesellschaft stellen.

In Deutschland gibt es deutliche politische Unterschiede zwischen West und Ost.

profil: Welche Auswirkungen hätte ein Wahlgewinn Norbert Hofers bei der Wiederholung der Wahlen in Österreich? Merkel: Das Rennen zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen wird wieder knapp. Der österreichische Bundespräsident hat zwar nicht viel Macht aber eine hohe symbolische Wirkung. Würde ein Rechtspopulist wie Norbert Hofer dieses Amt bekleiden wäre das eine schlechtes Zeichen für ganz Europa.

profil: Wie wird es für die AfD weitergehen? Merkel: In Deutschland gibt es deutliche politische Unterschiede zwischen West und Ost. Im Osten des Landes ist die AfD stärker als im Westen. Aber die eigentlichen Wählermassen sind im Westen zu Hause. Und zwar vor allem in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. In Bayern bremst die CSU die AfD-Proteste stärker aus, weil sie selbst Kritik an Kanzlerin Merkel übt. Nordrhein-Westfalen ist eher sozialdemokratisch orientiert, hier könnte die AfD stärker zulegen. In Baden-Württemberg wiederum ist die politische Stimmung und die CDU konservativ. Das gräbt der AfD das konservative Wasser ab. Es wird enger werden für die etablierten Parteien: Die AfD wird trotzdem nicht durchkommen.

Die Zahlen im Überblick

Die SPD gewann die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern mit 20,6 Prozent und konnte so ihren Wahlerfolg aus Sachsen-Anhalt fortsetzen (März 2016: 24,3 Prozent). Die Alternative für Deutschland überholte die CDU mit 20,8 Prozent. Die CDU, Angela Merkels Partei, fiel auf 19 Prozent zurück. Somit hat sie etwa 22.000 Wähler an die AfD verlroen. Die Linke, die in Ostdeutschland sonst gut im Kurs lag, musste ihr bisher schlechtestes Ergebnis hinnehmen mit 13,2 Prozent. NPD und Grüne erzielten mit 3 Prozent und 4,8 Prozent zu wenige Stimmen und bekamen keinen Sitz im Landtag.

Wolfgang Merkel ist Professor für Politikwissenschaften am Wissenschaftszentrum Berlin. Er ist auf Fragen der Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und politischen Regimes spezialisiert.