Polizeigewalt: Sind Budgetkürzungen sinnvoll?
In den USA wird um das Vermächtnis von George Floyd, dem am 25. Mai durch Polizisten in Minneapolis getöteten Afroamerikaner, gerungen. Damit sein grausamer Tod nicht rasch wieder in Vergessenheit gerät, sondern tief greifende Veränderungen nach sich zieht, gehen Tag für Tag - und trotz nächtlicher Ausgangssperren mancherorts auch Abend für Abend - insgesamt Hunderttausende Menschen in vielen Städten des Landes auf die Straße.
Was will die Protestbewegung?
Es ist gar nicht einfach, eine Forderung zu formulieren, die auf die Beseitigung von strukturellem Rassismus innerhalb des Polizeiapparates abzielt. Schließlich geht es dabei - wie schon der Begriff deutlich macht - nicht um einzelne Personen, sondern um Strukturen.
Mittlerweile hat sich ein zentrales Anliegen herauskristallisiert: das sogenannte "defunding" der Polizei. Übersetzt bedeutet das, dass der Polizei finanzielle Mittel entzogen werden sollen. Die Bürgermeister von New York und Los Angeles haben bereits derartige Initiativen versprochen.
Wie kann dadurch Rassismus bekämpft werden?
Nach Meinung der Demonstranten ist die Polizei mit viel zu vielen Ressourcen ausgestattet, die es ihr ermöglichen, mit militärischer Ausrüstung und mit einschüchternder Macht aufzutreten. Sie soll deshalb verkleinert und mancherorts auch durch andere Formen von Sicherheitskräften ersetzt werden. Das frei werdende Geld soll in Bildungs-und Wohnbauprogramme für Afroamerikaner fließen.
Was wird aus der Polizei?
Befürworter des "defunding" verweisen auf den Modellfall der Stadt Camden im Bundesstaat New Jersey. Dort wurde 2013 angesichts exorbitant hoher Kriminalität die Polizei aufgelöst und stattdessen eine neue Sicherheitsbehörde gegründet, die die Nähe zur Bevölkerung suchte, innerhalb weniger Jahre die Mordrate drastisch senkte - und dabei noch billiger war als die alte Truppe. Bei den jüngsten Protesten standen die Beamten den Demonstranten auch nicht wie andernorts feindselig gegenüber, sondern der Polizeichef marschierte auf ihrer Seite mit.
Allerdings taugt das Beispiel Camden nur sehr bedingt als Argument für einschneidende Budgetkürzungen bei der Polizei. Tatsächlich wurden dort nämlich bei der Neuaufstellung wesentlich mehr Beamte verpflichtet als vorher. Billiger wurde die Truppe nur deshalb, weil durch die Neugründung die Polizeigewerkschaft zerschlagen wurde, die für ihre Leute sehr vorteilhafte und für die Stadt teure Verträge durchgesetzt hatte.
Befürworten die Demokraten das "defunding"?
Manche ja, nicht aber der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat Joe Biden. Auch Jacob Frey, der Bürgermeister von Minneapolis, enttäuschte die Demonstranten: "Ich unterstütze die komplette Auflösung der Polizei nicht", sagte er bei einer Veranstaltung und musste daraufhin unter lauten Buhrufen abziehen.
Was spricht gegen das "defunding"?
Das Budget zu kürzen, mindert den Rassismus nicht. Der Polizist, der George Floyd erstickte, könnte dasselbe auch als Beamter einer kleineren, billigeren Einheit tun. Die Abgeordneten der Demokraten im Kongress bringen deshalb ein Gesetzespaket ein, das mit strengeren Regeln die Verantwortlichkeit und die Überprüfbarkeit der Polizei gewährleisten soll. Bundesweit sollen Vorschriften erlassen werden, die etwa den Einsatz von gefährlichen Würgegriffen verbieten und andere riskante Maßnahmen nur in exakt vorgeschriebenen Situationen gestatten. Juristische Schlupflöcher, die bisher dafür gesorgt haben, dass Polizisten wegen Übergriffen nur ganz selten belangt werden konnten, sollen gestopft werden. Solche Maßnahmen und weitere Verbesserungen kosten Geld, und "defunding" wäre deshalb nicht hilfreich.
Kann struktureller Rassismus überhaupt erfolgreich bekämpft werden?
Es gibt dafür ein Beispiel: die britische Polizei. Diese wurde wegen ihrer bestürzenden Unfähigkeit, den rassistischen Mord an dem schwarzen Teenager Stephen Lawrence im Jahr 1993 als solchen zu erkennen und aufzuklären, Gegenstand einer aufwendigen Untersuchung. An deren Ende standen das Eingeständnis, dass der gesamte Apparat, "strukturell rassistisch" sei, sowie ein Katalog von 70 Maßnahmen, darunter etwa verpflichtende Schulungen in Antirassismus und eine größere ethnische Durchmischung des Personals. Der Rassismus ist deshalb nicht gänzlich verschwunden, doch nach allgemeiner Auffassung hat sich die Situation in Großbritannien seither verbessert.