Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine

Poroschenko: "Herr Putin, hören Sie auf, Menschen zu töten!"

Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine, über den Konflikt mit Russland, die prorussische Haltung der FPÖ und neue Initiativen gegen die Korruption.

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INTERVIEW: SIMONE BRUNNER UND OTMAR LAHODYNSKY

profil: Sie sind als erster ukrainischer Präsident Ehrengast des Wiener Opernballs und haben die neuen österreichischen Regierungsmitglieder getroffen. Die Hälfte der Minister gehört der FPÖ an, die einen deutlich prorussischen Kurs verfolgt und mit Putins Partei sogar ein Kooperationsabkommen geschlossen hat. Kann Österreich da im Ukrainekonflikt noch ein guter Vermittler sein? Poroschenko: Leider habe ich niemanden von der FPÖ getroffen, noch nie in meinem ganzen Leben.

profil: Warum "leider"? Poroschenko: Glücklicherweise kenne ich nun schon seit sechs Jahren Sebastian Kurz. Sebastian war die erste Person, die ich nach der Präsidentenwahl in der Ukraine und noch vor der Angelobung getroffen habe. Die Ukraine stellt für Sebastian eine Priorität dar. Er hat schon mehrfach die Ukraine besucht, er war zusammen mit meinem Außenminister Pavlo Klimkin an der Kontaktlinie. Er war einer der besten Vorsitzenden der OSZE. Er hat einen guten Job gemacht, indem er etwa die Beobachter der Sondermission der OSZE aufstockte. Diese Leute helfen, das Leben von Ukrainern zu retten, weil sie Informationen an die ganze Welt weitergeben. Das ist eine vertrauenswürdige Quelle für Informationen über die russische Aggression. Es ist Russland, das dauernd den Waffenstillstand bricht. Und es ist Russland, das Artilleriegeschosse und Granaten abfeuert und sowohl Zivilisten als auch meine Soldaten tötet. Auf Initiative von Sebastian Kurz hat das OSZE-Personal neues technisches Material bekommen, damit es noch schneller Informationen aus dem Kampfgebiet liefern kann.

Bis jetzt sehe ich keine einzige antiukrainische Handlung in der österreichischen Bundesregierung.

profil: Im Regierungsprogramm wurde aber auch die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland als Ziel verankert. Poroschenko: Sebastian hat mir das Regierungsprogramm erläutert, in dem der Ukraine alles Nötige zugesichert wird. Ich möchte dem österreichischen Volk zur neuen Regierung gratulieren, auch zum wohl jüngsten Bundeskanzler Europas und vielleicht sogar der Welt.

profil: Die prorussische Orientierung der FPÖ stört Sie also gar nicht? Poroschenko: Ich möchte das nicht näher kommentieren. Bis jetzt sehe ich keine einzige antiukrainische Handlung in der österreichischen Bundesregierung. Sie hat sich wegen der Nichtumsetzung des Minsker Abkommens durch Russland für die Beibehaltung von Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Wir sehen die Sanktionen als Motivation für Russland, am Verhandlungstisch zu sitzen und das Minsker Abkommen auch endlich umzusetzen. Es ist auch ein Appell an die Russen: Hört auf, Ukrainer zu töten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein europäisches Land etwas dagegen einwenden kann. Daher hält die EU die Sanktionen gegen Russland wegen der Nichterfüllung des Minsker Abkommens für die militärische Aggression im Osten meines Landes und für die illegale Annexion der Krim aufrecht. Und ich freue mich über die starke Stimme Österreichs.

profil: Im Parlament in Kiew wurde vor Kurzem das neue Gesetz zur Reintegration des Donbass angenommen. Darin wird festgelegt, dass Russland für alle physischen und finanziellen Schäden in den Gebieten, die nicht von Kiew kontrolliert werden, aufkommen muss. Sind diese Gebiete für Kiew schon verloren? Poroschenko: Ich verweise auf den Namen des Gesetzes: Reintegration. Es ist nicht von einem verlorenen Territorium die Rede. Ich halte nichts davon, solche Ausdrücke wie "Konflikt in der Ostukraine" zu verwenden. Denn wir in der Ukraine haben keinen Konflikt! Wir erleben eine Aggression. Und genau das wird mit dem Gesetz festgeschrieben. Wer ist der Aggressor? Die Russische Föderation! Was erwarten wir von Russland? Ganz einfach: Nehmt eure Truppen, eure Panzer, eure Artillerie, eure Mehrfachraketenwerfer-Systeme zurück nach Russland. Und sofort wird das Territorium wieder in die Ukraine reintegriert werden. Wir bestehen darauf, dass das nur mit politischen und diplomatischen Instrumenten geschieht, denn ich bin ein Präsident des Friedens. Meine Präsidentschaft beruht auf dem Waffenstillstand. Ich werde mein Bestes tun, um wieder Frieden in mein Land zu bringen. Ich bin stolz, dass sich auch mehr als 70 Prozent der Ukrainer eine friedliche Lösung wünschen und keine Aggression.

profil: Was bedeutet das konkret? Wird es zukünftig im Rahmen der Minsker Verhandlungen keine Kontakte mehr mit den prorussischen Separatistenführern geben? Poroschenko: Wir haben unterschiedliche Instrumente im Minsker Abkommen, wie etwa die Trilaterale Kontaktgruppe, bestehend aus Russland, der Ukraine und der OSZE als Vermittlerin. Wir haben Russland, von Russland kontrollierte Marionetten und die Ukraine. Dieses Territorium ist kein Territorium der Separatisten. Das ist besetztes Gebiet, in welchem übrigens eine furchtbare humanitäre Situation herrscht. Der Lebensstandard der Menschen dort ist auf einem schrecklichen Niveau. Russland blockiert Hilfslieferungen aus der Ukraine, aus Österreich oder von internationalen Organisationen wie den UN. Moskau lässt nicht zu, dass Hilfe zu diesen Menschen gebracht wird.

profil: Wir haben aber von leitenden Mitarbeitern der OSZE gehört, dass sie sich vor der Konferenz in Minsk in dieser Woche Sorgen machen. Dort treffen sich unterschiedliche Arbeitsgruppen auch mit den "Marionetten", wie Sie sie nennen. Poroschenko: Wie gesagt, es gibt die Trilaterale Kontaktgruppe. Natürlich gibt es immer wieder Versuche, zu provozieren. Aber wir werden nicht zulassen, dass der Prozess torpediert wird. Zuletzt haben wir wieder einige Fortschritte gemacht. Durch den Einsatz meines Teams und der internationalen Vermittler ist es gelungen, 74 Gefangene freizulassen. Das ist ein großer Erfolg. Nachdem diese Ukrainer schon seit drei Jahren illegal in Gefängnissen festgehalten wurden, konnten sie endlich nach Hause zurückkehren. Ich werde mein Bestes tun, um meine Soldaten und meine Bürger wieder nach Hause zu bringen. Das ist ein integraler Teil des Minsker Prozesses, der umgesetzt werden muss.

Putin müsste einfach nur anerkennen, dass das ukrainisches Territorium ist, und internationales Recht respektieren.

profil: Einige russische Bürger auf der Liste wurden hingegen nicht ausgetauscht. Poroschenko: Wir wollen unsere in Russland festgehaltenen Ukrainer zurück. Gestern war der Geburtstag des berühmten Journalisten Roman Suschtschenko (ein ukrainischer Journalist, der 2016 in Moskau wegen Spionagevorwurf festgenommen wurde, Anm.). Wir sind bereit, russische Soldaten freizulassen, die als Mörder in mein Land gekommen sind, um im Gegenzug Suschtschenko wieder freizubekommen. Bald werden es vier Jahre sein, seit der berühmte Regisseur Oleg Senzow von der Krim in russischer Gefangenschaft ist. Suschtschenko, Senzow, viele Krimtataren: Wir wollen sie zurückholen.

profil: Erwarten Sie, dass Putin eine neue Initiative für die Ostukraine starten wird? Poroschenko: Wir brauchen keine neue Initiative. Wir müssen nur die alten Abkommen umsetzen. Im Minsker Abkommen steht ganz klar: die Truppen zurücknehmen, die Grenze schließen, den Waffenstillstand einhalten und das Töten beenden. Danach können wir mit dem politischen Prozess beginnen. Es könnte so einfach sein. Aber Putin wird nichts Positives machen. Ich bin mir absolut sicher, dass er überhaupt keine Vision hat, was er mit dem Donbass anfangen soll. Putin müsste einfach nur anerkennen, dass das ukrainisches Territorium ist, und internationales Recht respektieren. Bitte, Herr Putin, hören Sie auf, Menschen zu töten - in der Ukraine und in Syrien und in anderen Regionen der Welt!

profil: Westliche Kreditgeber messen dem Kampf gegen die Korruption große Bedeutung bei. Es gibt einen neuen Gesetzesvorschlag, den Sie im Dezember in der Rada (das ukrainische Parlament, Anm.) eingebracht haben. Es geht um den unabhängigen Anti-Korruptions-Gerichtshof. Poroschenko: Das ist nicht einfach nur ein neuer Vorschlag, sondern ein System als Ganzes. Die Korruption war immer das größte Problem der Ukraine und ist es leider immer noch. Es geht auf meine präsidiale Initiative zurück, dass eine unabhängige Anti-Korruptions-Infrastruktur gegründet wurde, etwa das unabhängige Nationale Anti-Korruptions-Büro (NABU), dessen Direktor von mir ernannt wurde und das bereits jetzt zeigt, wie effizient es arbeitet. Oder das Gesetz über die elektronischen Deklarationen: Mehr als eine Million Beamte müssen ihr Einkommen elektronisch deklarieren, das ist verpflichtend für den Eintritt in den Staatsdienst. Jetzt habe ich gesehen, dass es notwendig ist, einen Anti-Korruptions-Gerichtshof zu gründen. Ich habe das Gesetz dem Parlament vorgeschlagen. Das Parlament, nicht der Präsident, sollte jetzt eine offene Diskussion darüber führen, um so schnell wie möglich einen transparenten, effizienten und unabhängigen Gerichtshof zu gründen.

profil: Wann könnte das sein? Der Internationale Währungsfonds und die EU machen davon weitere Kredite an die Ukraine abhängig. Poroschenko: Der Prozess sollte noch in diesem Jahr abgeschlossen sein. Ich hoffe, dass wir in den nächsten Monaten das Gesetz haben werden. Wir sehen schon die ersten Resultate. 1,5 Milliarden Dollar, die unter meinem Vorgänger, Präsident Wiktor Janukowitsch, gestohlen wurden, sind konfisziert und wieder dem ukrainischen Budget zugeführt worden. Das hat es zuvor noch nie gegeben. Mehr als zusätzliche 300 Millionen Hrywnja an Korruptionsgeldern haben wir in einem Jahr zurückgeholt. Dieses Geld werden wir im ländlichen Gesundheitssektor und zum Bau neuer Unterkünfte für ukrainische Soldaten einsetzen. Und Sie dürfen nicht vergessen: All diese Vorhaben wurden während des Krieges unter der russischen Aggression umgesetzt. 6,5 Prozent unseres BIP müssen wir für Sicherheit und Verteidigung ausgeben. Welches Land hat es geschafft, das alles unter diesen Umständen umzusetzen?

Wir sind offen und bereit, mit allen Behörden zu kooperieren, um Korruption aufzudecken und das Geld zurückzubringen.

profil: Michail Saakaschwili, der ehemalige georgische Präsident und Gouverneur von Odessa, der von Ihnen ein- und wieder ausgebürgert wurde, steht in Kiew unter Hausarrest, zudem wurde er in Georgien verurteilt. Wird er ausgewiesen werden? Poroschenko: Herr Saakaschwili ist kein ukrainischer Staatsbürger. Er ist auch kein ukrainischer Politiker, weil er nach unserem Gesetz Staatsbürger sein müsste, um hier überhaupt Politik machen zu dürfen. Er hat das ukrainische Gesetz gebrochen. Er wurde in Georgien verurteilt. Es ist nicht meine Verpflichtung als Präsident, darüber zu entscheiden, was mit ihm passiert. Er könnte durchaus ausgewiesen werden, obwohl ich mir das nicht wünschen würde. Aber das ist die Sache des staatlichen Migrationsdienstes, der Grenzbehörde. Ich möchte keinen Einfluss darauf nehmen.

profil: Der schwedische Experte Anders Aslund sagte, dass ukrainische Oligarchen über 100 Milliarden Dollar im Ausland geparkt hätten. Sollten sie nicht besser ihr Geld in der Ukraine investieren? Poroschenko: Ich bitte darum! Ich unterstütze die Transparenz und Effektivität des Kampfes gegen die Korruption. Wir sind offen für jede Kooperation mit internationalen Institutionen, wie dem FBI, dem MI6 (britischer Auslandsnachrichtendienst, Anm.) oder anderen europäischen Diensten. Wenn dieses Geld unter Verletzung der ukrainischen Gesetze von ukrainischen Bürgern gestohlen und fortgeschafft wurde, müssen wir es zurückbringen. Das ist die Nachricht, die wir all unseren Freunden und Partnern überbringen wollen: Wir sind offen und bereit, mit allen Behörden zu kooperieren, um Korruption aufzudecken und das Geld zurückzubringen.

profil: Sind EU- und NATO-Mitgliedschaft noch immer Ziel für die Ukraine? Poroschenko: Vor exakt vier Jahren haben mehr als 100 Ukrainer, die "Himmlische Hundertschaft", für einen einzigen Zweck ihr Leben gelassen: Wir wollen Europäer sein. Ich zweifle daran, dass es ein anderes Land auf der Welt gibt, das einen so hohen Preis gezahlt hat, um Europäer zu sein. Wir dürfen sie nicht betrügen. Wir wollen in Europa sein, definitiv. Dasselbe gilt für die NATO. Es tut mir leid, dass ich das in Österreich sage, das ja kein NATO-Mitglied ist, aber wir denken, dass das ein wichtiger Sicherheitsfaktor wäre. Und wissen Sie, warum Österreich kein NATO-Mitglied sein muss? Weil Sie nicht Russland als Nachbar haben. Wir haben Russland als Aggressor kennengelernt. Die NATO ist der einzige effektive Mechanismus für die kollektive Sicherheit.

Petro Poroschenko, 52, wurde 2014 zum neuen Präsidenten der Ukraine gewählt. Der Unternehmer (Schokoladefabrik, Beteiligungen in der Industrie - Autos und Rüstung) hat die Partei "Block Poroschenko" begründet. Er wird auf der Liste des US-Magazins "Forbes" auf dem siebten Platz der reichsten ukrainischen Oligarchen geführt. Er ist mit der Kardiologin Maryna P. verheiratet und hat vier Kinder.