Geschichte wird gemacht: Putins Krieg in der Ukraine
Eigentlich wollte ich Ihnen heute den Jahrestag der ersten Corona-Infektion in Österreich (Innsbruck, Hotel Europa, 25.2.) in Erinnerung rufen. Wie diese Anfangstage der Corona-Pandemie in Zeitlupe unser Leben verändert haben, und dass man nun in den bald kommenden ersten Frühlingstagen Hoffnung schöpfen könne, auf ein bisschen Normalität zumindest. Ich jedenfalls freute mich darauf.
Doch nach dem gestrigen Tag ist alles anders. Europa, die Weltordnung, unsere Zukunft - und unsere Geschichte. Russland, nein Wladimir Putin, setzte die Truppen in der Ostukraine in Bewegung. Eine Pandemie rückt da schnell in den Hintergrund. (Auch wenn ich Ihnen dennoch das Interview mit der Psychotraumaforscherin Brigitte Lueger-Schuster auf profil.at über deren Folgen auf die Psyche ans Herz lege.)
Per Fernsehansprache samt historisch determiniertem Weltbild verkündete Putin in der Nacht auf Donnerstag also den Krieg. Er wolle eine „Denazifizierung der Ukraine“ sicherstellen und einen „Genozid“ unterbinden. Nur zwei Äußerungen ohne Beleg, die so fern unserer Wahrnehmung sind, dass ein gemeinsamer Standpunkt in weiter Ferne scheint.
Putin argumentiert seit jeher historisch. Wenn Ideologie wegfällt, muss die Deutungshoheit anders hergestellt werden. Russland als Weltreich, weil die Geschichte das so vorsieht. Nicht aus wirtschaftlicher Stärke, nicht aus ideologischer Überzeugung, nicht aus diplomatischem Geschick oder mittels zukunftsgewandter Technologie; sondern weil das eigene Geschichtsbild diesen Platz so will. Und die Geschichte für den Machtanspruch gebogen und verzerrt wird.
Putin sieht eine Bedrohung durch NATO, USA und Europa, und zieht diese für seinen Krieg als Begründung heran. Die NATO sah Putin übrigens nicht immer als den Erzfeind. Aber in den letzten Jahren verfestigte er seine Erzählung, die schließlich in seiner Geschichtsstunde am Montag und dem Angriff am Donnerstag gipfelte.
In der Geschichte sieht Wladimir Putin also seinen Anspruch, die aus seiner Sicht historischen Fehler der 1990er Jahre will er rückgängig machen. Völkerrechtliche Verträge bringen ihn da nicht sonderlich von seiner Überzeugung ab, hinter seinem Schreibtisch im Kreml. Die Überzeugungskraft der westlichen Regierungschefs war unterdimensioniert an Putins überdimensionierten Tischen im Kreml.
Für eine Diskussion auf geschichtswissenschaftlicher Ebene wird Putin mit seiner Armee ohnehin nicht mehr empfänglich sein, sein Geschichtsbild ist bizarr. Umso schwieriger wird es, hier eine gemeinsame Basis zu finden. Die wird es irgendwann aber brauchen.
Worauf wir uns vielleicht aber einigen können: Mit dieser Militäraktion - so diffus, so unklar die Situation im Krieg ist - schreibt Putin ein dunkles Kapitel der Geschichte. Für uns, für Sie, und am gewichtigsten: Für die Ukraine.
Kommen Sie gut durch den Tag und das Wochenende!
Sebastian Pumberger