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Putin ist nicht Hitler!

Über unpassende, historische Vergleiche in Kriegszeiten.

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Menschen auf der ganzen Welt haben es bei Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine hochgehalten: Ein Plakat, das Putin mit schwarzem Oberlippenbärtchen zeigt. Der russische Präsident als deutscher Führer.

Wir leben wahrlich in düsteren Zeiten. Die Bilder von zerbombten Krankenhäusern in der Ukraine machen fassungslos und wütend. Trotz all der Grausamkeit sollten wir uns hüten, Russlands Angriffskrieg mit dem Unvergleichlichen zu vergleichen. Dem schlimmsten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte. Dem Holocaust.

Von meinem Zeitgeschichte Studium habe ich mitgenommen: Vergleichen heißt nicht gleichsetzen. Der Vergleich ist eine legitime, historische Methode, nicht zuletzt, um Unterschiede herauszuarbeiten. Aber in letzter Zeit habe ich so viele haarsträubende, historische Parallelen gelesen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Beginnen wir in Österreich.

Der 1945-Vergleich

„Die Ukrainer müssen in der Ukraine bleiben und letztlich ihr Land verteidigen. Was wäre gewesen, wenn alle Österreicher nach 1945 geflohen wären?", meinte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) kürzlich im „Club 3“-Gespräch mit profil Herausgeber Christian Rainer.

Die Befreiung Österreichs vom NS-Regime mit einer völkerrechtswidrigen Invasion zu vergleichen ist verstörend. Dabei müsste Sobotka es besser wissen: Er hat Geschichte studiert und als Lehrer gearbeitet.

Der „Anschluss“-Vergleich

Österreichs Außenminister Schallenberg meinte in einem ZIB2 Interview: „Wir haben doch 1938 am eigenen Leib erlebt, wie es ist, wenn man alleingelassen wird.”

Später revidierte er den Sager als Missverständnis, aber das ändert nichts daran, dass er irreführend ist. Als die Wehrmacht im März 1938 die Grenze zu Österreich überquerte, stieß sie, anders als Russlands Armee in der Ukraine, auf keinerlei Widerstand. Jubelnde Menschenmassen begrüßten die Nazis mit Hakenkreuz-Fahnen. Während sich in der Ukraine vereinzelt sogar Bürgerinnen und Bürger vor die Panzer stellen, bewarfen Österreicher die Fahrzeuge der Wehrmacht mit Blumensträußen. Meine Kollegin Christa Zöchling ist gerade dabei, zu diesem Thema einen Podcast aufzunehmen, den Sie sich nach Erscheinen anhören sollten.

Der „Mein Kampf“-Vergleich

Auch der tschechische Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg ortet Parallelen zwischen Putin und Hitler. In einem Interview mit der APA meinte er: „So wie seinerzeit manche Politiker Hitlers 'Mein Kampf' gelesen haben, aber nicht geglaubt haben, dass das einer so ernst meint, so haben sie jetzt auch nicht geglaubt, dass es Putin ernst meint."

Ja, Putins einstündige und wirre TV-Ansprache hat die Welt schockiert. Heute wissen wir: Es war eine paranoide Kriegserklärung und trotz gut unterrichteter US-amerikanischer Geheimdienste hat Europa den Kreml-Chef unterschätzt. Nur kann man dieses Versäumnis auch einräumen, ohne die Hitler-Keule zu schwingen. „Mein Kampf“ war eine von völkischen und rassenideologischen Überlegungen durchzogene Hetzschrift, die zum politischen Programm wurde und sechs Millionen Juden und Jüdinnen das Leben gekostet hat.

Und dann noch Tito...

Was sagen die Experten zu all diesen Vergleichen? „Natürlich ist Putin kein neuer Hitler. Nichts deutet darauf hin, dass er die Juden hasst und ausrotten will“, schrieb kürzlich der renommierte Historiker Heinrich August Winkler in einem Gastbeitrag für die deutsche Wochenzeitung „die Zeit“. Parallelen findet der Historiker dennoch und nennt dafür mehrere Beispiele. Leider wurde sein Essay von der Redaktion mit einem missglückten Vorspann betitelt, der mittlerweile gelöscht wurde: „Milošević, Tito, Mussolini: Wie viele Autokraten und Diktatoren vor ihm hat sich auch der russische Präsident zum Ultranationalisten entwickelt.“

Tito, ein Ultranationalist? Man kann dem jugoslawischen Präsidenten viel vorwerfen: Personenkult, Einparteienherrschaft, die Inhaftierung von politischen Gegnern auf kroatischen Inseln. Aber nicht Tito hat ethnischen Hass im ehemaligen Jugoslawien geschürt, sondern der serbische Machthaber Slobodan Milošević. Wieder so ein Vergleich, der in die Hose ging.

Der Kosovo-Krim-Vergleich

Wo wir schon beim Balkan sind: Eine letzte historische Analogie, die hinkt. Sie lautet: Der Kosovo ist wie die Krim. Putin hat so argumentiert, der deutsche Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD), Heinz Christian Strache (FPÖ) und Gregor Gysi (die LINKE). Nur: Die russischsprachige Bevölkerung auf der Krim sah sich, anders als die albanische Bevölkerung im Kosovo, keiner Verfolgung durch ein Regime ausgesetzt. Es gab, anders als im Kosovo, keine Vertreibungen und keine ethnischen Säuberungen. Das militärische Einschreiten der Nato 1999 mag völkerrechtswidrig gewesen sein. Es war aber auch eine Reaktion auf schwere Menschenrechtsverletzungen, die, wie 1995 in Srebrenica, in einem Genozid hätten münden können.

Es wirkt, als würden viele den Krieg in der Ukraine zum Anlass nehmen, altbewährte Feindbilder zu reproduzieren. Für einen Teil der Linken ist das die Nato. Für rechtsextreme Putin-Fans ist das der „verweichlichte“, auf Minderheitenrechte bedachte Westen. So zieht sich jeder die historische Parallele, die er gerade braucht.

Wer Putin mit Hitler gleichsetzt, der verharmlost die Gräueltaten der Nationalsozialisten. Wer den Kosovo mit der Krim gleichsetzt, der ignoriert Europas blutigsten Krieg seit 1945. Wer 1938 mit 2022 in Verbindung bringt, der reproduziert Österreichs Opfermythos, der einer Aufarbeitung unserer dunklen Geschichte so lange im Weg stand.

Gerade in Österreich und Deutschland sollten wir nicht mit Hitler-Vergleichen um uns werfen, als handle es sich um ein beliebiges Etikett, dass man Diktatoren und Kriegsherren aller Art umhängen darf. Sonst wirkt es so, als wollten wir damit unsere eigene Schuld zudecken.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.