Proteste in Hongkong: "Peking steckt in einer Zwickmühle"
profil: Bei den Protesten in Hongkong tauchten vergangene Woche regierungsfreundliche Schlägertrupps auf, die friedliche Demonstranten verprügelten. Was steckt hinter dieser Eskalation? Steinhardt: Das war definitiv organisiert. Auf Videos in den sozialen Netzwerken sind Männer mit Tattoos zu sehen, die in Hongkong nur von Mitgliedern der Triaden getragen werden. Wer sie mobilisiert hat, ist von hier aus nicht zu beurteilen.
profil: Sind gekaufte Schlägertrupps nicht auch Zeichen einer gewissen Hilflosigkeit? Steinhardt: Jenen, denen diese Proteste nicht gelegen kommen, scheinen die Optionen auszugehen. Es gab schon bei den Demonstrationen 2014 einige Angriffe von Mitgliedern der Triaden. Diese wurden laut Untersuchungen von Kriminologen von lokalen Hongkonger Geschäftsleuten organisiert - ob es Hintermänner in Peking gab oder gibt, lässt sich nicht nachvollziehen.
profil: Die Proteste werden mittlerweile auch im Rest Chinas wahrgenommen. Steinhardt: Die größte Sorge der Regierung ist, dass sich die Proteste auf das Festland ausweiten. Peking hat vor Kurzem beschlossen, sehr selektiv und einseitig Informationen durch die Zensur zu lassen. Das wird die öffentliche Meinung Chinas gegen Hongkong lenken. Dafür engt sich der Spielraum ein: Größere Zugeständnisse an die Protestbewegung werden nun wohl als Schwäche ausgelegt.
profil: Welche Optionen sehen Sie für die chinesische Führung? Steinhardt: Peking steckt in einer Zwickmühle. Der chinesischen Wirtschaft geht es derzeit nicht gut. Hongkong ist wichtig für den Zugang zu internationalem Kapital und außerdem Hauptsitz der meisten in China tätigen internationalen Konzerne. Es gibt eine kleine Gruppe von radikalen Regierungsgegnern in Hongkong, die durchaus bereit ist, sich mit den chinesischen Kräften Straßenkämpfe zu liefern. Die Bilder einer militärischen oder polizeilichen Intervention in Hongkong wären für Peking verheerend.
profil: Also sollte das Regime nachgeben? Steinhardt: Peking kann sich nicht erlauben, auf Massenproteste mit politischen Reformen zu reagieren. Das würde die Regierungsgegner anderswo ermutigen. Ich sehe aber einen Ausweg: Die Mehrheit der Bevölkerung könnte vermutlich besänftigt werden, indem man die umstrittenen Gesetzesvorlagen zur Auslieferung und Rechtsbeihilfe zurückzieht, eine unabhängige Kommission zur Untersuchung der Protestereignisse einsetzt und ein paar vage Reformversprechen auf die Agenda setzt.
profil: Bislang deutet wenig darauf hin. Steinhardt: Wahrscheinlich spekuliert Peking derzeit noch, dass es zu einer Protestmüdigkeit kommt. Für die Regierung wären Zugeständnisse an die Demonstranten jedenfalls heikel. Die öffentlich gültige "Wahrheit" von unabhängigen Akteuren bestimmen zu lassen, widerspricht den politischen Normen des Einparteienstaats. Jetzt müssen beide Seiten ins Gespräch kommen. Ich hoffe sehr, dass sie bereits daran arbeiten, diese Kanäle im Hintergrund zu öffnen.
Christoph Steinhardt hat in Hongkong geforscht und beschäftigt sich am Institut für ostasiatische Studien der Universität Wien mit chinesischer Politik und autoritären Systemen.